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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Herrn Toliiassens Weihnachtsabend

Hier lachte der Skeptiker überlegen. Das kam davon, wenn man sich
um andre kümmerte! Nein, man soll nur sich selbst leben. Nur einem kann
man es zu Dank machen, mag dieser eine also man selbst sein!

Herr Tobiassen kam sich geistreich vor. Das war ja ein Aphorismus,
den er fertig gebracht hatte -- ein wirklicher Aphorismus --, und fast mit
cynischen Appetit verzehrte er das Rindfleisch, das nach der Suppe kam.
Als er bei den Katharinenpflaumen angelangt war, war 'er zufrieden mit sich
selbst, ohne deu geringsten Vorbehalt.

Aber es war dumpfig da unter, und es that gut, wieder auf die Straße
zu kommen.

Auf der Erde lag Schnee. Die Lampen brannten, Schlitten klingelte"
hin und her, selbst dieser Klang hatte etwa'? von frischer Luft und Kälte.

Er vergrub die Hände in die Tasche" des Überrockes und fing an zu
gehen. Wie war doch alles hier so anders als in Lund! Es war so groß
und schön, allein durch diese fremde Stadt zu gehen. Das gesiel ihm, und
er sog die Luft in tiefen Zügen ein, die die Brust erweiterten.

Aber es ist merkwürdig mit dein heiligem Abend! Die Luft ist eine
andre, das Licht hat einen andern Schein, und die Erinnerungen kommen ge¬
zogen, sorgenvolle Stimmungen, kindliche Gedanken und eine wunderliche Sehn¬
sucht nach -- Glück!

Aha, ja, war er nun wieder dabei angelangt! Nein, der Weihnachtsabend
war eine dumme Einrichtung. Was hinderte ihn daran, ihn zu ignoriren?
ihm geradezu Trotz zu bieten?

° Er drehte sich hastig um und ging nach dem Stureplntz. Er wollte einen
Spaziergang durch Kvnigsgarten machen. Was ging es ihn an, daß andre
Eile hatten, oder daß andre dorthin gingen', wo sie erwartet wurden?

Er spazierte langsam das Trottoir entlang, vorüber an den erleuchtete"
Schaufenstern. Auf dem Stureplatz war es halbdunkel. Welch eine Menge
Tannenbüume! Sie zogen gleichsam das Dunkel a" sich, behielten es zwischen
sich. Sie standen auf Hvlzfüßeu, sie lagen zur Erde, große Tannen, kleine
Tannen, Tannen für die Armen, Tannen für die Reichen. Ein würziger
Geruch vo" Nadeln "ut frischgesch"ille"em Wachholder kam eine": bei jede""
Atemzug entgegen; Weihnachten lag in der Luft.

Seine Wirtsleute, meinte er, würden keinen Baum habe", dazu fehlte
ihnen das Geld. Sie hatten versucht, dies den Kindern begreiflich zu machen,
aber diese hatten es nicht fassen können. Sie sollten ja den ganzen Tag hübsch
still und artig sein, warum sollten sie keine Tanne haben? Er hatte das um
Morgen gehört durch die dünne Bretterwand, als er beim Ankleiden war.

, Welch ein Riese vou einem Tannenbaum, dunkel, voll und stark!

Was kostet er? fragte er ~ "ur ans Neugierde, denn er war ein neu¬
gieriger alter Herr.


Herrn Toliiassens Weihnachtsabend

Hier lachte der Skeptiker überlegen. Das kam davon, wenn man sich
um andre kümmerte! Nein, man soll nur sich selbst leben. Nur einem kann
man es zu Dank machen, mag dieser eine also man selbst sein!

Herr Tobiassen kam sich geistreich vor. Das war ja ein Aphorismus,
den er fertig gebracht hatte — ein wirklicher Aphorismus —, und fast mit
cynischen Appetit verzehrte er das Rindfleisch, das nach der Suppe kam.
Als er bei den Katharinenpflaumen angelangt war, war 'er zufrieden mit sich
selbst, ohne deu geringsten Vorbehalt.

Aber es war dumpfig da unter, und es that gut, wieder auf die Straße
zu kommen.

Auf der Erde lag Schnee. Die Lampen brannten, Schlitten klingelte»
hin und her, selbst dieser Klang hatte etwa'? von frischer Luft und Kälte.

Er vergrub die Hände in die Tasche» des Überrockes und fing an zu
gehen. Wie war doch alles hier so anders als in Lund! Es war so groß
und schön, allein durch diese fremde Stadt zu gehen. Das gesiel ihm, und
er sog die Luft in tiefen Zügen ein, die die Brust erweiterten.

Aber es ist merkwürdig mit dein heiligem Abend! Die Luft ist eine
andre, das Licht hat einen andern Schein, und die Erinnerungen kommen ge¬
zogen, sorgenvolle Stimmungen, kindliche Gedanken und eine wunderliche Sehn¬
sucht nach — Glück!

Aha, ja, war er nun wieder dabei angelangt! Nein, der Weihnachtsabend
war eine dumme Einrichtung. Was hinderte ihn daran, ihn zu ignoriren?
ihm geradezu Trotz zu bieten?

° Er drehte sich hastig um und ging nach dem Stureplntz. Er wollte einen
Spaziergang durch Kvnigsgarten machen. Was ging es ihn an, daß andre
Eile hatten, oder daß andre dorthin gingen', wo sie erwartet wurden?

Er spazierte langsam das Trottoir entlang, vorüber an den erleuchtete»
Schaufenstern. Auf dem Stureplatz war es halbdunkel. Welch eine Menge
Tannenbüume! Sie zogen gleichsam das Dunkel a» sich, behielten es zwischen
sich. Sie standen auf Hvlzfüßeu, sie lagen zur Erde, große Tannen, kleine
Tannen, Tannen für die Armen, Tannen für die Reichen. Ein würziger
Geruch vo» Nadeln »ut frischgesch»ille»em Wachholder kam eine»: bei jede»«
Atemzug entgegen; Weihnachten lag in der Luft.

Seine Wirtsleute, meinte er, würden keinen Baum habe», dazu fehlte
ihnen das Geld. Sie hatten versucht, dies den Kindern begreiflich zu machen,
aber diese hatten es nicht fassen können. Sie sollten ja den ganzen Tag hübsch
still und artig sein, warum sollten sie keine Tanne haben? Er hatte das um
Morgen gehört durch die dünne Bretterwand, als er beim Ankleiden war.

, Welch ein Riese vou einem Tannenbaum, dunkel, voll und stark!

Was kostet er? fragte er ~ »ur ans Neugierde, denn er war ein neu¬
gieriger alter Herr.


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[0624] Herrn Toliiassens Weihnachtsabend Hier lachte der Skeptiker überlegen. Das kam davon, wenn man sich um andre kümmerte! Nein, man soll nur sich selbst leben. Nur einem kann man es zu Dank machen, mag dieser eine also man selbst sein! Herr Tobiassen kam sich geistreich vor. Das war ja ein Aphorismus, den er fertig gebracht hatte — ein wirklicher Aphorismus —, und fast mit cynischen Appetit verzehrte er das Rindfleisch, das nach der Suppe kam. Als er bei den Katharinenpflaumen angelangt war, war 'er zufrieden mit sich selbst, ohne deu geringsten Vorbehalt. Aber es war dumpfig da unter, und es that gut, wieder auf die Straße zu kommen. Auf der Erde lag Schnee. Die Lampen brannten, Schlitten klingelte» hin und her, selbst dieser Klang hatte etwa'? von frischer Luft und Kälte. Er vergrub die Hände in die Tasche» des Überrockes und fing an zu gehen. Wie war doch alles hier so anders als in Lund! Es war so groß und schön, allein durch diese fremde Stadt zu gehen. Das gesiel ihm, und er sog die Luft in tiefen Zügen ein, die die Brust erweiterten. Aber es ist merkwürdig mit dein heiligem Abend! Die Luft ist eine andre, das Licht hat einen andern Schein, und die Erinnerungen kommen ge¬ zogen, sorgenvolle Stimmungen, kindliche Gedanken und eine wunderliche Sehn¬ sucht nach — Glück! Aha, ja, war er nun wieder dabei angelangt! Nein, der Weihnachtsabend war eine dumme Einrichtung. Was hinderte ihn daran, ihn zu ignoriren? ihm geradezu Trotz zu bieten? ° Er drehte sich hastig um und ging nach dem Stureplntz. Er wollte einen Spaziergang durch Kvnigsgarten machen. Was ging es ihn an, daß andre Eile hatten, oder daß andre dorthin gingen', wo sie erwartet wurden? Er spazierte langsam das Trottoir entlang, vorüber an den erleuchtete» Schaufenstern. Auf dem Stureplatz war es halbdunkel. Welch eine Menge Tannenbüume! Sie zogen gleichsam das Dunkel a» sich, behielten es zwischen sich. Sie standen auf Hvlzfüßeu, sie lagen zur Erde, große Tannen, kleine Tannen, Tannen für die Armen, Tannen für die Reichen. Ein würziger Geruch vo» Nadeln »ut frischgesch»ille»em Wachholder kam eine»: bei jede»« Atemzug entgegen; Weihnachten lag in der Luft. Seine Wirtsleute, meinte er, würden keinen Baum habe», dazu fehlte ihnen das Geld. Sie hatten versucht, dies den Kindern begreiflich zu machen, aber diese hatten es nicht fassen können. Sie sollten ja den ganzen Tag hübsch still und artig sein, warum sollten sie keine Tanne haben? Er hatte das um Morgen gehört durch die dünne Bretterwand, als er beim Ankleiden war. , Welch ein Riese vou einem Tannenbaum, dunkel, voll und stark! Was kostet er? fragte er ~ »ur ans Neugierde, denn er war ein neu¬ gieriger alter Herr.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/624>, abgerufen am 25.08.2024.