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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Täglich in der Jugend Tagen
Halt' ich eine seltne Stunde,
Wo ich all die wohlbekannten
Dinge, die mich rings nmschwiegen,
Plötzlich ansah wie ein Wunder --
Kein vcrwunschner Prinz im Märchen
Kann mit nnmenlosrem Stannen
Seinen Hundeleib betrachten,
Seine Hnudestimme hören,
Als ich, an mir niederblickend,
Meinen Menschenleib betrachtet,
Meine Mciischenstimine hörte.

Das ist nach Plato das ursprüngliche Erlebnis des Philosophen, das l>"u^."5^v,
die philosophische Verwunderung über die elementarste Thatsache des Daseins.
Und diese Philosophennatur spricht sich noch öfters aus, auch wenn sie (nicht
sehr schon) ruft:


Und ein Rätsel die Welt, und ein Rätsel anch dn,
Und ein Rätsel der Kampf, und ein Rätsel die Ruh,
Und ein Rätsel der Schmerz, und ein Rätsel das Glück,
Und eS wandern die Wellen -- nicht eine zurück!

oder wenn Berger in seiner Geburtstagselegie sagt:


An dem Tag, der das Rätsel mir anfgcib.
Denk' ich bewegt an den Tag, welcher das Rätsel mir löst.

Das ist trotz der dichterischen Form immer nur die Sprache des Denkers; den
poetischen Gehalt gewinnen diese und ähnliche Bekenntnisse durch die Leiden¬
schaft, mit der der Dichter auch diesen Wünschen seines Herzens nachhängt: es
ist philosophische Lyrik. Die Philvsvphenuatur verrät sich aber auch in der
Neigung zur Beschaulichkeit. In einem eignen erzählenden Gedichte wird die
Deukernatur gezeichnet: "Ein Denkerleben." Wie Sol'rades, von einem Ge¬
danken erfaßt, die Welt um sich vergessend, einen Tag laug in sich versunken
auf offnem Markte verbringen konnte, so vergißt Bergers philosophisch ange¬
legter Knabe auf der Stiche nach der Wirkung einer Falle im Walde die ganze
Welt und kehrt erst als Greis wieder zu seiner Heimat zurück. Als echter
Philosoph spricht Berger seinen "letzten Wunsch" dahin aus, daß er nicht
"ungefühlten Göttertod" nach Griechenart sterben mochte, vielmehr:


Meine Schmerzen, meine Wonnen
Hab' ich immer klar durchdacht;
Und so möcht' ich auch besonnen
Eingehn in die Todesnacht.
Die Verwicklung der Geschicke
Möcht' ich still sich lösen sehn
Und die letzten Augenblicke
Voll empfinden, ganz vergeh,,.


Täglich in der Jugend Tagen
Halt' ich eine seltne Stunde,
Wo ich all die wohlbekannten
Dinge, die mich rings nmschwiegen,
Plötzlich ansah wie ein Wunder —
Kein vcrwunschner Prinz im Märchen
Kann mit nnmenlosrem Stannen
Seinen Hundeleib betrachten,
Seine Hnudestimme hören,
Als ich, an mir niederblickend,
Meinen Menschenleib betrachtet,
Meine Mciischenstimine hörte.

Das ist nach Plato das ursprüngliche Erlebnis des Philosophen, das l>«u^.«5^v,
die philosophische Verwunderung über die elementarste Thatsache des Daseins.
Und diese Philosophennatur spricht sich noch öfters aus, auch wenn sie (nicht
sehr schon) ruft:


Und ein Rätsel die Welt, und ein Rätsel anch dn,
Und ein Rätsel der Kampf, und ein Rätsel die Ruh,
Und ein Rätsel der Schmerz, und ein Rätsel das Glück,
Und eS wandern die Wellen — nicht eine zurück!

oder wenn Berger in seiner Geburtstagselegie sagt:


An dem Tag, der das Rätsel mir anfgcib.
Denk' ich bewegt an den Tag, welcher das Rätsel mir löst.

Das ist trotz der dichterischen Form immer nur die Sprache des Denkers; den
poetischen Gehalt gewinnen diese und ähnliche Bekenntnisse durch die Leiden¬
schaft, mit der der Dichter auch diesen Wünschen seines Herzens nachhängt: es
ist philosophische Lyrik. Die Philvsvphenuatur verrät sich aber auch in der
Neigung zur Beschaulichkeit. In einem eignen erzählenden Gedichte wird die
Deukernatur gezeichnet: „Ein Denkerleben." Wie Sol'rades, von einem Ge¬
danken erfaßt, die Welt um sich vergessend, einen Tag laug in sich versunken
auf offnem Markte verbringen konnte, so vergißt Bergers philosophisch ange¬
legter Knabe auf der Stiche nach der Wirkung einer Falle im Walde die ganze
Welt und kehrt erst als Greis wieder zu seiner Heimat zurück. Als echter
Philosoph spricht Berger seinen „letzten Wunsch" dahin aus, daß er nicht
„ungefühlten Göttertod" nach Griechenart sterben mochte, vielmehr:


Meine Schmerzen, meine Wonnen
Hab' ich immer klar durchdacht;
Und so möcht' ich auch besonnen
Eingehn in die Todesnacht.
Die Verwicklung der Geschicke
Möcht' ich still sich lösen sehn
Und die letzten Augenblicke
Voll empfinden, ganz vergeh,,.

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[0236] Täglich in der Jugend Tagen Halt' ich eine seltne Stunde, Wo ich all die wohlbekannten Dinge, die mich rings nmschwiegen, Plötzlich ansah wie ein Wunder — Kein vcrwunschner Prinz im Märchen Kann mit nnmenlosrem Stannen Seinen Hundeleib betrachten, Seine Hnudestimme hören, Als ich, an mir niederblickend, Meinen Menschenleib betrachtet, Meine Mciischenstimine hörte. Das ist nach Plato das ursprüngliche Erlebnis des Philosophen, das l>«u^.«5^v, die philosophische Verwunderung über die elementarste Thatsache des Daseins. Und diese Philosophennatur spricht sich noch öfters aus, auch wenn sie (nicht sehr schon) ruft: Und ein Rätsel die Welt, und ein Rätsel anch dn, Und ein Rätsel der Kampf, und ein Rätsel die Ruh, Und ein Rätsel der Schmerz, und ein Rätsel das Glück, Und eS wandern die Wellen — nicht eine zurück! oder wenn Berger in seiner Geburtstagselegie sagt: An dem Tag, der das Rätsel mir anfgcib. Denk' ich bewegt an den Tag, welcher das Rätsel mir löst. Das ist trotz der dichterischen Form immer nur die Sprache des Denkers; den poetischen Gehalt gewinnen diese und ähnliche Bekenntnisse durch die Leiden¬ schaft, mit der der Dichter auch diesen Wünschen seines Herzens nachhängt: es ist philosophische Lyrik. Die Philvsvphenuatur verrät sich aber auch in der Neigung zur Beschaulichkeit. In einem eignen erzählenden Gedichte wird die Deukernatur gezeichnet: „Ein Denkerleben." Wie Sol'rades, von einem Ge¬ danken erfaßt, die Welt um sich vergessend, einen Tag laug in sich versunken auf offnem Markte verbringen konnte, so vergißt Bergers philosophisch ange¬ legter Knabe auf der Stiche nach der Wirkung einer Falle im Walde die ganze Welt und kehrt erst als Greis wieder zu seiner Heimat zurück. Als echter Philosoph spricht Berger seinen „letzten Wunsch" dahin aus, daß er nicht „ungefühlten Göttertod" nach Griechenart sterben mochte, vielmehr: Meine Schmerzen, meine Wonnen Hab' ich immer klar durchdacht; Und so möcht' ich auch besonnen Eingehn in die Todesnacht. Die Verwicklung der Geschicke Möcht' ich still sich lösen sehn Und die letzten Augenblicke Voll empfinden, ganz vergeh,,.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/236>, abgerufen am 23.07.2024.