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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Führung der Handlung, wie die ,.Könige im Exil," aber noch schärfer in der
Satire ist der "Unsterbliche." Mir erscheint er als eine weitere Ausführung
jener trefflichen, in den "Knnstlerehen" enthaltenen Skizze "Was der Palmen¬
frack erzählte." Gegenstand des Angriffs ist die Pariser Akademie. Während
die "Könige im Exil" der republikanischen Eitelkeit geradezu schmeicheln
konnten, mußte dieser Roman das nationale Selbstgefühl arg verletzen. Es
gehörte daher kein geringer Mut dazu, ein Institut, dessen Mitglied zu
werden das höchste Ziel der Gelehrten und Künstler ist, in so schonungsloser
Weise zu geißeln. Alle Stationen, die ein solcher Unsterblicher auf seinem
nicht immer dornenlosen Nuhmeswege zurückzulegen hat, die Vewerbnngsbesuche,
die Intrigue" zu seinen Gunsten, die mehr oder minder bedenkliche Mit¬
wirkung der Frauen, die Wahl, die Aufnahme, ja selbst das pomphafte Leichen¬
begängnis werden uns ausführlich geschildert, oft mit jenem boshaft-ironischen
Ernst, der noch mehr zwischen den Zeilen lesen läßt, als er bestimmt cinsspricht.

Wie viel jene Übertreibung, die ein wesentlicher Zug der Satire ist, an
diesem Zerrbilde mitgearbeitet hat, das dürfte nur der Eingeweihte, der sich
nicht mehr durch würdevolle Formen oder äußeren Glanz über die innere
Armseligkeit und Leere täuschen läßt, anzugeben imstande sein. Aber gewiß
ist, daß Daudet ein so berühmtes, auch im Auslande hoch angesehenes Institut
nicht zum Gegenstand einer so bissigen und geradezu vernichtenden Kritik gemacht
haben würde, wenn sich ihm nicht mancherlei und zwar recht häßliche Blößen
dargeboten hätten. Auch stumpfsinnige Bewunderung und gedankenlose Ver¬
herrlichung schleppen sich wie eine ewige Krankheit fort, bis es einmal einem
Mutigen, dem der Respekt nicht die Augen blendet, einfällt, die ganze morsche
Herrlichkeit in greller Beleuchtung zu zeigen.

Ob Dnudets That eine wackere und patriotisch-verdienstliche war,
darüber mögen seine Landsleute entscheiden; für uns besitzt der Roman noch
einen andern Reiz. Er ist gewissermaßen ein Gegenstück zu Freytags
^.Verlorener Handschrift." Abgesehen von einigen ähnlichen Zügen -- die
Fälschungen des Magisters Knips und des Buchbinders Fage fallen am meisten
auf --, wie viel einfacher und glanzloser, aber auch wie viel gediegner und
würdiger stellt sich das Leben des deutschen Gelehrten dar! Freytag ist nicht
blind gegen seine Schwächen; Eifersucht, Eitelkeit, Mangel an Kollegialität
und andre harmlosere Fehler finden in seinem Buche Berücksichtigung, aber
sie sind im Tone jenes wohlwollenden Humors geschildert, der uns überzeugt,
daß wir es mit mehr lächerlichen, als verächtlichen Auswüchsen zu thun haben,
nirgends mit jener ätzenden Schärfe, die nichts ängstlicher meidet, als den
Verdacht, daß sie nicht völlig ernst gemeint und berechtigt sei.

Die Stärke Daudets beruht in der Satire, weniger im Humor. So
vollendet und reizend auch die oben rühmend hervorgehobenen humoristischen
Genrebildchen sein mögen, eigentlich humoristische Typen im großen Stil hat


Grenzboten I 1891 24

Führung der Handlung, wie die ,.Könige im Exil," aber noch schärfer in der
Satire ist der „Unsterbliche." Mir erscheint er als eine weitere Ausführung
jener trefflichen, in den „Knnstlerehen" enthaltenen Skizze „Was der Palmen¬
frack erzählte." Gegenstand des Angriffs ist die Pariser Akademie. Während
die „Könige im Exil" der republikanischen Eitelkeit geradezu schmeicheln
konnten, mußte dieser Roman das nationale Selbstgefühl arg verletzen. Es
gehörte daher kein geringer Mut dazu, ein Institut, dessen Mitglied zu
werden das höchste Ziel der Gelehrten und Künstler ist, in so schonungsloser
Weise zu geißeln. Alle Stationen, die ein solcher Unsterblicher auf seinem
nicht immer dornenlosen Nuhmeswege zurückzulegen hat, die Vewerbnngsbesuche,
die Intrigue» zu seinen Gunsten, die mehr oder minder bedenkliche Mit¬
wirkung der Frauen, die Wahl, die Aufnahme, ja selbst das pomphafte Leichen¬
begängnis werden uns ausführlich geschildert, oft mit jenem boshaft-ironischen
Ernst, der noch mehr zwischen den Zeilen lesen läßt, als er bestimmt cinsspricht.

Wie viel jene Übertreibung, die ein wesentlicher Zug der Satire ist, an
diesem Zerrbilde mitgearbeitet hat, das dürfte nur der Eingeweihte, der sich
nicht mehr durch würdevolle Formen oder äußeren Glanz über die innere
Armseligkeit und Leere täuschen läßt, anzugeben imstande sein. Aber gewiß
ist, daß Daudet ein so berühmtes, auch im Auslande hoch angesehenes Institut
nicht zum Gegenstand einer so bissigen und geradezu vernichtenden Kritik gemacht
haben würde, wenn sich ihm nicht mancherlei und zwar recht häßliche Blößen
dargeboten hätten. Auch stumpfsinnige Bewunderung und gedankenlose Ver¬
herrlichung schleppen sich wie eine ewige Krankheit fort, bis es einmal einem
Mutigen, dem der Respekt nicht die Augen blendet, einfällt, die ganze morsche
Herrlichkeit in greller Beleuchtung zu zeigen.

Ob Dnudets That eine wackere und patriotisch-verdienstliche war,
darüber mögen seine Landsleute entscheiden; für uns besitzt der Roman noch
einen andern Reiz. Er ist gewissermaßen ein Gegenstück zu Freytags
^.Verlorener Handschrift." Abgesehen von einigen ähnlichen Zügen — die
Fälschungen des Magisters Knips und des Buchbinders Fage fallen am meisten
auf —, wie viel einfacher und glanzloser, aber auch wie viel gediegner und
würdiger stellt sich das Leben des deutschen Gelehrten dar! Freytag ist nicht
blind gegen seine Schwächen; Eifersucht, Eitelkeit, Mangel an Kollegialität
und andre harmlosere Fehler finden in seinem Buche Berücksichtigung, aber
sie sind im Tone jenes wohlwollenden Humors geschildert, der uns überzeugt,
daß wir es mit mehr lächerlichen, als verächtlichen Auswüchsen zu thun haben,
nirgends mit jener ätzenden Schärfe, die nichts ängstlicher meidet, als den
Verdacht, daß sie nicht völlig ernst gemeint und berechtigt sei.

Die Stärke Daudets beruht in der Satire, weniger im Humor. So
vollendet und reizend auch die oben rühmend hervorgehobenen humoristischen
Genrebildchen sein mögen, eigentlich humoristische Typen im großen Stil hat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/193>, abgerufen am 23.07.2024.