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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Herrn Tobiassens Weihnachtsabend

senkten sich, das Gesicht wurde ganz kurz, der Mund breit, und die Nase trat
beherrschend hervor.

Wie viel kostet das Zeug zu einem Kleide? fragte er endlich.

Titte horchte ans, ob auch die Frage wirklich an sie gerichtet sei. Ja,
das war sie, denn unter den vollen Augenlidern blinzelten aus der Tiefe ein
paar Augen auf sie herab. Sie stotterte und suchte nach Worten.

Könnte er? War es möglich, das;? Hatte er vielleicht einen Schatz? Das
soll bei solchen alten Herren manchmal vorkommen.

Es war, als ob er ihr ihren Verdacht angesehen hätte, und das machte
ihn rasend.

Für ein Mädchen! krächzte er mit einem so unmenschlichen Nabeugeschrei,
daß Titte sich erschrocken nach dem Beistande der Hausfrau umsah.

So acht bis zehn Kronen, antwortete diese, die mehr Fassung behielt.

Hier, und nun befreie mich von dem Anblick, dich mit dem Riß im Ärmel
zu sehen; es ist nicht des Verbrennens wert, sagte er mürrisch, und gab ihr
einen Zehnkronenschein. Ihre großen Augen erglänzten von Thränen. Ge¬
schah es aus Dankbarkeit für das neue Kleid oder wegen der Demütigung,
daß man ihr das alte vorwarf? Wer konnte es wissen! Sie verneigte sich
zum Dank und sah doppelt so verlegen und doppelt so arm aus wie sonst.
Es schnitt ihm in das alte Narrenherz, dies zu sehen, und er hätte viel drum
gegeben, wenn er mit der Hand über den niedergebeugten Rnschelkopf, der
nicht erst mit Wasser gekämmt war, hätte streicheln können und wenn er im¬
stande gewesen wäre, mit freundlicher Stimme zu sagen: Armes Kind, ich
meinte es ja nicht böse. Aber das konnte er nicht. Er war verlegen, viel
verlegener als Titte.

Während er in Gesellschaft des Neffen die Treppe hinunterging mit
schweren, knarrenden Schritten, rechnete er verdrießlich ans, welches Loch diese
unnötigen Ausgaben in seine Kasse machte". Und dennoch mußte er natürlich
auch noch etwas sür des Neffen Kinder kaufe"! Weihnachten ist ja der Aus-
druck für eins der unverschämtesten Anspressnngssysteme, das konnte niemand
bestreiten. Und was sollte er "um für diese Kinder kaufen, die er doch nicht
mit Geld abspeisen konnte? Was kauft man für Kinder? Das wußte Herr
Tvbiasseu nicht. Konnte mau in einen Laden gehen, Geld auf den Tisch
werfen und sagen: Geben Sie mir hierfür Spielzeug?

Er war ganz erbittert, ganz voll Galle. Weshalb foll Weihnachten dein
aufgezwungen werden, der nichts davon wissen will? Er wollte nicht. Weshalb
kam er nnr nicht davon los!

Inzwischen waren sie hinunter ans die Straße gekommen. Es fror. Der
Schnee knarrte so, daß er fast unter den Füßen schrie.

Sie kamen an einem Spielwarenladen vorüber. Ich habe hier etwas
zu thu", murmelte der Alte mit verzweifelter Entschlossenheit.


Herrn Tobiassens Weihnachtsabend

senkten sich, das Gesicht wurde ganz kurz, der Mund breit, und die Nase trat
beherrschend hervor.

Wie viel kostet das Zeug zu einem Kleide? fragte er endlich.

Titte horchte ans, ob auch die Frage wirklich an sie gerichtet sei. Ja,
das war sie, denn unter den vollen Augenlidern blinzelten aus der Tiefe ein
paar Augen auf sie herab. Sie stotterte und suchte nach Worten.

Könnte er? War es möglich, das;? Hatte er vielleicht einen Schatz? Das
soll bei solchen alten Herren manchmal vorkommen.

Es war, als ob er ihr ihren Verdacht angesehen hätte, und das machte
ihn rasend.

Für ein Mädchen! krächzte er mit einem so unmenschlichen Nabeugeschrei,
daß Titte sich erschrocken nach dem Beistande der Hausfrau umsah.

So acht bis zehn Kronen, antwortete diese, die mehr Fassung behielt.

Hier, und nun befreie mich von dem Anblick, dich mit dem Riß im Ärmel
zu sehen; es ist nicht des Verbrennens wert, sagte er mürrisch, und gab ihr
einen Zehnkronenschein. Ihre großen Augen erglänzten von Thränen. Ge¬
schah es aus Dankbarkeit für das neue Kleid oder wegen der Demütigung,
daß man ihr das alte vorwarf? Wer konnte es wissen! Sie verneigte sich
zum Dank und sah doppelt so verlegen und doppelt so arm aus wie sonst.
Es schnitt ihm in das alte Narrenherz, dies zu sehen, und er hätte viel drum
gegeben, wenn er mit der Hand über den niedergebeugten Rnschelkopf, der
nicht erst mit Wasser gekämmt war, hätte streicheln können und wenn er im¬
stande gewesen wäre, mit freundlicher Stimme zu sagen: Armes Kind, ich
meinte es ja nicht böse. Aber das konnte er nicht. Er war verlegen, viel
verlegener als Titte.

Während er in Gesellschaft des Neffen die Treppe hinunterging mit
schweren, knarrenden Schritten, rechnete er verdrießlich ans, welches Loch diese
unnötigen Ausgaben in seine Kasse machte». Und dennoch mußte er natürlich
auch noch etwas sür des Neffen Kinder kaufe»! Weihnachten ist ja der Aus-
druck für eins der unverschämtesten Anspressnngssysteme, das konnte niemand
bestreiten. Und was sollte er »um für diese Kinder kaufen, die er doch nicht
mit Geld abspeisen konnte? Was kauft man für Kinder? Das wußte Herr
Tvbiasseu nicht. Konnte mau in einen Laden gehen, Geld auf den Tisch
werfen und sagen: Geben Sie mir hierfür Spielzeug?

Er war ganz erbittert, ganz voll Galle. Weshalb foll Weihnachten dein
aufgezwungen werden, der nichts davon wissen will? Er wollte nicht. Weshalb
kam er nnr nicht davon los!

Inzwischen waren sie hinunter ans die Straße gekommen. Es fror. Der
Schnee knarrte so, daß er fast unter den Füßen schrie.

Sie kamen an einem Spielwarenladen vorüber. Ich habe hier etwas
zu thu», murmelte der Alte mit verzweifelter Entschlossenheit.


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[0629] Herrn Tobiassens Weihnachtsabend senkten sich, das Gesicht wurde ganz kurz, der Mund breit, und die Nase trat beherrschend hervor. Wie viel kostet das Zeug zu einem Kleide? fragte er endlich. Titte horchte ans, ob auch die Frage wirklich an sie gerichtet sei. Ja, das war sie, denn unter den vollen Augenlidern blinzelten aus der Tiefe ein paar Augen auf sie herab. Sie stotterte und suchte nach Worten. Könnte er? War es möglich, das;? Hatte er vielleicht einen Schatz? Das soll bei solchen alten Herren manchmal vorkommen. Es war, als ob er ihr ihren Verdacht angesehen hätte, und das machte ihn rasend. Für ein Mädchen! krächzte er mit einem so unmenschlichen Nabeugeschrei, daß Titte sich erschrocken nach dem Beistande der Hausfrau umsah. So acht bis zehn Kronen, antwortete diese, die mehr Fassung behielt. Hier, und nun befreie mich von dem Anblick, dich mit dem Riß im Ärmel zu sehen; es ist nicht des Verbrennens wert, sagte er mürrisch, und gab ihr einen Zehnkronenschein. Ihre großen Augen erglänzten von Thränen. Ge¬ schah es aus Dankbarkeit für das neue Kleid oder wegen der Demütigung, daß man ihr das alte vorwarf? Wer konnte es wissen! Sie verneigte sich zum Dank und sah doppelt so verlegen und doppelt so arm aus wie sonst. Es schnitt ihm in das alte Narrenherz, dies zu sehen, und er hätte viel drum gegeben, wenn er mit der Hand über den niedergebeugten Rnschelkopf, der nicht erst mit Wasser gekämmt war, hätte streicheln können und wenn er im¬ stande gewesen wäre, mit freundlicher Stimme zu sagen: Armes Kind, ich meinte es ja nicht böse. Aber das konnte er nicht. Er war verlegen, viel verlegener als Titte. Während er in Gesellschaft des Neffen die Treppe hinunterging mit schweren, knarrenden Schritten, rechnete er verdrießlich ans, welches Loch diese unnötigen Ausgaben in seine Kasse machte». Und dennoch mußte er natürlich auch noch etwas sür des Neffen Kinder kaufe»! Weihnachten ist ja der Aus- druck für eins der unverschämtesten Anspressnngssysteme, das konnte niemand bestreiten. Und was sollte er »um für diese Kinder kaufen, die er doch nicht mit Geld abspeisen konnte? Was kauft man für Kinder? Das wußte Herr Tvbiasseu nicht. Konnte mau in einen Laden gehen, Geld auf den Tisch werfen und sagen: Geben Sie mir hierfür Spielzeug? Er war ganz erbittert, ganz voll Galle. Weshalb foll Weihnachten dein aufgezwungen werden, der nichts davon wissen will? Er wollte nicht. Weshalb kam er nnr nicht davon los! Inzwischen waren sie hinunter ans die Straße gekommen. Es fror. Der Schnee knarrte so, daß er fast unter den Füßen schrie. Sie kamen an einem Spielwarenladen vorüber. Ich habe hier etwas zu thu», murmelte der Alte mit verzweifelter Entschlossenheit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/629>, abgerufen am 23.07.2024.