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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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man keine Hotels, nur eine Reihe altrömischer Herbergen und Wirtschaften.
Das Verkehrsleben in der Via ti Ripetta, minder bewegt und glänzend als
das im Korso, erscheint in mancher Beziehung eigentümlicher, und um das
viclmißbranchte Wort anch einmal zu brauche", malerischer, man sieht Typen
römischen Bürger- und Volkslebens, die sich nicht wie die Modelle ans der
spanischen Treppe und in der atelierreichen Via Babnino, für die Maler und
die Fremden herausgeputzt haben, obwohl auch hier die Studiensäle des
"Königlichen Instituts für die schönen Künste" in nächster Nähe sind. Hier
ist wie fast in jeder großen Straße des päpstlichen Roms jede Straßenecke mit
einer Kirche bezeichnet, auf Santa Maria dei Miraevli folgen Santa Maria
della Providenza, Santa Maria Poren del Paradiso, San Rocco und San
Girolamo degli Schiavoni. San Rocco war die Kirche der alten Zunft der
Gastwirte und Fischer und muß noch in irgend einer Beziehung zu diesem
Ursprung stehen; wenigstens habe ich nirgends in Rom die kräftigen Gestalten
der Weinfnhrlente (o^rrc-tiuri. <ki vino) mit ihren grauen Schnabelhüten, ihren
roten Halstüchern, blauen Westen und Ledergnnmschen so zahlreich bei einander
gesehen, wie bei einer Vesper in dieser Kirche, die sonst wenig Bemerkenswertes
bietet.

In einem der stattlichen Häuser, die rechts und links von den Treppen
zum Tiberhafen hinab liegen, muß Goethes anmutige Mailänderin gewohnt
haben, von der er an einem sonnigen Apriltage 1788 von der Straße zum
Entresol hinauf jenen Abschied nahm, der ihm "nie aus Sinn und Seele ge¬
kommen ist." Man kann sich so unmittelbar an Ort und Stelle des Gedankens
nicht erwehren, wie dem schönen Mädchen nach Goethes Weggang zu Mute
gewesen sein und wie lauge sie dem Dichter eine Erinnerung bewahrt haben
mag. Es liegt eine farbige Dämmerung um Gestalt und Schicksale dieser
Italienerin, die namenlos zur Unsterblichkeit eingegangen ist; die Rührung, die
Goethe auch bei der spätesten Erinnerung an die Anmutige erfaßt, haucht auch
die Nachlebenden an, die von ihr nur durch seine Erzählung wissen. Und
indem man sich ihren Schatten heraufbeschwört, fühlt man wieder einmal,
wie viele, wie wunderbar mannichfache Gestalten von ehedem neben den
lebendigen des Teiges mit uus durch Rom wandeln.




man keine Hotels, nur eine Reihe altrömischer Herbergen und Wirtschaften.
Das Verkehrsleben in der Via ti Ripetta, minder bewegt und glänzend als
das im Korso, erscheint in mancher Beziehung eigentümlicher, und um das
viclmißbranchte Wort anch einmal zu brauche», malerischer, man sieht Typen
römischen Bürger- und Volkslebens, die sich nicht wie die Modelle ans der
spanischen Treppe und in der atelierreichen Via Babnino, für die Maler und
die Fremden herausgeputzt haben, obwohl auch hier die Studiensäle des
„Königlichen Instituts für die schönen Künste" in nächster Nähe sind. Hier
ist wie fast in jeder großen Straße des päpstlichen Roms jede Straßenecke mit
einer Kirche bezeichnet, auf Santa Maria dei Miraevli folgen Santa Maria
della Providenza, Santa Maria Poren del Paradiso, San Rocco und San
Girolamo degli Schiavoni. San Rocco war die Kirche der alten Zunft der
Gastwirte und Fischer und muß noch in irgend einer Beziehung zu diesem
Ursprung stehen; wenigstens habe ich nirgends in Rom die kräftigen Gestalten
der Weinfnhrlente (o^rrc-tiuri. <ki vino) mit ihren grauen Schnabelhüten, ihren
roten Halstüchern, blauen Westen und Ledergnnmschen so zahlreich bei einander
gesehen, wie bei einer Vesper in dieser Kirche, die sonst wenig Bemerkenswertes
bietet.

In einem der stattlichen Häuser, die rechts und links von den Treppen
zum Tiberhafen hinab liegen, muß Goethes anmutige Mailänderin gewohnt
haben, von der er an einem sonnigen Apriltage 1788 von der Straße zum
Entresol hinauf jenen Abschied nahm, der ihm „nie aus Sinn und Seele ge¬
kommen ist." Man kann sich so unmittelbar an Ort und Stelle des Gedankens
nicht erwehren, wie dem schönen Mädchen nach Goethes Weggang zu Mute
gewesen sein und wie lauge sie dem Dichter eine Erinnerung bewahrt haben
mag. Es liegt eine farbige Dämmerung um Gestalt und Schicksale dieser
Italienerin, die namenlos zur Unsterblichkeit eingegangen ist; die Rührung, die
Goethe auch bei der spätesten Erinnerung an die Anmutige erfaßt, haucht auch
die Nachlebenden an, die von ihr nur durch seine Erzählung wissen. Und
indem man sich ihren Schatten heraufbeschwört, fühlt man wieder einmal,
wie viele, wie wunderbar mannichfache Gestalten von ehedem neben den
lebendigen des Teiges mit uus durch Rom wandeln.




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[0091] man keine Hotels, nur eine Reihe altrömischer Herbergen und Wirtschaften. Das Verkehrsleben in der Via ti Ripetta, minder bewegt und glänzend als das im Korso, erscheint in mancher Beziehung eigentümlicher, und um das viclmißbranchte Wort anch einmal zu brauche», malerischer, man sieht Typen römischen Bürger- und Volkslebens, die sich nicht wie die Modelle ans der spanischen Treppe und in der atelierreichen Via Babnino, für die Maler und die Fremden herausgeputzt haben, obwohl auch hier die Studiensäle des „Königlichen Instituts für die schönen Künste" in nächster Nähe sind. Hier ist wie fast in jeder großen Straße des päpstlichen Roms jede Straßenecke mit einer Kirche bezeichnet, auf Santa Maria dei Miraevli folgen Santa Maria della Providenza, Santa Maria Poren del Paradiso, San Rocco und San Girolamo degli Schiavoni. San Rocco war die Kirche der alten Zunft der Gastwirte und Fischer und muß noch in irgend einer Beziehung zu diesem Ursprung stehen; wenigstens habe ich nirgends in Rom die kräftigen Gestalten der Weinfnhrlente (o^rrc-tiuri. <ki vino) mit ihren grauen Schnabelhüten, ihren roten Halstüchern, blauen Westen und Ledergnnmschen so zahlreich bei einander gesehen, wie bei einer Vesper in dieser Kirche, die sonst wenig Bemerkenswertes bietet. In einem der stattlichen Häuser, die rechts und links von den Treppen zum Tiberhafen hinab liegen, muß Goethes anmutige Mailänderin gewohnt haben, von der er an einem sonnigen Apriltage 1788 von der Straße zum Entresol hinauf jenen Abschied nahm, der ihm „nie aus Sinn und Seele ge¬ kommen ist." Man kann sich so unmittelbar an Ort und Stelle des Gedankens nicht erwehren, wie dem schönen Mädchen nach Goethes Weggang zu Mute gewesen sein und wie lauge sie dem Dichter eine Erinnerung bewahrt haben mag. Es liegt eine farbige Dämmerung um Gestalt und Schicksale dieser Italienerin, die namenlos zur Unsterblichkeit eingegangen ist; die Rührung, die Goethe auch bei der spätesten Erinnerung an die Anmutige erfaßt, haucht auch die Nachlebenden an, die von ihr nur durch seine Erzählung wissen. Und indem man sich ihren Schatten heraufbeschwört, fühlt man wieder einmal, wie viele, wie wunderbar mannichfache Gestalten von ehedem neben den lebendigen des Teiges mit uus durch Rom wandeln.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/91>, abgerufen am 23.07.2024.