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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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hier nicht untersucht werden. In der Sitzung des preußische,, Abgeordneten¬
hauses vom 11. März 1886 hat bei den Verhandlungen über eine dahin
zielende Petition der damalige Regierungskvmmisfar Geheimrat Bonitz er¬
klärt, das Hauptbedculen liege in dem Umstände, daß nach den angestellten
Ermittelungen nur ein mäßiger Prozentsatz derer, die die Erlernung begonnen,
es dahin brächte, von der Stenographie einen wirklich entlastenden Gebrauch
zu machen, während für die übrigen das Stenographiren eine Anstrengung
bleibe und die Gedanken von der Sache ablenke. Das wäre allerdings ein
schwerer Vorwurf. Aber er findet -- abgesehen von dem beschränkten Vevb-
achtungSmaterial, auf das er sich stützt -- seiue genügende Erklärung in der
jetzigen schiefen Stellung des Gegenstandes innerhalb der preußischen Schulen.
Der Kultusminister billigt die Erlernung, Übung und Anwendung der Steno¬
graphie durch die Schüler. Die Direktoren stehen erfahrungsgemäß der Sache
höchstens gleichgiltig, meist aber mißtrauisch, unfreundlich, widerstrebend gegen¬
über. Und die Mehrheit der Lehrerschaft endlich spöttelt über die Steno¬
graphie und die, die sie lernen, ja sie zieht sie in den Augen der Schüler
herunter und verbietet kurzweg ein beträchtliches Anwendungsgebiet der
erlernten Fertigkeit. Da muß man freilich fragen: Wo sollen denn die jungen
Leute Freudigkeit und Ausdauer hernehmen, wenn fie solche Erfahrungen
machen? Wird sich nicht ein großer Teil sagen: Direktor und Lehrer sehen
die Sache nicht gern, in der Schule dürfen wir auch keinen Gebrauch davon
macheu, warum sollen wir da lernen, was wir nur in beschränktem Maße
verwerten dürfen, und uns obendrein die Ungunst der Lehrer zuziehen, die
uns unter Umständen Nachteil bringen kann? Das ist aus der Seele des
Schülers heraus ganz richtig gedacht, und es bedeutet nichts Verwunderliches
oder Ungünstiges, wenn viele, da ihnen das natürliche Übnngsfeld der Schule
verboten ist, die Sache nur halb lernen oder aus Mangel um Gelegenheit es
nicht zu der erforderlichen mechanischen Handhabung der Stenographie bringen.

Mau schaffe nur einen günstigen Boden, und es wird sich zeigen, daß
der Same sehr gut aufgeht und reichliche Früchte trägt. Einzelne Ab¬
trünnige wird es natürlich auch dann noch geben, aber das Ergebnis im
ganzen wird ein völlig verändertes Gesicht haben. In der Schweiz z. B. hat
die Stenographie schon frühzeitig Boden gewonnen und bei deu Schulen keinen
oder nur geringen Widerstand erfahren. Gewiß die Hälfte der jüngern aus der
Schweiz stammen Universitätsdozenten und der Schweizer Gymnasiallehrer ist
jetzt stenographiekündig. Obgleich an den Kantvnschnlen die Stenographie kein,
eigentliches Lehrfach ist, macht sich doch die Mehrzahl der Kantouschüler mit
der Stenographie bis zu ganz mechanischer Handhabung vertraut, weil jede
statthafte Erleichterung des Schreibwerkes durch die Stenographie auch wirklich
gestattet wird und die Lehrer das als ganz selbstverständlich betrachten. Ja
an einzelnen Kantonschulen liegt die Sache so, daß die Lehrer den Schülern


hier nicht untersucht werden. In der Sitzung des preußische,, Abgeordneten¬
hauses vom 11. März 1886 hat bei den Verhandlungen über eine dahin
zielende Petition der damalige Regierungskvmmisfar Geheimrat Bonitz er¬
klärt, das Hauptbedculen liege in dem Umstände, daß nach den angestellten
Ermittelungen nur ein mäßiger Prozentsatz derer, die die Erlernung begonnen,
es dahin brächte, von der Stenographie einen wirklich entlastenden Gebrauch
zu machen, während für die übrigen das Stenographiren eine Anstrengung
bleibe und die Gedanken von der Sache ablenke. Das wäre allerdings ein
schwerer Vorwurf. Aber er findet — abgesehen von dem beschränkten Vevb-
achtungSmaterial, auf das er sich stützt — seiue genügende Erklärung in der
jetzigen schiefen Stellung des Gegenstandes innerhalb der preußischen Schulen.
Der Kultusminister billigt die Erlernung, Übung und Anwendung der Steno¬
graphie durch die Schüler. Die Direktoren stehen erfahrungsgemäß der Sache
höchstens gleichgiltig, meist aber mißtrauisch, unfreundlich, widerstrebend gegen¬
über. Und die Mehrheit der Lehrerschaft endlich spöttelt über die Steno¬
graphie und die, die sie lernen, ja sie zieht sie in den Augen der Schüler
herunter und verbietet kurzweg ein beträchtliches Anwendungsgebiet der
erlernten Fertigkeit. Da muß man freilich fragen: Wo sollen denn die jungen
Leute Freudigkeit und Ausdauer hernehmen, wenn fie solche Erfahrungen
machen? Wird sich nicht ein großer Teil sagen: Direktor und Lehrer sehen
die Sache nicht gern, in der Schule dürfen wir auch keinen Gebrauch davon
macheu, warum sollen wir da lernen, was wir nur in beschränktem Maße
verwerten dürfen, und uns obendrein die Ungunst der Lehrer zuziehen, die
uns unter Umständen Nachteil bringen kann? Das ist aus der Seele des
Schülers heraus ganz richtig gedacht, und es bedeutet nichts Verwunderliches
oder Ungünstiges, wenn viele, da ihnen das natürliche Übnngsfeld der Schule
verboten ist, die Sache nur halb lernen oder aus Mangel um Gelegenheit es
nicht zu der erforderlichen mechanischen Handhabung der Stenographie bringen.

Mau schaffe nur einen günstigen Boden, und es wird sich zeigen, daß
der Same sehr gut aufgeht und reichliche Früchte trägt. Einzelne Ab¬
trünnige wird es natürlich auch dann noch geben, aber das Ergebnis im
ganzen wird ein völlig verändertes Gesicht haben. In der Schweiz z. B. hat
die Stenographie schon frühzeitig Boden gewonnen und bei deu Schulen keinen
oder nur geringen Widerstand erfahren. Gewiß die Hälfte der jüngern aus der
Schweiz stammen Universitätsdozenten und der Schweizer Gymnasiallehrer ist
jetzt stenographiekündig. Obgleich an den Kantvnschnlen die Stenographie kein,
eigentliches Lehrfach ist, macht sich doch die Mehrzahl der Kantouschüler mit
der Stenographie bis zu ganz mechanischer Handhabung vertraut, weil jede
statthafte Erleichterung des Schreibwerkes durch die Stenographie auch wirklich
gestattet wird und die Lehrer das als ganz selbstverständlich betrachten. Ja
an einzelnen Kantonschulen liegt die Sache so, daß die Lehrer den Schülern


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[0366] hier nicht untersucht werden. In der Sitzung des preußische,, Abgeordneten¬ hauses vom 11. März 1886 hat bei den Verhandlungen über eine dahin zielende Petition der damalige Regierungskvmmisfar Geheimrat Bonitz er¬ klärt, das Hauptbedculen liege in dem Umstände, daß nach den angestellten Ermittelungen nur ein mäßiger Prozentsatz derer, die die Erlernung begonnen, es dahin brächte, von der Stenographie einen wirklich entlastenden Gebrauch zu machen, während für die übrigen das Stenographiren eine Anstrengung bleibe und die Gedanken von der Sache ablenke. Das wäre allerdings ein schwerer Vorwurf. Aber er findet — abgesehen von dem beschränkten Vevb- achtungSmaterial, auf das er sich stützt — seiue genügende Erklärung in der jetzigen schiefen Stellung des Gegenstandes innerhalb der preußischen Schulen. Der Kultusminister billigt die Erlernung, Übung und Anwendung der Steno¬ graphie durch die Schüler. Die Direktoren stehen erfahrungsgemäß der Sache höchstens gleichgiltig, meist aber mißtrauisch, unfreundlich, widerstrebend gegen¬ über. Und die Mehrheit der Lehrerschaft endlich spöttelt über die Steno¬ graphie und die, die sie lernen, ja sie zieht sie in den Augen der Schüler herunter und verbietet kurzweg ein beträchtliches Anwendungsgebiet der erlernten Fertigkeit. Da muß man freilich fragen: Wo sollen denn die jungen Leute Freudigkeit und Ausdauer hernehmen, wenn fie solche Erfahrungen machen? Wird sich nicht ein großer Teil sagen: Direktor und Lehrer sehen die Sache nicht gern, in der Schule dürfen wir auch keinen Gebrauch davon macheu, warum sollen wir da lernen, was wir nur in beschränktem Maße verwerten dürfen, und uns obendrein die Ungunst der Lehrer zuziehen, die uns unter Umständen Nachteil bringen kann? Das ist aus der Seele des Schülers heraus ganz richtig gedacht, und es bedeutet nichts Verwunderliches oder Ungünstiges, wenn viele, da ihnen das natürliche Übnngsfeld der Schule verboten ist, die Sache nur halb lernen oder aus Mangel um Gelegenheit es nicht zu der erforderlichen mechanischen Handhabung der Stenographie bringen. Mau schaffe nur einen günstigen Boden, und es wird sich zeigen, daß der Same sehr gut aufgeht und reichliche Früchte trägt. Einzelne Ab¬ trünnige wird es natürlich auch dann noch geben, aber das Ergebnis im ganzen wird ein völlig verändertes Gesicht haben. In der Schweiz z. B. hat die Stenographie schon frühzeitig Boden gewonnen und bei deu Schulen keinen oder nur geringen Widerstand erfahren. Gewiß die Hälfte der jüngern aus der Schweiz stammen Universitätsdozenten und der Schweizer Gymnasiallehrer ist jetzt stenographiekündig. Obgleich an den Kantvnschnlen die Stenographie kein, eigentliches Lehrfach ist, macht sich doch die Mehrzahl der Kantouschüler mit der Stenographie bis zu ganz mechanischer Handhabung vertraut, weil jede statthafte Erleichterung des Schreibwerkes durch die Stenographie auch wirklich gestattet wird und die Lehrer das als ganz selbstverständlich betrachten. Ja an einzelnen Kantonschulen liegt die Sache so, daß die Lehrer den Schülern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/366>, abgerufen am 23.07.2024.