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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Das Tabaksdöschen

Daß eine Braut ihrem Erkornen ein Tabaksdöschen mit ihren? Porträt
geschmückt als Angebinde verehrt, ist nicht befremdlich. In der Regel ist das
Dosenstück ein Brustbild. Da bei diesen Darstellungen der .Künstler nicht
unterlassen durfte, die weibliche Anmut und Zierlichkeit wirkungsvoll hervor¬
zuheben, so erklärt es sich leicht, daß die Bezeichnungen "Dosenstück," "Dosen-
gesichtchen" in dem Phrasenschatz des (Znlirnt'liorrnnc! mit zum eisernen In¬
ventar gehörten. "Ist es ein schönes und wohlgcstaltes Frauenzimmer --
so rät die (in-l-nec. Ltluo-t von Joh. Chr. Barth (1720) --, so kann ich ihre
wundernswürdige Schönheit und wohl proportwmrte 'I'-uIIs rausstreichen."
Das "Dosenstück" that hierbei Wunder. Es war eine artige Schmeichelei, die
der Stutzer in den Schwall seiner Komplimente einfügte. "Sie haben eine
recht allerliebste Frau," sagt in dem Gellertschen Lustspiele "Das Los in
der Lotterie" ein seichter Schwätzer zu einem Ehemann. "Wenn ihr Gesicht
gleich nicht mehr so gar schön ist, so verdient es doch ein Dvsenstück abzu¬
geben."

War aber schon die äußere Erscheinung des Döschens dazu angethan, ein
günstiges Vorurteil bei der galanten Welt zu erwecken, so war dies selten
das Verdienst des Trägers; die geschickte Handhabung war erst seine persön¬
liche That, sie mußte ihn als den Meister gesellschaftlicher Kunst erweisen.
Der "barbarische Gebrauch der Indianer, die Blätter des narkotischen Gift¬
krautes in gepulvertem Zustande in die Nase zustopfen," wie ihn Viktor Heste
in seinem vielgenannten Werke "Kulturpflanzen und Haustiere" gebrandmarkt
hat, mußte sich einem gründlichen europäischen Veredlungsprozesse unterwerfen.
Der Rappee schuf für seinen Kultus besondre galante Formen, deren Be¬
achtung den Eingeweihten von dem profanen Schnupfer unterschied.

rühmt einer seiner Verehrer. In dem Bilde des vollendeten Gesellschafts¬
menschen darf dieser Zug nicht fehlen. Die Zionswächter guter, bürgerlicher
Sitte, die moralischen Wochenschriften der Zeit, lassen sich in der erschöpfenden
Schilderung des Stutzers diesen Vorwurf nicht entgehen. Der "Hamburger
Patriot," der mit Gottscheds "Vernünftigen Tndlerinnen" im dritten Jahr¬
zehnt des achtzehnten Jahrhunderts die Gunst eines ausgedehnten bürgerlichen
Lesekreises teilte, wendet den beliebten Kunstgriff an und giebt einem Stutzer zur
Selbstcharakteristik das Wort. Dieser bietet eine Reihe Schriften zum Drucke, die
er verfaßt hat, um "Uruclltion "al^meo zu oullivireu." Neben einer "I^Alan? n^tu-
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Das Tabaksdöschen

Daß eine Braut ihrem Erkornen ein Tabaksdöschen mit ihren? Porträt
geschmückt als Angebinde verehrt, ist nicht befremdlich. In der Regel ist das
Dosenstück ein Brustbild. Da bei diesen Darstellungen der .Künstler nicht
unterlassen durfte, die weibliche Anmut und Zierlichkeit wirkungsvoll hervor¬
zuheben, so erklärt es sich leicht, daß die Bezeichnungen „Dosenstück," „Dosen-
gesichtchen" in dem Phrasenschatz des (Znlirnt'liorrnnc! mit zum eisernen In¬
ventar gehörten. „Ist es ein schönes und wohlgcstaltes Frauenzimmer —
so rät die (in-l-nec. Ltluo-t von Joh. Chr. Barth (1720) —, so kann ich ihre
wundernswürdige Schönheit und wohl proportwmrte 'I'-uIIs rausstreichen."
Das „Dosenstück" that hierbei Wunder. Es war eine artige Schmeichelei, die
der Stutzer in den Schwall seiner Komplimente einfügte. „Sie haben eine
recht allerliebste Frau," sagt in dem Gellertschen Lustspiele »Das Los in
der Lotterie« ein seichter Schwätzer zu einem Ehemann. „Wenn ihr Gesicht
gleich nicht mehr so gar schön ist, so verdient es doch ein Dvsenstück abzu¬
geben."

War aber schon die äußere Erscheinung des Döschens dazu angethan, ein
günstiges Vorurteil bei der galanten Welt zu erwecken, so war dies selten
das Verdienst des Trägers; die geschickte Handhabung war erst seine persön¬
liche That, sie mußte ihn als den Meister gesellschaftlicher Kunst erweisen.
Der „barbarische Gebrauch der Indianer, die Blätter des narkotischen Gift¬
krautes in gepulvertem Zustande in die Nase zustopfen," wie ihn Viktor Heste
in seinem vielgenannten Werke „Kulturpflanzen und Haustiere" gebrandmarkt
hat, mußte sich einem gründlichen europäischen Veredlungsprozesse unterwerfen.
Der Rappee schuf für seinen Kultus besondre galante Formen, deren Be¬
achtung den Eingeweihten von dem profanen Schnupfer unterschied.

rühmt einer seiner Verehrer. In dem Bilde des vollendeten Gesellschafts¬
menschen darf dieser Zug nicht fehlen. Die Zionswächter guter, bürgerlicher
Sitte, die moralischen Wochenschriften der Zeit, lassen sich in der erschöpfenden
Schilderung des Stutzers diesen Vorwurf nicht entgehen. Der „Hamburger
Patriot," der mit Gottscheds „Vernünftigen Tndlerinnen" im dritten Jahr¬
zehnt des achtzehnten Jahrhunderts die Gunst eines ausgedehnten bürgerlichen
Lesekreises teilte, wendet den beliebten Kunstgriff an und giebt einem Stutzer zur
Selbstcharakteristik das Wort. Dieser bietet eine Reihe Schriften zum Drucke, die
er verfaßt hat, um „Uruclltion «al^meo zu oullivireu." Neben einer „I^Alan? n^tu-
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[0336] Das Tabaksdöschen Daß eine Braut ihrem Erkornen ein Tabaksdöschen mit ihren? Porträt geschmückt als Angebinde verehrt, ist nicht befremdlich. In der Regel ist das Dosenstück ein Brustbild. Da bei diesen Darstellungen der .Künstler nicht unterlassen durfte, die weibliche Anmut und Zierlichkeit wirkungsvoll hervor¬ zuheben, so erklärt es sich leicht, daß die Bezeichnungen „Dosenstück," „Dosen- gesichtchen" in dem Phrasenschatz des (Znlirnt'liorrnnc! mit zum eisernen In¬ ventar gehörten. „Ist es ein schönes und wohlgcstaltes Frauenzimmer — so rät die (in-l-nec. Ltluo-t von Joh. Chr. Barth (1720) —, so kann ich ihre wundernswürdige Schönheit und wohl proportwmrte 'I'-uIIs rausstreichen." Das „Dosenstück" that hierbei Wunder. Es war eine artige Schmeichelei, die der Stutzer in den Schwall seiner Komplimente einfügte. „Sie haben eine recht allerliebste Frau," sagt in dem Gellertschen Lustspiele »Das Los in der Lotterie« ein seichter Schwätzer zu einem Ehemann. „Wenn ihr Gesicht gleich nicht mehr so gar schön ist, so verdient es doch ein Dvsenstück abzu¬ geben." War aber schon die äußere Erscheinung des Döschens dazu angethan, ein günstiges Vorurteil bei der galanten Welt zu erwecken, so war dies selten das Verdienst des Trägers; die geschickte Handhabung war erst seine persön¬ liche That, sie mußte ihn als den Meister gesellschaftlicher Kunst erweisen. Der „barbarische Gebrauch der Indianer, die Blätter des narkotischen Gift¬ krautes in gepulvertem Zustande in die Nase zustopfen," wie ihn Viktor Heste in seinem vielgenannten Werke „Kulturpflanzen und Haustiere" gebrandmarkt hat, mußte sich einem gründlichen europäischen Veredlungsprozesse unterwerfen. Der Rappee schuf für seinen Kultus besondre galante Formen, deren Be¬ achtung den Eingeweihten von dem profanen Schnupfer unterschied. rühmt einer seiner Verehrer. In dem Bilde des vollendeten Gesellschafts¬ menschen darf dieser Zug nicht fehlen. Die Zionswächter guter, bürgerlicher Sitte, die moralischen Wochenschriften der Zeit, lassen sich in der erschöpfenden Schilderung des Stutzers diesen Vorwurf nicht entgehen. Der „Hamburger Patriot," der mit Gottscheds „Vernünftigen Tndlerinnen" im dritten Jahr¬ zehnt des achtzehnten Jahrhunderts die Gunst eines ausgedehnten bürgerlichen Lesekreises teilte, wendet den beliebten Kunstgriff an und giebt einem Stutzer zur Selbstcharakteristik das Wort. Dieser bietet eine Reihe Schriften zum Drucke, die er verfaßt hat, um „Uruclltion «al^meo zu oullivireu." Neben einer „I^Alan? n^tu- >'<M, von der Kunst zu reden, ohne was zu denken," einer .,Not.b<><^0 <le suur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/336>, abgerufen am 23.07.2024.