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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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der komische Ernst, mit dem die barocksten Dinge erzählt werden, nicht selten von
außerordentlicher Wirkung. Aber das Buch besteht aus zwei ihrem Werte nach
sehr ungleichen Teilen; der zweite, der die Abenteuer in Afrika enthält, schlägt
häufig ins Triviale und Niedrig-Komische um und entbehrt zugleich trotz der
fremdländischen Szenerie und der fremdländischen Lebensverhältnisse der Ori¬
ginalität in der Erfindung der Situationen. Der erste dagegen sprudelt von
köstlicher Laune und ist reich an jenein phantastischen Humor, den wir in
einzelnen Stücken des Aristophanes bewundern. Die Charakteristik des Helden,
der halb "Don Quixote, halb Sancho Pansa," seine Vaterstadt durch seine
Wunderlichkeiten und Abenteuer so berühmt machen sollte, ist so witzig, die
Heldenthaten der Mützenjäger, der alte, allen Jährlich leiten entronnene Hase,
der tapfere Kommandant Bravida n. a. sind so frisch und launig geschildert,
die Entwicklung der Handlung ist so komisch und natürlich, daß schwerlich ein
Leser dem eigentümlichen Reiz dieses Humors gegenüber kühl bleiben wird.
Barbet selbst scheint an dieser Schöpfung große Freude gehabt zu haben.
Er beschäftigt sich nicht bloß im "Tartarin in den Alpen" noch einmal mit dem
wackeren Taraseonesen, sondern spricht auch in seinem Buch "Dreißig Jahre
Paris" mit Selbstgefühl über diesen von ihm geschaffenen Typus. Aber eine
so glückliche Figur Tartarin auch ist, höher noch steht der ebenfalls aus dem
Studium des südfranzösischen Charakters hervorgegangene Numa Roumestun
in dem gleichnamigen Roman.

Man hat als Original des Helden vielfach Gambetta angesehen. Daudet
selbst stellt die Nichtigkeit dieser Annahme in Abrede. Hat der bekannte
Staatsmann thatsächlich eine Anzahl ähnlicher Züge aufgewiesen, so erklärt
sich das einfach aus seiner Abstammung und ist nur ein Beweis für die
Naturwahrheit, mit der Daudet die Charaktereigenschaften des Südfranzosen
zum Ausdruck gebracht hat. Zwischen Tartarin und Unan Noumestau besteht
übrigens trotz vieler ähnlichen Züge ein großer Unterschied. Tartarin ist vom
Dichter als Karikatur gedacht und ausgeführt, Unan ist eine Figur, die er
ernst genommen wissen will. Dort überwiegt der Humor, hier die Satire;
dort sind die Situationen, in die der Held gerät, phantastischer Art, hier sind
es dem realen Leben entlehnte Konflikte, in die sich Numa verwickelt. Ab¬
gesehen von der tragikomischen Person des Tambourinspielers Valmajour, der
eine gelungene Mischung von bäurischen Prvtzentnm und künstlerischem Größen¬
wahn ist, tritt der Humor uur ganz beiläufig hervor, die Satire überwiegt.
Der Dichter scheint sich die Aufgabe gestellt zu haben, zu zeigen, wie sich der
Charakter des Südfranzosen in ernsten und großen Verhältnissen darstellt. Numa
ist der Typus des wortreichen, nach Popularität haschenden und vom Erfolg
begünstigten, aber charakterschwachen Helden der Tribüne, der auch in seiner
einflußreichen Stellung an den aus seiner Abstammung herzuleitenden Schwächen
krankt. Er hätte kühlen Stolz nötig, vorsichtiges Abwägen seiner Worte, vor-


der komische Ernst, mit dem die barocksten Dinge erzählt werden, nicht selten von
außerordentlicher Wirkung. Aber das Buch besteht aus zwei ihrem Werte nach
sehr ungleichen Teilen; der zweite, der die Abenteuer in Afrika enthält, schlägt
häufig ins Triviale und Niedrig-Komische um und entbehrt zugleich trotz der
fremdländischen Szenerie und der fremdländischen Lebensverhältnisse der Ori¬
ginalität in der Erfindung der Situationen. Der erste dagegen sprudelt von
köstlicher Laune und ist reich an jenein phantastischen Humor, den wir in
einzelnen Stücken des Aristophanes bewundern. Die Charakteristik des Helden,
der halb „Don Quixote, halb Sancho Pansa," seine Vaterstadt durch seine
Wunderlichkeiten und Abenteuer so berühmt machen sollte, ist so witzig, die
Heldenthaten der Mützenjäger, der alte, allen Jährlich leiten entronnene Hase,
der tapfere Kommandant Bravida n. a. sind so frisch und launig geschildert,
die Entwicklung der Handlung ist so komisch und natürlich, daß schwerlich ein
Leser dem eigentümlichen Reiz dieses Humors gegenüber kühl bleiben wird.
Barbet selbst scheint an dieser Schöpfung große Freude gehabt zu haben.
Er beschäftigt sich nicht bloß im „Tartarin in den Alpen" noch einmal mit dem
wackeren Taraseonesen, sondern spricht auch in seinem Buch „Dreißig Jahre
Paris" mit Selbstgefühl über diesen von ihm geschaffenen Typus. Aber eine
so glückliche Figur Tartarin auch ist, höher noch steht der ebenfalls aus dem
Studium des südfranzösischen Charakters hervorgegangene Numa Roumestun
in dem gleichnamigen Roman.

Man hat als Original des Helden vielfach Gambetta angesehen. Daudet
selbst stellt die Nichtigkeit dieser Annahme in Abrede. Hat der bekannte
Staatsmann thatsächlich eine Anzahl ähnlicher Züge aufgewiesen, so erklärt
sich das einfach aus seiner Abstammung und ist nur ein Beweis für die
Naturwahrheit, mit der Daudet die Charaktereigenschaften des Südfranzosen
zum Ausdruck gebracht hat. Zwischen Tartarin und Unan Noumestau besteht
übrigens trotz vieler ähnlichen Züge ein großer Unterschied. Tartarin ist vom
Dichter als Karikatur gedacht und ausgeführt, Unan ist eine Figur, die er
ernst genommen wissen will. Dort überwiegt der Humor, hier die Satire;
dort sind die Situationen, in die der Held gerät, phantastischer Art, hier sind
es dem realen Leben entlehnte Konflikte, in die sich Numa verwickelt. Ab¬
gesehen von der tragikomischen Person des Tambourinspielers Valmajour, der
eine gelungene Mischung von bäurischen Prvtzentnm und künstlerischem Größen¬
wahn ist, tritt der Humor uur ganz beiläufig hervor, die Satire überwiegt.
Der Dichter scheint sich die Aufgabe gestellt zu haben, zu zeigen, wie sich der
Charakter des Südfranzosen in ernsten und großen Verhältnissen darstellt. Numa
ist der Typus des wortreichen, nach Popularität haschenden und vom Erfolg
begünstigten, aber charakterschwachen Helden der Tribüne, der auch in seiner
einflußreichen Stellung an den aus seiner Abstammung herzuleitenden Schwächen
krankt. Er hätte kühlen Stolz nötig, vorsichtiges Abwägen seiner Worte, vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/191>, abgerufen am 23.07.2024.