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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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seinen Namen und seiner Vorliebe für Kant und Goethe nach zu urteilen ein
geborner Deutscher sein muß, ist klar, verständlich, platt und walter ok t"vt,
wie es der Bankee fordert. Mit dem "klar und verständlich" soll natürlich,
zumal hier, wo es sich um Philosophie handelt, nicht etwa ein Tadel aus¬
gedrückt werdem Überhaupt schicken wir der Kritik, die wir an dem System
des I)r. Carus zu üben gedenken, die Bemerkung voraus, daß sein Buch,
litterarisch betrachtet, vortrefflich ist. In einer Reihe in sich abgeschlossener,
schön, klar und anziehend geschriebner Aufsätze werden die wichtigsten philo¬
sophischen Fragen mit Sachkenntnis und unter Berücksichtigung der neuern
philosophischen Litteratur Englands und Deutschlands, aber in Anlehnung an
Kant behandelt und wird dem Leser ein formell abgerundetes Weltbild dar¬
geboten. Als Einleitung in die Philosophie mochten wir es freilich nicht
empfehlen, wie der Verleger thut, für Anfänger ist es ein gefährliches Buch;
die meisten, die es zur Hand nehmen, werden sich dem Eindrucke des Durch¬
sichtigen, Vollständiger, Abgerundeten, den dieser Gedankenbau macht, gefangen
geben, sich darin wohnlich einrichten und darüber hinaus nichts weiter ver¬
langen.

Sein Credo hat der Verfasser, der gegen das Wort Credo lebhaften
Protest erheben wird, auf dem Titelblatte mit den Worten ausgesprochen:
"Kein Agnostizismus, sondern positives Wissen, keine Mystik, sondern klares
Denken, weder Supernaturalismus noch Materialismus, sonder" Monismus,
kein Dogma, sondern Religion, kein Credo, sondern Glauben." Legen wir
gleich den Kern dieses neuesten Glaubens vor. Die Welt, d. h. der Inbegriff
alles Wirklichen, liegt erkennbar vor unsern Augen, und jenseits der Welt
giebt es nichts. Daher hat der Skeptizismus keine Berechtigung. In dem
Agnostizismus, wie Huxley seine Verzichtleistung auf die Erkenntnis der letzten
Ursache nennt, eine Verzichtleistung übrigens, mit der Kant den Neueren voran¬
gegangen ist, findet der Skeptizismus seinen letzten Schlupfwinkel. Das
Forschen nach der Weltursache beruht wie die Verzichtleistung darauf auf einem
Mißverständnis des Begriffs der Ursächlichkeit. Das Kausalitätsgesetz hat
nur innerhalb der Welt Geltung. Es besagt weiter nichts, als daß jedem
gegenwärtigen Zustand eines Dinges ein andrer vorhergegangen, und daß der
Wechsel der Zustüude an eine bestimmte Reihenfolge gebunden ist. Daß die
Welt in einem gegebnen Augenblicke so oder anders gemischt und gestaltet ist,
hat seine Ursache in ihrem unmittelbar vorhergegangene" Zustande; aber zu
fragen, wie es komme, daß überhaupt eine Welt, und zwar gerade diese Welt
da ist, das hat keinen Sinn, die Welt ist einmal da, und wir sind Teile
davon, basta! Auch hat es keinen Sinn, die Dinge sür bloße Erscheinungen
anzusehen, hinter denen sich ihr eigentliches, der Wahrnehmung unzugängliches
Wesen verberge. Wenn diese Einbildung auch neuere Philosophen narrt, so
trägt Kant keine Schuld daran; der hat vielmehr dieser Art von Metaphysik


seinen Namen und seiner Vorliebe für Kant und Goethe nach zu urteilen ein
geborner Deutscher sein muß, ist klar, verständlich, platt und walter ok t»vt,
wie es der Bankee fordert. Mit dem „klar und verständlich" soll natürlich,
zumal hier, wo es sich um Philosophie handelt, nicht etwa ein Tadel aus¬
gedrückt werdem Überhaupt schicken wir der Kritik, die wir an dem System
des I)r. Carus zu üben gedenken, die Bemerkung voraus, daß sein Buch,
litterarisch betrachtet, vortrefflich ist. In einer Reihe in sich abgeschlossener,
schön, klar und anziehend geschriebner Aufsätze werden die wichtigsten philo¬
sophischen Fragen mit Sachkenntnis und unter Berücksichtigung der neuern
philosophischen Litteratur Englands und Deutschlands, aber in Anlehnung an
Kant behandelt und wird dem Leser ein formell abgerundetes Weltbild dar¬
geboten. Als Einleitung in die Philosophie mochten wir es freilich nicht
empfehlen, wie der Verleger thut, für Anfänger ist es ein gefährliches Buch;
die meisten, die es zur Hand nehmen, werden sich dem Eindrucke des Durch¬
sichtigen, Vollständiger, Abgerundeten, den dieser Gedankenbau macht, gefangen
geben, sich darin wohnlich einrichten und darüber hinaus nichts weiter ver¬
langen.

Sein Credo hat der Verfasser, der gegen das Wort Credo lebhaften
Protest erheben wird, auf dem Titelblatte mit den Worten ausgesprochen:
„Kein Agnostizismus, sondern positives Wissen, keine Mystik, sondern klares
Denken, weder Supernaturalismus noch Materialismus, sonder» Monismus,
kein Dogma, sondern Religion, kein Credo, sondern Glauben." Legen wir
gleich den Kern dieses neuesten Glaubens vor. Die Welt, d. h. der Inbegriff
alles Wirklichen, liegt erkennbar vor unsern Augen, und jenseits der Welt
giebt es nichts. Daher hat der Skeptizismus keine Berechtigung. In dem
Agnostizismus, wie Huxley seine Verzichtleistung auf die Erkenntnis der letzten
Ursache nennt, eine Verzichtleistung übrigens, mit der Kant den Neueren voran¬
gegangen ist, findet der Skeptizismus seinen letzten Schlupfwinkel. Das
Forschen nach der Weltursache beruht wie die Verzichtleistung darauf auf einem
Mißverständnis des Begriffs der Ursächlichkeit. Das Kausalitätsgesetz hat
nur innerhalb der Welt Geltung. Es besagt weiter nichts, als daß jedem
gegenwärtigen Zustand eines Dinges ein andrer vorhergegangen, und daß der
Wechsel der Zustüude an eine bestimmte Reihenfolge gebunden ist. Daß die
Welt in einem gegebnen Augenblicke so oder anders gemischt und gestaltet ist,
hat seine Ursache in ihrem unmittelbar vorhergegangene» Zustande; aber zu
fragen, wie es komme, daß überhaupt eine Welt, und zwar gerade diese Welt
da ist, das hat keinen Sinn, die Welt ist einmal da, und wir sind Teile
davon, basta! Auch hat es keinen Sinn, die Dinge sür bloße Erscheinungen
anzusehen, hinter denen sich ihr eigentliches, der Wahrnehmung unzugängliches
Wesen verberge. Wenn diese Einbildung auch neuere Philosophen narrt, so
trägt Kant keine Schuld daran; der hat vielmehr dieser Art von Metaphysik


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/20>, abgerufen am 23.07.2024.