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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Dieses galante Heldentum erlebte freilich auch Zeiten, wo es unter dem
Drucke der Verhältnisse brüchig wurde. Unter den Besitzstücken, von denen in
den Zeiten finanzieller Trübsal der Bruder Studio sein Herz trennen mußte,
um sie als Pfand in die Hände herzloser Manichäer wandern zu lassen, spielt
auch die Dose eine Rolle.

ruft der beim Anblick des ersten Schnees zur fröhlichen Schlittenfahrt um
jeden Preis entschlossene Musensohn. So erhöhte das Döschen nicht nur
das gesellschaftliche Ausehen seines Besitzers, sondern gewährte ihm anch als
schätzbares Werkstück bei notwendig gewordenen Finanzoperationen Kredit¬
fähigkeit. Natürlich lag diese nüchterne Verwertung weit ab von seiner ur¬
sprünglichem Bestimmung und bildete nur die traurige Ausnahme in einem von
gesellschaftlichein Glänze umstrahlten Dasein. In einer Welt des Scheines und
Flitters Beziehungen nnznbahnen, den Austausch höflicher Aufmerksamkeiten zu
fördern, wohl gar den Dolmetscher zarter Empfindungen zu spielen, war sein
eigentlicher Beruf. Zunächst trug das gewählte, gefällige Aussehen des
Döschens dieser Aufgabe Rechnung. Den Hauptanziehungs- und Anknüpfungs-
Puukt bildete der Deckel der Dose, auf dessen künstlerischen Schmuck besondrer
Wert gelegt wurde. Gottscheds "Vernünftige Tadlerinnen" ereifern sich über
einen Stutzer, der selbst in der Kirche das Kokcttiren mit seinem Döschen nicht
lassen kann. "Wenn er nichts zu thun hatte, so uneben er seine Tabaksdose
und machte sie so weit auf, daß man von ferne die verliebte Abschilderuug,
welche auf dem Deckel derselbe" gemalt war, erkennen konnte." Die hier an¬
gedeutete Ausschmückung des Deckels mit einer eingelegten Miniaturmalerei,
dem sogenannten "Dosenstück," erfreute sich besondrer Gunst. Gern wählte
mau als solches das zierliche Bildnis einer weiblichen Schönheit. Bei den
einen waren es frei erfundene Schöpfungen. Glücklichere trugen die Züge
eines wirklichen Wesens als Zeichen erlangter Frauenhuld. Einer dieser vom
Schicksal begünstigten feiert deshalb den Schnupftabak:


Dieses galante Heldentum erlebte freilich auch Zeiten, wo es unter dem
Drucke der Verhältnisse brüchig wurde. Unter den Besitzstücken, von denen in
den Zeiten finanzieller Trübsal der Bruder Studio sein Herz trennen mußte,
um sie als Pfand in die Hände herzloser Manichäer wandern zu lassen, spielt
auch die Dose eine Rolle.

ruft der beim Anblick des ersten Schnees zur fröhlichen Schlittenfahrt um
jeden Preis entschlossene Musensohn. So erhöhte das Döschen nicht nur
das gesellschaftliche Ausehen seines Besitzers, sondern gewährte ihm anch als
schätzbares Werkstück bei notwendig gewordenen Finanzoperationen Kredit¬
fähigkeit. Natürlich lag diese nüchterne Verwertung weit ab von seiner ur¬
sprünglichem Bestimmung und bildete nur die traurige Ausnahme in einem von
gesellschaftlichein Glänze umstrahlten Dasein. In einer Welt des Scheines und
Flitters Beziehungen nnznbahnen, den Austausch höflicher Aufmerksamkeiten zu
fördern, wohl gar den Dolmetscher zarter Empfindungen zu spielen, war sein
eigentlicher Beruf. Zunächst trug das gewählte, gefällige Aussehen des
Döschens dieser Aufgabe Rechnung. Den Hauptanziehungs- und Anknüpfungs-
Puukt bildete der Deckel der Dose, auf dessen künstlerischen Schmuck besondrer
Wert gelegt wurde. Gottscheds „Vernünftige Tadlerinnen" ereifern sich über
einen Stutzer, der selbst in der Kirche das Kokcttiren mit seinem Döschen nicht
lassen kann. „Wenn er nichts zu thun hatte, so uneben er seine Tabaksdose
und machte sie so weit auf, daß man von ferne die verliebte Abschilderuug,
welche auf dem Deckel derselbe» gemalt war, erkennen konnte." Die hier an¬
gedeutete Ausschmückung des Deckels mit einer eingelegten Miniaturmalerei,
dem sogenannten „Dosenstück," erfreute sich besondrer Gunst. Gern wählte
mau als solches das zierliche Bildnis einer weiblichen Schönheit. Bei den
einen waren es frei erfundene Schöpfungen. Glücklichere trugen die Züge
eines wirklichen Wesens als Zeichen erlangter Frauenhuld. Einer dieser vom
Schicksal begünstigten feiert deshalb den Schnupftabak:


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[0335] Dieses galante Heldentum erlebte freilich auch Zeiten, wo es unter dem Drucke der Verhältnisse brüchig wurde. Unter den Besitzstücken, von denen in den Zeiten finanzieller Trübsal der Bruder Studio sein Herz trennen mußte, um sie als Pfand in die Hände herzloser Manichäer wandern zu lassen, spielt auch die Dose eine Rolle. ruft der beim Anblick des ersten Schnees zur fröhlichen Schlittenfahrt um jeden Preis entschlossene Musensohn. So erhöhte das Döschen nicht nur das gesellschaftliche Ausehen seines Besitzers, sondern gewährte ihm anch als schätzbares Werkstück bei notwendig gewordenen Finanzoperationen Kredit¬ fähigkeit. Natürlich lag diese nüchterne Verwertung weit ab von seiner ur¬ sprünglichem Bestimmung und bildete nur die traurige Ausnahme in einem von gesellschaftlichein Glänze umstrahlten Dasein. In einer Welt des Scheines und Flitters Beziehungen nnznbahnen, den Austausch höflicher Aufmerksamkeiten zu fördern, wohl gar den Dolmetscher zarter Empfindungen zu spielen, war sein eigentlicher Beruf. Zunächst trug das gewählte, gefällige Aussehen des Döschens dieser Aufgabe Rechnung. Den Hauptanziehungs- und Anknüpfungs- Puukt bildete der Deckel der Dose, auf dessen künstlerischen Schmuck besondrer Wert gelegt wurde. Gottscheds „Vernünftige Tadlerinnen" ereifern sich über einen Stutzer, der selbst in der Kirche das Kokcttiren mit seinem Döschen nicht lassen kann. „Wenn er nichts zu thun hatte, so uneben er seine Tabaksdose und machte sie so weit auf, daß man von ferne die verliebte Abschilderuug, welche auf dem Deckel derselbe» gemalt war, erkennen konnte." Die hier an¬ gedeutete Ausschmückung des Deckels mit einer eingelegten Miniaturmalerei, dem sogenannten „Dosenstück," erfreute sich besondrer Gunst. Gern wählte mau als solches das zierliche Bildnis einer weiblichen Schönheit. Bei den einen waren es frei erfundene Schöpfungen. Glücklichere trugen die Züge eines wirklichen Wesens als Zeichen erlangter Frauenhuld. Einer dieser vom Schicksal begünstigten feiert deshalb den Schnupftabak:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/335>, abgerufen am 23.07.2024.