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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die Stenographie in der Schule

beim Eintritt in die ober" Klassen erklären: Wir setzen bei euch allen steno¬
graphische Fertigkeit voraus und richten unsre Diktate u. s. w. auf steuo-
graphiekundigc Hörer ein. Die Folge ist, daß an diesen Anstalten schon in
mittlern Klassen kaum noch ein stenographienukuudiger Schüler sitzt, da ein
solcher beim Aufrücken in die obern Klassen stark inS Hintertreffen kommeu
würde.

Man mag immerhin, so lange die Stenographie kein pftichtiges Lehrfach
ist, diesem Verfahren Billigung verweigern, seine Wirkung aber zeigt doch
deutlich, von welchem Einfluß die Stellung der Lehrer zur Sache ist und was
für Erfolge bei wohlwollendem Verhalten der Lehrer erreicht werden können.
Noch niemals hat verlautet, daß der Schweizer Erziehungsrat sich über ähn¬
liche ungünstige Erfahrungen wie der preußische Negierungskoinmissar habe
beklagen müssen.

In gleicher Weise sind wohl auch in andern Staaten von den obersten
Unterrichtsbehörden hinlängliche Beweise für den Nutzen der Stenographie in
den hoher" Schulen und für die Möglichkeit, etwaigem Mißbrauch wirksam zu
steuern, gesammelt worden, denn eS ist z. B. in Baiern schon dnrch Ver¬
ordnung des Kultusministeriums vom 30. September 185>4, in Österreich dnrch
Erlaß des Unterrichtsministeriums ans dem Jahre 1860 und in Sachsen dnrch
Verordnung des Ministeriums für Kultus und öffentlichen Unterricht vom
7. Mai 187Z die Stenographie als wahlfreier Gegenstand in den Lehrplan der
höhern Schulen eingeführt worden. Alle diese Staaten sind in Begünstigung
der Stenographie so weit gegangen, wie es von manchen namhaften Pädagogen
der Neuzeit, z. V. Ziller/gefordert worden ist. Auf den ersten Blick hat es
ja etwas Befremdliches, die Überbürdung dnrch Einführung eines neuen Lehr-
gegenstandes mildern zu wollen, es sieht das fast so aus, als wollte mau den
Teufel austreiben durch Beelzebub. Es sieht aber wirtlich nnr so ans, denn
wie gesagt, die anfängliche Mehranstrengnng von kurzer Zeit führt bald zu
dauernder Entlastung, und mit der förmlichen Eingliederung des Gegenstandes
in den Lehrplan wird am sichersten bewirkt, daß der Unterricht die erreich¬
baren Früchte auch wirklich trägt.

Die Männer, die dnrch das Vertrauen der .Krone dazu berufen sind, an
der Reformirung des preußischen Schulwesens mitzuarbeiten, werden sich der
Pflicht uicht entziehen können, über die künftige Stellung der höhern Schulen
Preußens zur Stenographie, von der bis jetzt in den Verhandlungen uoch gar
keine Rede gewesen zu sein scheint, Beschlüsse zu fassen. Natürlich wird bei
allen Erörterungen die Stenographie nur in ihrer Bedeutung als zeit- und
kraftsparende tägliche Gebrnuchsschrift zu betrachten sein, ihre eingeschränkte
Verwendung zum Nachschreiben öffentlicher Reden liegt ganz außerhalb des
Gesichtskreises. Die Stenographie ist ferner ausschließlich ihres Nutzens
wegen und als Mittel zum Zweck ins Ange zu fassen, uicht aber um ihrer


Die Stenographie in der Schule

beim Eintritt in die ober» Klassen erklären: Wir setzen bei euch allen steno¬
graphische Fertigkeit voraus und richten unsre Diktate u. s. w. auf steuo-
graphiekundigc Hörer ein. Die Folge ist, daß an diesen Anstalten schon in
mittlern Klassen kaum noch ein stenographienukuudiger Schüler sitzt, da ein
solcher beim Aufrücken in die obern Klassen stark inS Hintertreffen kommeu
würde.

Man mag immerhin, so lange die Stenographie kein pftichtiges Lehrfach
ist, diesem Verfahren Billigung verweigern, seine Wirkung aber zeigt doch
deutlich, von welchem Einfluß die Stellung der Lehrer zur Sache ist und was
für Erfolge bei wohlwollendem Verhalten der Lehrer erreicht werden können.
Noch niemals hat verlautet, daß der Schweizer Erziehungsrat sich über ähn¬
liche ungünstige Erfahrungen wie der preußische Negierungskoinmissar habe
beklagen müssen.

In gleicher Weise sind wohl auch in andern Staaten von den obersten
Unterrichtsbehörden hinlängliche Beweise für den Nutzen der Stenographie in
den hoher« Schulen und für die Möglichkeit, etwaigem Mißbrauch wirksam zu
steuern, gesammelt worden, denn eS ist z. B. in Baiern schon dnrch Ver¬
ordnung des Kultusministeriums vom 30. September 185>4, in Österreich dnrch
Erlaß des Unterrichtsministeriums ans dem Jahre 1860 und in Sachsen dnrch
Verordnung des Ministeriums für Kultus und öffentlichen Unterricht vom
7. Mai 187Z die Stenographie als wahlfreier Gegenstand in den Lehrplan der
höhern Schulen eingeführt worden. Alle diese Staaten sind in Begünstigung
der Stenographie so weit gegangen, wie es von manchen namhaften Pädagogen
der Neuzeit, z. V. Ziller/gefordert worden ist. Auf den ersten Blick hat es
ja etwas Befremdliches, die Überbürdung dnrch Einführung eines neuen Lehr-
gegenstandes mildern zu wollen, es sieht das fast so aus, als wollte mau den
Teufel austreiben durch Beelzebub. Es sieht aber wirtlich nnr so ans, denn
wie gesagt, die anfängliche Mehranstrengnng von kurzer Zeit führt bald zu
dauernder Entlastung, und mit der förmlichen Eingliederung des Gegenstandes
in den Lehrplan wird am sichersten bewirkt, daß der Unterricht die erreich¬
baren Früchte auch wirklich trägt.

Die Männer, die dnrch das Vertrauen der .Krone dazu berufen sind, an
der Reformirung des preußischen Schulwesens mitzuarbeiten, werden sich der
Pflicht uicht entziehen können, über die künftige Stellung der höhern Schulen
Preußens zur Stenographie, von der bis jetzt in den Verhandlungen uoch gar
keine Rede gewesen zu sein scheint, Beschlüsse zu fassen. Natürlich wird bei
allen Erörterungen die Stenographie nur in ihrer Bedeutung als zeit- und
kraftsparende tägliche Gebrnuchsschrift zu betrachten sein, ihre eingeschränkte
Verwendung zum Nachschreiben öffentlicher Reden liegt ganz außerhalb des
Gesichtskreises. Die Stenographie ist ferner ausschließlich ihres Nutzens
wegen und als Mittel zum Zweck ins Ange zu fassen, uicht aber um ihrer


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[0367] Die Stenographie in der Schule beim Eintritt in die ober» Klassen erklären: Wir setzen bei euch allen steno¬ graphische Fertigkeit voraus und richten unsre Diktate u. s. w. auf steuo- graphiekundigc Hörer ein. Die Folge ist, daß an diesen Anstalten schon in mittlern Klassen kaum noch ein stenographienukuudiger Schüler sitzt, da ein solcher beim Aufrücken in die obern Klassen stark inS Hintertreffen kommeu würde. Man mag immerhin, so lange die Stenographie kein pftichtiges Lehrfach ist, diesem Verfahren Billigung verweigern, seine Wirkung aber zeigt doch deutlich, von welchem Einfluß die Stellung der Lehrer zur Sache ist und was für Erfolge bei wohlwollendem Verhalten der Lehrer erreicht werden können. Noch niemals hat verlautet, daß der Schweizer Erziehungsrat sich über ähn¬ liche ungünstige Erfahrungen wie der preußische Negierungskoinmissar habe beklagen müssen. In gleicher Weise sind wohl auch in andern Staaten von den obersten Unterrichtsbehörden hinlängliche Beweise für den Nutzen der Stenographie in den hoher« Schulen und für die Möglichkeit, etwaigem Mißbrauch wirksam zu steuern, gesammelt worden, denn eS ist z. B. in Baiern schon dnrch Ver¬ ordnung des Kultusministeriums vom 30. September 185>4, in Österreich dnrch Erlaß des Unterrichtsministeriums ans dem Jahre 1860 und in Sachsen dnrch Verordnung des Ministeriums für Kultus und öffentlichen Unterricht vom 7. Mai 187Z die Stenographie als wahlfreier Gegenstand in den Lehrplan der höhern Schulen eingeführt worden. Alle diese Staaten sind in Begünstigung der Stenographie so weit gegangen, wie es von manchen namhaften Pädagogen der Neuzeit, z. V. Ziller/gefordert worden ist. Auf den ersten Blick hat es ja etwas Befremdliches, die Überbürdung dnrch Einführung eines neuen Lehr- gegenstandes mildern zu wollen, es sieht das fast so aus, als wollte mau den Teufel austreiben durch Beelzebub. Es sieht aber wirtlich nnr so ans, denn wie gesagt, die anfängliche Mehranstrengnng von kurzer Zeit führt bald zu dauernder Entlastung, und mit der förmlichen Eingliederung des Gegenstandes in den Lehrplan wird am sichersten bewirkt, daß der Unterricht die erreich¬ baren Früchte auch wirklich trägt. Die Männer, die dnrch das Vertrauen der .Krone dazu berufen sind, an der Reformirung des preußischen Schulwesens mitzuarbeiten, werden sich der Pflicht uicht entziehen können, über die künftige Stellung der höhern Schulen Preußens zur Stenographie, von der bis jetzt in den Verhandlungen uoch gar keine Rede gewesen zu sein scheint, Beschlüsse zu fassen. Natürlich wird bei allen Erörterungen die Stenographie nur in ihrer Bedeutung als zeit- und kraftsparende tägliche Gebrnuchsschrift zu betrachten sein, ihre eingeschränkte Verwendung zum Nachschreiben öffentlicher Reden liegt ganz außerhalb des Gesichtskreises. Die Stenographie ist ferner ausschließlich ihres Nutzens wegen und als Mittel zum Zweck ins Ange zu fassen, uicht aber um ihrer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/367>, abgerufen am 23.07.2024.