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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die Aircheiipolitik des Großen Kurfürsten

War er aber so auf dem Gebiete der Gewissensfreiheit ein echter Pro¬
testant, so war er es nicht minder in der durchaus weltlichen Auffassung des
Verhältnisses von Staat und Kirche, Da er gegen alle religiösen Gemein¬
schaften Tnlduug übte, so konnte er auch keiner einzelnen irgend einen Einfluß
auf staatliche Dinge gewähren. Die weltliche Gewalt konnte unmöglich der
einen Kirche gegenüber als selbständig hingestellt werden, der andern gegenüber
als unselbständig. So hängt der Grundsatz der Duldung mit dem der Selb¬
ständigkeit der weltlichen Gewalt aufs engste zusammen. Auch in dem Begriff
der Selbständigkeit der weltlichen Gewalt liegt es, gegenüber allen kirchlichen
Gemeinschaften selbständig zu sein, wie es in dem Begriff der Duldung liegt,
allen Glaubensrichtungen sie zukommen zu küssen. Und so verbittet sich
deuil der Kurfürst jede Einmischung der geistlichen in weltliche Dinge. "Es
ist in unserm Herzogtum (Preußen) nie Herkommen, daß der Klerus in Laud-
uud politischen Sachen etwas zu sprechen hat," schreibt er an seinen Statt¬
halter in Königsberg. Auch über die Dinge, die auf dem Grenzgebiete der
Kirche und des Staates liegen, wahrt er der weltlichen Obrigkeit mit aller
Entschiedenheit ihr Recht, Er verbietet das theologische Studium auf solchen
Universitäten, wo die Jngend anstatt zu friedlichen Seelsorgern zu Fanatikern
herangebildet zu werden Gefahr kunst, wie es ihm z. B. damals in Wittenberg
zik sein schien, und er thut das kraft seines landesfürstlichen Nates, weil er
dafür sorgen müsse, daß der Jugend "das wahre Christentum, Gottesfurcht,
Liebe gegen die Obrigkeit und den Nächsten von ihren Seelsorgern und Lehr¬
meistern beigebracht und vermehrt werden möge," Auch hierin nahm der
Kurfürst die freie und kühne Denkweise der ersten reformatorischen Zeiten
wieder auf, in der Luther der weltlichen Obrigkeit selbst geraten hatte, die
dnrch die .Kirche eingerissenen Schäden zu Heilen und dein Verderben des ge¬
meinen Wesens zu steuern. Die ganze Schrift an den christlichen Adel der
deutschen Nation ist ja, wie Luthers Freund Lauge sagte, eine "Kriegs-
trvmpete," die Staatsgewalt aufzurufen zu ,,des christlichen Standes Besserung,"
sich um die Spitze des staatlich-kirchlichen Reformwerkes zu stellen und den
Anspruch der Kirche, alle Kreise des menschlichen Handelns in den Bereich
ihrer Herrschaft zu ziehen, ans den Grundsatz zurückzuführen: "Geistliche Gewalt
soll geistlich Gut regieren, wie das die Vernunft lehrt; geistlich Gut aber ist
nicht Geld uoch leiblich Ding, sondern Glaube und gute Werke." In diesem
Sinne hob Luther den Kirchenstaat auf, beschränkte den Papst auf seine geist¬
lichen Verrichtungen und verlangte Abschaffung aller geistlichen Mißbräuche
durch die weltliche Gewalt, da er es sehr bald aufgeben mußte, eine solche
Abschaffung durch die kirchliche Gewalt jemals hoffen zu dürfen. Was er in
Bezug auf das Abthun der Feste der Heiligen, die mir "Saufen, Spielen,
Müßiggang und allerlei Sünde" in ihrem Gefolge hätten, schreibt, das gilt
ihm überhaupt in Bezug auf das Abthnn jedes Mißbrauchs, der durch die


Grenzboten 1 1891 27
Die Aircheiipolitik des Großen Kurfürsten

War er aber so auf dem Gebiete der Gewissensfreiheit ein echter Pro¬
testant, so war er es nicht minder in der durchaus weltlichen Auffassung des
Verhältnisses von Staat und Kirche, Da er gegen alle religiösen Gemein¬
schaften Tnlduug übte, so konnte er auch keiner einzelnen irgend einen Einfluß
auf staatliche Dinge gewähren. Die weltliche Gewalt konnte unmöglich der
einen Kirche gegenüber als selbständig hingestellt werden, der andern gegenüber
als unselbständig. So hängt der Grundsatz der Duldung mit dem der Selb¬
ständigkeit der weltlichen Gewalt aufs engste zusammen. Auch in dem Begriff
der Selbständigkeit der weltlichen Gewalt liegt es, gegenüber allen kirchlichen
Gemeinschaften selbständig zu sein, wie es in dem Begriff der Duldung liegt,
allen Glaubensrichtungen sie zukommen zu küssen. Und so verbittet sich
deuil der Kurfürst jede Einmischung der geistlichen in weltliche Dinge. „Es
ist in unserm Herzogtum (Preußen) nie Herkommen, daß der Klerus in Laud-
uud politischen Sachen etwas zu sprechen hat," schreibt er an seinen Statt¬
halter in Königsberg. Auch über die Dinge, die auf dem Grenzgebiete der
Kirche und des Staates liegen, wahrt er der weltlichen Obrigkeit mit aller
Entschiedenheit ihr Recht, Er verbietet das theologische Studium auf solchen
Universitäten, wo die Jngend anstatt zu friedlichen Seelsorgern zu Fanatikern
herangebildet zu werden Gefahr kunst, wie es ihm z. B. damals in Wittenberg
zik sein schien, und er thut das kraft seines landesfürstlichen Nates, weil er
dafür sorgen müsse, daß der Jugend „das wahre Christentum, Gottesfurcht,
Liebe gegen die Obrigkeit und den Nächsten von ihren Seelsorgern und Lehr¬
meistern beigebracht und vermehrt werden möge," Auch hierin nahm der
Kurfürst die freie und kühne Denkweise der ersten reformatorischen Zeiten
wieder auf, in der Luther der weltlichen Obrigkeit selbst geraten hatte, die
dnrch die .Kirche eingerissenen Schäden zu Heilen und dein Verderben des ge¬
meinen Wesens zu steuern. Die ganze Schrift an den christlichen Adel der
deutschen Nation ist ja, wie Luthers Freund Lauge sagte, eine „Kriegs-
trvmpete," die Staatsgewalt aufzurufen zu ,,des christlichen Standes Besserung,"
sich um die Spitze des staatlich-kirchlichen Reformwerkes zu stellen und den
Anspruch der Kirche, alle Kreise des menschlichen Handelns in den Bereich
ihrer Herrschaft zu ziehen, ans den Grundsatz zurückzuführen: „Geistliche Gewalt
soll geistlich Gut regieren, wie das die Vernunft lehrt; geistlich Gut aber ist
nicht Geld uoch leiblich Ding, sondern Glaube und gute Werke." In diesem
Sinne hob Luther den Kirchenstaat auf, beschränkte den Papst auf seine geist¬
lichen Verrichtungen und verlangte Abschaffung aller geistlichen Mißbräuche
durch die weltliche Gewalt, da er es sehr bald aufgeben mußte, eine solche
Abschaffung durch die kirchliche Gewalt jemals hoffen zu dürfen. Was er in
Bezug auf das Abthun der Feste der Heiligen, die mir „Saufen, Spielen,
Müßiggang und allerlei Sünde" in ihrem Gefolge hätten, schreibt, das gilt
ihm überhaupt in Bezug auf das Abthnn jedes Mißbrauchs, der durch die


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[0217] Die Aircheiipolitik des Großen Kurfürsten War er aber so auf dem Gebiete der Gewissensfreiheit ein echter Pro¬ testant, so war er es nicht minder in der durchaus weltlichen Auffassung des Verhältnisses von Staat und Kirche, Da er gegen alle religiösen Gemein¬ schaften Tnlduug übte, so konnte er auch keiner einzelnen irgend einen Einfluß auf staatliche Dinge gewähren. Die weltliche Gewalt konnte unmöglich der einen Kirche gegenüber als selbständig hingestellt werden, der andern gegenüber als unselbständig. So hängt der Grundsatz der Duldung mit dem der Selb¬ ständigkeit der weltlichen Gewalt aufs engste zusammen. Auch in dem Begriff der Selbständigkeit der weltlichen Gewalt liegt es, gegenüber allen kirchlichen Gemeinschaften selbständig zu sein, wie es in dem Begriff der Duldung liegt, allen Glaubensrichtungen sie zukommen zu küssen. Und so verbittet sich deuil der Kurfürst jede Einmischung der geistlichen in weltliche Dinge. „Es ist in unserm Herzogtum (Preußen) nie Herkommen, daß der Klerus in Laud- uud politischen Sachen etwas zu sprechen hat," schreibt er an seinen Statt¬ halter in Königsberg. Auch über die Dinge, die auf dem Grenzgebiete der Kirche und des Staates liegen, wahrt er der weltlichen Obrigkeit mit aller Entschiedenheit ihr Recht, Er verbietet das theologische Studium auf solchen Universitäten, wo die Jngend anstatt zu friedlichen Seelsorgern zu Fanatikern herangebildet zu werden Gefahr kunst, wie es ihm z. B. damals in Wittenberg zik sein schien, und er thut das kraft seines landesfürstlichen Nates, weil er dafür sorgen müsse, daß der Jugend „das wahre Christentum, Gottesfurcht, Liebe gegen die Obrigkeit und den Nächsten von ihren Seelsorgern und Lehr¬ meistern beigebracht und vermehrt werden möge," Auch hierin nahm der Kurfürst die freie und kühne Denkweise der ersten reformatorischen Zeiten wieder auf, in der Luther der weltlichen Obrigkeit selbst geraten hatte, die dnrch die .Kirche eingerissenen Schäden zu Heilen und dein Verderben des ge¬ meinen Wesens zu steuern. Die ganze Schrift an den christlichen Adel der deutschen Nation ist ja, wie Luthers Freund Lauge sagte, eine „Kriegs- trvmpete," die Staatsgewalt aufzurufen zu ,,des christlichen Standes Besserung," sich um die Spitze des staatlich-kirchlichen Reformwerkes zu stellen und den Anspruch der Kirche, alle Kreise des menschlichen Handelns in den Bereich ihrer Herrschaft zu ziehen, ans den Grundsatz zurückzuführen: „Geistliche Gewalt soll geistlich Gut regieren, wie das die Vernunft lehrt; geistlich Gut aber ist nicht Geld uoch leiblich Ding, sondern Glaube und gute Werke." In diesem Sinne hob Luther den Kirchenstaat auf, beschränkte den Papst auf seine geist¬ lichen Verrichtungen und verlangte Abschaffung aller geistlichen Mißbräuche durch die weltliche Gewalt, da er es sehr bald aufgeben mußte, eine solche Abschaffung durch die kirchliche Gewalt jemals hoffen zu dürfen. Was er in Bezug auf das Abthun der Feste der Heiligen, die mir „Saufen, Spielen, Müßiggang und allerlei Sünde" in ihrem Gefolge hätten, schreibt, das gilt ihm überhaupt in Bezug auf das Abthnn jedes Mißbrauchs, der durch die Grenzboten 1 1891 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/217>, abgerufen am 23.07.2024.