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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Herr" Tobicissens Weihnachtsabend

Überzieher hatte und sich quälte in den andern Ärmel hineinzukommen, während
er mit eiligen Schritten durch den Borsaal reich dem Wohnraum der Familie
ging. Nachdem er sich durch ein hörbares Pochen angemeldet hatte, öffnete
er die Thür.

Nur die Kiuder waren drinnen. Das größte von ihnen, ein kleines
Mädchen, saß auf eiuer Fußbank und schien den beiden andern, die sichs auf dem
Fußboden vor ihm bequem gemacht hatten, Geschichten zu erzählen. Die Er¬
zählerin schwieg erstaunt und sah den alten Herrn an.

Ich möchte mit deiner Mutter sprechen, sagte er.

Das Älteste lief nach der Küche und kam bald darauf mit der Mutter
zurück. Herr Tvbicissen verzog sich in den Borsaal. wo es dunkel war, und
die Wirtin blieb in der geöffneten Thür vor ihm stehen.

Hier, ich wollte Sie bitten, etwas für die Kinder zu kaufen -- ich ver¬
stehe mich auf so etwas nicht. Und dann, in meinem Zimmer steht ein Christ¬
baum, ich gehe jetzt fort und komme erst sehr spät wieder, sodaß die Herr¬
schaften meine Räume ganz als die ihrigen betrachten können.

Tausend Dank, es ist wirklich zuviel! erwiderte die Frau bescheiden und
augenscheinlich überrascht, während sie in der Dunkelheit verstohlen nach dem
Gelde zu sehen bemüht war.

Es ist nur einmal Weihnachten im Jahre, sagte er mit einem Tone, der
sie sofort abkühlte und dahin brachte, den alten strengen Herrn wie ein ver¬
schüchtertes Kind anzublicken.

Er fühlte einen Stich im Herzen, dieser verstohlene Blick hätte seine ganze
Weihnachtsfreude stören können.

, Er war boshaft, er war hart, er war ein gemeiner alter Murrkopf. Er
gab sich alle erdenklichen Ehrentitel. Er war nicht wert, auf der Erde zu
wandeln. Hatte die Arme nicht Trübsal genng, mußte er ihr auch noch un¬
freundliche Dinge sagen?

Und nnn öffnete er die Thür nach seinem Zimmer und sagte: Jetzt bin
ich fertig.

Als beide die halbe Treppe hinunter waren, kehrte Herr Tobiassen noch
einmal um, sprang wieder hinauf und donnerte an die Küchenthür.

Ist Titte hier? fragte er barsch, als die Wirtin öffnete.

Titte! rief diese.

Titte! wiederholten die kleinen zarten Stimmen von innen.

Und Titte kam atemlos angesprungen. Guter Gott, das alte Ungeheuer
könnte ja auf deu Gedanken kommen, zu Neujahr auszuziehen, wenn mans
ihm nicht recht machte.

Er sah Titte an und wußte eigentlich nicht recht, was er sagen sollte.
Und diese seine Unentschlossenheit nahm einen eignen Ausdruck an: das
Kautschukkinn schob sich hinauf gegen die Nase, die buschigen Augenbrauen


Herr» Tobicissens Weihnachtsabend

Überzieher hatte und sich quälte in den andern Ärmel hineinzukommen, während
er mit eiligen Schritten durch den Borsaal reich dem Wohnraum der Familie
ging. Nachdem er sich durch ein hörbares Pochen angemeldet hatte, öffnete
er die Thür.

Nur die Kiuder waren drinnen. Das größte von ihnen, ein kleines
Mädchen, saß auf eiuer Fußbank und schien den beiden andern, die sichs auf dem
Fußboden vor ihm bequem gemacht hatten, Geschichten zu erzählen. Die Er¬
zählerin schwieg erstaunt und sah den alten Herrn an.

Ich möchte mit deiner Mutter sprechen, sagte er.

Das Älteste lief nach der Küche und kam bald darauf mit der Mutter
zurück. Herr Tvbicissen verzog sich in den Borsaal. wo es dunkel war, und
die Wirtin blieb in der geöffneten Thür vor ihm stehen.

Hier, ich wollte Sie bitten, etwas für die Kinder zu kaufen — ich ver¬
stehe mich auf so etwas nicht. Und dann, in meinem Zimmer steht ein Christ¬
baum, ich gehe jetzt fort und komme erst sehr spät wieder, sodaß die Herr¬
schaften meine Räume ganz als die ihrigen betrachten können.

Tausend Dank, es ist wirklich zuviel! erwiderte die Frau bescheiden und
augenscheinlich überrascht, während sie in der Dunkelheit verstohlen nach dem
Gelde zu sehen bemüht war.

Es ist nur einmal Weihnachten im Jahre, sagte er mit einem Tone, der
sie sofort abkühlte und dahin brachte, den alten strengen Herrn wie ein ver¬
schüchtertes Kind anzublicken.

Er fühlte einen Stich im Herzen, dieser verstohlene Blick hätte seine ganze
Weihnachtsfreude stören können.

, Er war boshaft, er war hart, er war ein gemeiner alter Murrkopf. Er
gab sich alle erdenklichen Ehrentitel. Er war nicht wert, auf der Erde zu
wandeln. Hatte die Arme nicht Trübsal genng, mußte er ihr auch noch un¬
freundliche Dinge sagen?

Und nnn öffnete er die Thür nach seinem Zimmer und sagte: Jetzt bin
ich fertig.

Als beide die halbe Treppe hinunter waren, kehrte Herr Tobiassen noch
einmal um, sprang wieder hinauf und donnerte an die Küchenthür.

Ist Titte hier? fragte er barsch, als die Wirtin öffnete.

Titte! rief diese.

Titte! wiederholten die kleinen zarten Stimmen von innen.

Und Titte kam atemlos angesprungen. Guter Gott, das alte Ungeheuer
könnte ja auf deu Gedanken kommen, zu Neujahr auszuziehen, wenn mans
ihm nicht recht machte.

Er sah Titte an und wußte eigentlich nicht recht, was er sagen sollte.
Und diese seine Unentschlossenheit nahm einen eignen Ausdruck an: das
Kautschukkinn schob sich hinauf gegen die Nase, die buschigen Augenbrauen


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[0628] Herr» Tobicissens Weihnachtsabend Überzieher hatte und sich quälte in den andern Ärmel hineinzukommen, während er mit eiligen Schritten durch den Borsaal reich dem Wohnraum der Familie ging. Nachdem er sich durch ein hörbares Pochen angemeldet hatte, öffnete er die Thür. Nur die Kiuder waren drinnen. Das größte von ihnen, ein kleines Mädchen, saß auf eiuer Fußbank und schien den beiden andern, die sichs auf dem Fußboden vor ihm bequem gemacht hatten, Geschichten zu erzählen. Die Er¬ zählerin schwieg erstaunt und sah den alten Herrn an. Ich möchte mit deiner Mutter sprechen, sagte er. Das Älteste lief nach der Küche und kam bald darauf mit der Mutter zurück. Herr Tvbicissen verzog sich in den Borsaal. wo es dunkel war, und die Wirtin blieb in der geöffneten Thür vor ihm stehen. Hier, ich wollte Sie bitten, etwas für die Kinder zu kaufen — ich ver¬ stehe mich auf so etwas nicht. Und dann, in meinem Zimmer steht ein Christ¬ baum, ich gehe jetzt fort und komme erst sehr spät wieder, sodaß die Herr¬ schaften meine Räume ganz als die ihrigen betrachten können. Tausend Dank, es ist wirklich zuviel! erwiderte die Frau bescheiden und augenscheinlich überrascht, während sie in der Dunkelheit verstohlen nach dem Gelde zu sehen bemüht war. Es ist nur einmal Weihnachten im Jahre, sagte er mit einem Tone, der sie sofort abkühlte und dahin brachte, den alten strengen Herrn wie ein ver¬ schüchtertes Kind anzublicken. Er fühlte einen Stich im Herzen, dieser verstohlene Blick hätte seine ganze Weihnachtsfreude stören können. , Er war boshaft, er war hart, er war ein gemeiner alter Murrkopf. Er gab sich alle erdenklichen Ehrentitel. Er war nicht wert, auf der Erde zu wandeln. Hatte die Arme nicht Trübsal genng, mußte er ihr auch noch un¬ freundliche Dinge sagen? Und nnn öffnete er die Thür nach seinem Zimmer und sagte: Jetzt bin ich fertig. Als beide die halbe Treppe hinunter waren, kehrte Herr Tobiassen noch einmal um, sprang wieder hinauf und donnerte an die Küchenthür. Ist Titte hier? fragte er barsch, als die Wirtin öffnete. Titte! rief diese. Titte! wiederholten die kleinen zarten Stimmen von innen. Und Titte kam atemlos angesprungen. Guter Gott, das alte Ungeheuer könnte ja auf deu Gedanken kommen, zu Neujahr auszuziehen, wenn mans ihm nicht recht machte. Er sah Titte an und wußte eigentlich nicht recht, was er sagen sollte. Und diese seine Unentschlossenheit nahm einen eignen Ausdruck an: das Kautschukkinn schob sich hinauf gegen die Nase, die buschigen Augenbrauen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/628>, abgerufen am 25.08.2024.