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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die Stenographie in der Schule

erkaufen muß. Aber sie will ja auch der gewöhnlichen Schrift den Plntz nicht
streitig machen, sondern mir, wo es nötig, möglich und nützlich ist, als Ersatz¬
mittel neben ihr hergehen, die vollkommnere Schriftart soll also der Zeit- und
Kraftersparnis halber keineswegs in rückläufiger Bewegung einer uuvoll-
konunneren geopfert werden. Auch würde eine überwiegende Handhabung der
Stenographie mit Notwendigkeit den Übelstand geringerer Fertigkeit im An¬
wenden der gewöhnlichen Schrift zur Folge haben, wonach sicherlich niemand
Verlangen tragen kann.

Man sollte meinen, ein so schätzbares Hilfsmittel müßte sich in kurzer
Zeit an den höhern Schulen fast von selber eingebürgert habe", zumal da die
Stenographie nicht bloß sür die wenigen Schuljahre Vorteil bringt, sondern
als s- "-l jeden, der eine höhere Schule durchlaufen hat, und anch

einen ansehnlichen Bruchteil derer, die schon aus den Mittelklassen in einen
bürgerlichen Beruf übertreten, als hilfreiche Dienerin durch das ganze fernere
Leben begleitet. In der That haben auch die Schiller mit der Findigkeit, die
ihnen in allen Fragen der Arbeitsentlastung eigen ist, hie und da schon längst
zur Stenographie gegriffen, um sich das umständliche und zeitraubende Schreib¬
geschäft abzukürzen und zu erleichtern. Dagegen hat die Lehrerschaft vielfach
in befremdlicher Weise den Schülern die Früchte der erlernten Fertigkeit ver¬
kümmert, ganz besonders in Preußen. Obgleich das preußische Kultus-
ministerium in einer Verfügung vom 14. Februar 1876 erklärt hat, daß es
die Erlernung der Stenographie durch Schüler höherer Lehranstalten nur
billigen könne, wird diese Aufmunterung von manchem Lehrer dnrch wohlfeile
Kathederwitze und durch wegwerfende Äußerungen über Stenographie wieder
wirkungslos gemacht, ja die Fälle stehen nicht vereinzelt da, daß Lehrer ihren
Schülern jede Anwendung der Stenographie in der Schule geradezu untersagt
haben.

Fragt man nach den Gründen solcher Voreingenommenheit, so hört man
zunächst die Autwort, es sei nicht statthaft, daß die Schüler etwas verstünden,
was den Lehrern fremd sei. Dieser Grund verdient nun kaum eine Abweisung,
denn es zeugt nicht eben von würdiger Gesinnung, einem andern den Genuß
von Vorteilen deswegen zu mißgönnen, weil man selbst nicht in deren Besitz
ist. Wie viele Ghnmasiasten erlernen privatim das Englische, von dem ihre
Lehrer gewöhnlich nichts verstehen! Soll man deu jungen Leuten deshalb
verbieten, sich diese Sprache, die jedem Gebildeten von Nutzen sein kann, an¬
zueignen? Jener Grundsatz ist vielleicht ganz klug ausgesonnen, aber ins
Praktische läßt er sich nicht übersetzen, denn es wird von dein Lehrer nicht
einmal verlangt, daß er sämtliche Kenntnisse besitze, die gerade von den
Schülern in der Schule, geschweige denn außerhalb der Schule erlernt werden.
Will aber der Lehrer in Bezug auf die Stenographie den Schülern durchaus
keinen Vorsprung gestatten, so bleibt es ihm unbenommen, sich selbst noch mit


Die Stenographie in der Schule

erkaufen muß. Aber sie will ja auch der gewöhnlichen Schrift den Plntz nicht
streitig machen, sondern mir, wo es nötig, möglich und nützlich ist, als Ersatz¬
mittel neben ihr hergehen, die vollkommnere Schriftart soll also der Zeit- und
Kraftersparnis halber keineswegs in rückläufiger Bewegung einer uuvoll-
konunneren geopfert werden. Auch würde eine überwiegende Handhabung der
Stenographie mit Notwendigkeit den Übelstand geringerer Fertigkeit im An¬
wenden der gewöhnlichen Schrift zur Folge haben, wonach sicherlich niemand
Verlangen tragen kann.

Man sollte meinen, ein so schätzbares Hilfsmittel müßte sich in kurzer
Zeit an den höhern Schulen fast von selber eingebürgert habe», zumal da die
Stenographie nicht bloß sür die wenigen Schuljahre Vorteil bringt, sondern
als s- «-l jeden, der eine höhere Schule durchlaufen hat, und anch

einen ansehnlichen Bruchteil derer, die schon aus den Mittelklassen in einen
bürgerlichen Beruf übertreten, als hilfreiche Dienerin durch das ganze fernere
Leben begleitet. In der That haben auch die Schiller mit der Findigkeit, die
ihnen in allen Fragen der Arbeitsentlastung eigen ist, hie und da schon längst
zur Stenographie gegriffen, um sich das umständliche und zeitraubende Schreib¬
geschäft abzukürzen und zu erleichtern. Dagegen hat die Lehrerschaft vielfach
in befremdlicher Weise den Schülern die Früchte der erlernten Fertigkeit ver¬
kümmert, ganz besonders in Preußen. Obgleich das preußische Kultus-
ministerium in einer Verfügung vom 14. Februar 1876 erklärt hat, daß es
die Erlernung der Stenographie durch Schüler höherer Lehranstalten nur
billigen könne, wird diese Aufmunterung von manchem Lehrer dnrch wohlfeile
Kathederwitze und durch wegwerfende Äußerungen über Stenographie wieder
wirkungslos gemacht, ja die Fälle stehen nicht vereinzelt da, daß Lehrer ihren
Schülern jede Anwendung der Stenographie in der Schule geradezu untersagt
haben.

Fragt man nach den Gründen solcher Voreingenommenheit, so hört man
zunächst die Autwort, es sei nicht statthaft, daß die Schüler etwas verstünden,
was den Lehrern fremd sei. Dieser Grund verdient nun kaum eine Abweisung,
denn es zeugt nicht eben von würdiger Gesinnung, einem andern den Genuß
von Vorteilen deswegen zu mißgönnen, weil man selbst nicht in deren Besitz
ist. Wie viele Ghnmasiasten erlernen privatim das Englische, von dem ihre
Lehrer gewöhnlich nichts verstehen! Soll man deu jungen Leuten deshalb
verbieten, sich diese Sprache, die jedem Gebildeten von Nutzen sein kann, an¬
zueignen? Jener Grundsatz ist vielleicht ganz klug ausgesonnen, aber ins
Praktische läßt er sich nicht übersetzen, denn es wird von dein Lehrer nicht
einmal verlangt, daß er sämtliche Kenntnisse besitze, die gerade von den
Schülern in der Schule, geschweige denn außerhalb der Schule erlernt werden.
Will aber der Lehrer in Bezug auf die Stenographie den Schülern durchaus
keinen Vorsprung gestatten, so bleibt es ihm unbenommen, sich selbst noch mit


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[0363] Die Stenographie in der Schule erkaufen muß. Aber sie will ja auch der gewöhnlichen Schrift den Plntz nicht streitig machen, sondern mir, wo es nötig, möglich und nützlich ist, als Ersatz¬ mittel neben ihr hergehen, die vollkommnere Schriftart soll also der Zeit- und Kraftersparnis halber keineswegs in rückläufiger Bewegung einer uuvoll- konunneren geopfert werden. Auch würde eine überwiegende Handhabung der Stenographie mit Notwendigkeit den Übelstand geringerer Fertigkeit im An¬ wenden der gewöhnlichen Schrift zur Folge haben, wonach sicherlich niemand Verlangen tragen kann. Man sollte meinen, ein so schätzbares Hilfsmittel müßte sich in kurzer Zeit an den höhern Schulen fast von selber eingebürgert habe», zumal da die Stenographie nicht bloß sür die wenigen Schuljahre Vorteil bringt, sondern als s- «-l jeden, der eine höhere Schule durchlaufen hat, und anch einen ansehnlichen Bruchteil derer, die schon aus den Mittelklassen in einen bürgerlichen Beruf übertreten, als hilfreiche Dienerin durch das ganze fernere Leben begleitet. In der That haben auch die Schiller mit der Findigkeit, die ihnen in allen Fragen der Arbeitsentlastung eigen ist, hie und da schon längst zur Stenographie gegriffen, um sich das umständliche und zeitraubende Schreib¬ geschäft abzukürzen und zu erleichtern. Dagegen hat die Lehrerschaft vielfach in befremdlicher Weise den Schülern die Früchte der erlernten Fertigkeit ver¬ kümmert, ganz besonders in Preußen. Obgleich das preußische Kultus- ministerium in einer Verfügung vom 14. Februar 1876 erklärt hat, daß es die Erlernung der Stenographie durch Schüler höherer Lehranstalten nur billigen könne, wird diese Aufmunterung von manchem Lehrer dnrch wohlfeile Kathederwitze und durch wegwerfende Äußerungen über Stenographie wieder wirkungslos gemacht, ja die Fälle stehen nicht vereinzelt da, daß Lehrer ihren Schülern jede Anwendung der Stenographie in der Schule geradezu untersagt haben. Fragt man nach den Gründen solcher Voreingenommenheit, so hört man zunächst die Autwort, es sei nicht statthaft, daß die Schüler etwas verstünden, was den Lehrern fremd sei. Dieser Grund verdient nun kaum eine Abweisung, denn es zeugt nicht eben von würdiger Gesinnung, einem andern den Genuß von Vorteilen deswegen zu mißgönnen, weil man selbst nicht in deren Besitz ist. Wie viele Ghnmasiasten erlernen privatim das Englische, von dem ihre Lehrer gewöhnlich nichts verstehen! Soll man deu jungen Leuten deshalb verbieten, sich diese Sprache, die jedem Gebildeten von Nutzen sein kann, an¬ zueignen? Jener Grundsatz ist vielleicht ganz klug ausgesonnen, aber ins Praktische läßt er sich nicht übersetzen, denn es wird von dein Lehrer nicht einmal verlangt, daß er sämtliche Kenntnisse besitze, die gerade von den Schülern in der Schule, geschweige denn außerhalb der Schule erlernt werden. Will aber der Lehrer in Bezug auf die Stenographie den Schülern durchaus keinen Vorsprung gestatten, so bleibt es ihm unbenommen, sich selbst noch mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/363>, abgerufen am 23.07.2024.