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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Das Aufrücken der Lehrer an den höhern Unterrichtsanstalten Preußens

eintretender Vakanz einen jungen Herrn als letzten ordentlichen Lehrer anzu¬
stellen, erscheint uicht rätlich, weil der Betreffende Mitglied der Abiturienten-
Prüfungskommission werden soll; es muß ein älterer, erfahrener Lehrer sein.
Es muß also einer eingeschoben werden. Wo aber? Alle Lehrer haben
schon lange auf derselben Stelle gesessen und müssen endlich einmal aufrücken.
Da kommt es nun uicht felten vor, daß trotzdem, weil es gerade im Interesse
des Dienstes liegt, einer eingeschoben wird. Daß das Kollegium über diese"
Einschub nicht erfreut ist, daß der neue Kollege nicht mit offenen Armen em¬
pfangen wird und manchmal einen schweren Stand hat, kann man sich
wohl denken. Wir haben es erleben müssen, daß vor dem dritten Oberlehrer,
dem besten Pädagogen unsrer Anstalt, der bei den Revisionen durch den Ge¬
heimen Oberregiernngsrat und durch den Provinzialschnlrat mit dem größten
Lobe bedacht worden war, eine Einschiebung erfolgte, und zwar war der vor
ihm eingeschobene sogar im Dienstalter jünger. Ist es da zu verwundern,
wenn der so zurückgesetzte Oberlehrer, der uns jüngern Lehrern ein Ideal war,
eine Zeit lang bittere Bemerkungen fallen ließ? Muß nicht die Verufs-
freudigkeit sämtlicher Lehrer darunter leiden, wenn sie sehen müssen, daß ein
Lehrer trotz aller Vorzüge so zurückgesetzt wird? Muß sich da nicht jeder
sagen: Wie wird es erst dir in Zukunft ergehen, wenn einem so tüchtigen Lehrer
das begegnen kann?

Manchmal leidet aber auch, wenn sich die Behörde scheut, das Kollegium
zu verstimmen, der Dienst darunter. Man betrachte folgenden Fall. An einer
Anstalt, die in konfessionell gemischter Gegend gelegen ist, starb der erste Ober¬
lehrer, der evangelischer Religionslehrer war. Das Interesse des Dienstes er¬
heischte es, daß ein älterer, erfahrner Religionslehrer dahin geschickt wurde.
Nun war aber dieser erste Oberlehrer, wohl in Erwägung der genannten Um¬
stünde, schon eingeschoben worden. Abermals einzuschieben und das ganze
Kollegium darunter leiden zu lassen, trug die Behörde mit Recht Bedenken.
Was war nun zu thun? Die Behörde schickte einen jungen Hilfslehrer, der den
Religionsunterricht erteilen mußte. Kann aber da nicht sehr leicht das Interesse
der Kirche geschädigt werden? Denn das wird doch wohl jeder zugeben, daß
auf solche Posten nur erfahrne, ältere Lehrer gestellt werden dürfen! Gäbe
es ein Aufrücken nach Altersklassen in der Provinz oder im Staate, so würde
man ohne Bedenken einen ältern Lehrer im Interesse des Dienstes haben ver¬
setzen können.

Noch einen Fall wollen wir hervorhebelt, um die jetzige Einrichtung zu
beleuchten. In einer Provinz hatten sich 1882 zwei Oberlehrer politisch¬
agitatorisch bei der Wahl beteiligt. Sie wurden von der Behörde mit vollem
Rechte "strafversetzt." Da beide die zweiten Oberlehrerstelleu an ihren An¬
stalten innehalten, mußten sie tauschen. Der eine Oberlehrer war ein Mann
von 58 Jahren, der andre hatte noch nicht das 40. Jahr erreicht. Der ältere


Das Aufrücken der Lehrer an den höhern Unterrichtsanstalten Preußens

eintretender Vakanz einen jungen Herrn als letzten ordentlichen Lehrer anzu¬
stellen, erscheint uicht rätlich, weil der Betreffende Mitglied der Abiturienten-
Prüfungskommission werden soll; es muß ein älterer, erfahrener Lehrer sein.
Es muß also einer eingeschoben werden. Wo aber? Alle Lehrer haben
schon lange auf derselben Stelle gesessen und müssen endlich einmal aufrücken.
Da kommt es nun uicht felten vor, daß trotzdem, weil es gerade im Interesse
des Dienstes liegt, einer eingeschoben wird. Daß das Kollegium über diese«
Einschub nicht erfreut ist, daß der neue Kollege nicht mit offenen Armen em¬
pfangen wird und manchmal einen schweren Stand hat, kann man sich
wohl denken. Wir haben es erleben müssen, daß vor dem dritten Oberlehrer,
dem besten Pädagogen unsrer Anstalt, der bei den Revisionen durch den Ge¬
heimen Oberregiernngsrat und durch den Provinzialschnlrat mit dem größten
Lobe bedacht worden war, eine Einschiebung erfolgte, und zwar war der vor
ihm eingeschobene sogar im Dienstalter jünger. Ist es da zu verwundern,
wenn der so zurückgesetzte Oberlehrer, der uns jüngern Lehrern ein Ideal war,
eine Zeit lang bittere Bemerkungen fallen ließ? Muß nicht die Verufs-
freudigkeit sämtlicher Lehrer darunter leiden, wenn sie sehen müssen, daß ein
Lehrer trotz aller Vorzüge so zurückgesetzt wird? Muß sich da nicht jeder
sagen: Wie wird es erst dir in Zukunft ergehen, wenn einem so tüchtigen Lehrer
das begegnen kann?

Manchmal leidet aber auch, wenn sich die Behörde scheut, das Kollegium
zu verstimmen, der Dienst darunter. Man betrachte folgenden Fall. An einer
Anstalt, die in konfessionell gemischter Gegend gelegen ist, starb der erste Ober¬
lehrer, der evangelischer Religionslehrer war. Das Interesse des Dienstes er¬
heischte es, daß ein älterer, erfahrner Religionslehrer dahin geschickt wurde.
Nun war aber dieser erste Oberlehrer, wohl in Erwägung der genannten Um¬
stünde, schon eingeschoben worden. Abermals einzuschieben und das ganze
Kollegium darunter leiden zu lassen, trug die Behörde mit Recht Bedenken.
Was war nun zu thun? Die Behörde schickte einen jungen Hilfslehrer, der den
Religionsunterricht erteilen mußte. Kann aber da nicht sehr leicht das Interesse
der Kirche geschädigt werden? Denn das wird doch wohl jeder zugeben, daß
auf solche Posten nur erfahrne, ältere Lehrer gestellt werden dürfen! Gäbe
es ein Aufrücken nach Altersklassen in der Provinz oder im Staate, so würde
man ohne Bedenken einen ältern Lehrer im Interesse des Dienstes haben ver¬
setzen können.

Noch einen Fall wollen wir hervorhebelt, um die jetzige Einrichtung zu
beleuchten. In einer Provinz hatten sich 1882 zwei Oberlehrer politisch¬
agitatorisch bei der Wahl beteiligt. Sie wurden von der Behörde mit vollem
Rechte „strafversetzt." Da beide die zweiten Oberlehrerstelleu an ihren An¬
stalten innehalten, mußten sie tauschen. Der eine Oberlehrer war ein Mann
von 58 Jahren, der andre hatte noch nicht das 40. Jahr erreicht. Der ältere


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[0072] Das Aufrücken der Lehrer an den höhern Unterrichtsanstalten Preußens eintretender Vakanz einen jungen Herrn als letzten ordentlichen Lehrer anzu¬ stellen, erscheint uicht rätlich, weil der Betreffende Mitglied der Abiturienten- Prüfungskommission werden soll; es muß ein älterer, erfahrener Lehrer sein. Es muß also einer eingeschoben werden. Wo aber? Alle Lehrer haben schon lange auf derselben Stelle gesessen und müssen endlich einmal aufrücken. Da kommt es nun uicht felten vor, daß trotzdem, weil es gerade im Interesse des Dienstes liegt, einer eingeschoben wird. Daß das Kollegium über diese« Einschub nicht erfreut ist, daß der neue Kollege nicht mit offenen Armen em¬ pfangen wird und manchmal einen schweren Stand hat, kann man sich wohl denken. Wir haben es erleben müssen, daß vor dem dritten Oberlehrer, dem besten Pädagogen unsrer Anstalt, der bei den Revisionen durch den Ge¬ heimen Oberregiernngsrat und durch den Provinzialschnlrat mit dem größten Lobe bedacht worden war, eine Einschiebung erfolgte, und zwar war der vor ihm eingeschobene sogar im Dienstalter jünger. Ist es da zu verwundern, wenn der so zurückgesetzte Oberlehrer, der uns jüngern Lehrern ein Ideal war, eine Zeit lang bittere Bemerkungen fallen ließ? Muß nicht die Verufs- freudigkeit sämtlicher Lehrer darunter leiden, wenn sie sehen müssen, daß ein Lehrer trotz aller Vorzüge so zurückgesetzt wird? Muß sich da nicht jeder sagen: Wie wird es erst dir in Zukunft ergehen, wenn einem so tüchtigen Lehrer das begegnen kann? Manchmal leidet aber auch, wenn sich die Behörde scheut, das Kollegium zu verstimmen, der Dienst darunter. Man betrachte folgenden Fall. An einer Anstalt, die in konfessionell gemischter Gegend gelegen ist, starb der erste Ober¬ lehrer, der evangelischer Religionslehrer war. Das Interesse des Dienstes er¬ heischte es, daß ein älterer, erfahrner Religionslehrer dahin geschickt wurde. Nun war aber dieser erste Oberlehrer, wohl in Erwägung der genannten Um¬ stünde, schon eingeschoben worden. Abermals einzuschieben und das ganze Kollegium darunter leiden zu lassen, trug die Behörde mit Recht Bedenken. Was war nun zu thun? Die Behörde schickte einen jungen Hilfslehrer, der den Religionsunterricht erteilen mußte. Kann aber da nicht sehr leicht das Interesse der Kirche geschädigt werden? Denn das wird doch wohl jeder zugeben, daß auf solche Posten nur erfahrne, ältere Lehrer gestellt werden dürfen! Gäbe es ein Aufrücken nach Altersklassen in der Provinz oder im Staate, so würde man ohne Bedenken einen ältern Lehrer im Interesse des Dienstes haben ver¬ setzen können. Noch einen Fall wollen wir hervorhebelt, um die jetzige Einrichtung zu beleuchten. In einer Provinz hatten sich 1882 zwei Oberlehrer politisch¬ agitatorisch bei der Wahl beteiligt. Sie wurden von der Behörde mit vollem Rechte „strafversetzt." Da beide die zweiten Oberlehrerstelleu an ihren An¬ stalten innehalten, mußten sie tauschen. Der eine Oberlehrer war ein Mann von 58 Jahren, der andre hatte noch nicht das 40. Jahr erreicht. Der ältere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/72>, abgerufen am 23.07.2024.