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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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wnndrs System der Philosophie

sähe der äuszern Berichtigung und innern Beschränkung der Hypothese er¬
fordert und dazu die logische Bearbeitung des Dingbegriffes, der Zusammen¬
hang der Ersahrungen unter dem. Prinzip der widerspruchslosen Verknüpfung
in Erinnerung gebracht. Hier aber, wo die Möglichkeit transcendenter Be¬
griffsbildungen zum Bedürfnis wird, tritt die Ergänzung in Kraft, die der
Verstandeserkenntnis durch die Vernunft, als dem Vermögen einer rein idealen
Begriffsbildung, zuteil wird. Um schon im Ausdruck die Verschiedenheit
dieser ergänzenden Gesichtspunkte von deu hypothetischen Begriffsbildungeu
des Verstandes anzudeuten, empfiehlt sich die Beibehaltung der dnrch Kant
neuerworbenen und geläuterten Bezeichnung "Ideen."

Die Untersuchung der BernnnftertenntuiS hat daher zunächst die Berech¬
tigung der Vernuuftideen zu prüfen, und sie erledigt denn auch diese Aufgabe
auf der Grundlage der drei Kantischen Transeendentalprobleme (Frage mich
der Totalität der Natur, der absoluten Einheit des denkenden Subjekts, der
letzten Bedingung des Seins und Denkens). Sie hat aber auch ihre allgemeinen
logischen Grundlagen nachzuweisen und thut dies zunächst an der Idee der
Transcendenz, als des letzten Grundes für die Totalität alles Seins über
die gegebenen Grenzen der Erfahrung hinaus. Den überzeugenden Beleg für
die innere Notwendigkeit eines solchen idealen Fortschreitens im Denken liefert
die Mathematik. Sie erschöpft bereits die beiden grundlegenden Arten dieses
fortschreitens - in rein quantitativer Hinsicht (Nealtranseendenz) und in quali¬
tativer Hinsicht tJuttigiuärtrauseendeuz), die mau demnach als die allgemei¬
nen Bedingungen der philosophischen Transcendenz überhaupt auffasse" kann.
Die drei oben genannten Probleme, das kosmvlogische, das psychologische und
das ontologische, bauen sich auf einander auf und bereiten einander vor. Die
Beziehung der transcendenter Ideen zu alleu denkbare" metaphysischen Welt¬
anschauungen wird dargethan.

Bevor aber die Erörterung der transseendenten Ideen im einzelnen möglich
wird, ist die logische Entwicklung der Grundforme" der Verstaudesbegriffe,
ihrer formalen Vorbedingung, notwendig, damit der rein formale Charakter
dieser Ideen der Transcendenz deutlich in die Augen springe. Hier aber gebt
Wunde von Kants Kategvrieulehre, die in ihrer Einseitigkeit die letzten Be¬
ziehungen nicht erschöpft, auf die verwendbaren Begriffsklasseu des Aristoteles
zurück. Es handelt sich im wesentlichen um die Erzielung der allgemeinsten
Erfahrungsbegriffe. Eine Auseinandersetzung dieser wichtigen Frage, die ohne
Zweifel auf einen schwachen Punkt in dem Kantischen System zurückführt, ist
hier nicht am Platze. Wir begnügen uns damit sie angeführt zu haben mit
verzeichnen das Schema der von Wundt unterschiedenen Kategorien: Reine
Fvrmbegriffc sind l. Mannichfaltigkeit, Zahl, 3. Funktion; reine Wirklich¬
keitsbegriffe I. Substanz, 2. .Kausalität, 3. Zweck. In deu hieraugekuüpsteu
Erörterungen kommen bereits die wichtigsten Fragen der gegenwärtigen Natur


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sähe der äuszern Berichtigung und innern Beschränkung der Hypothese er¬
fordert und dazu die logische Bearbeitung des Dingbegriffes, der Zusammen¬
hang der Ersahrungen unter dem. Prinzip der widerspruchslosen Verknüpfung
in Erinnerung gebracht. Hier aber, wo die Möglichkeit transcendenter Be¬
griffsbildungen zum Bedürfnis wird, tritt die Ergänzung in Kraft, die der
Verstandeserkenntnis durch die Vernunft, als dem Vermögen einer rein idealen
Begriffsbildung, zuteil wird. Um schon im Ausdruck die Verschiedenheit
dieser ergänzenden Gesichtspunkte von deu hypothetischen Begriffsbildungeu
des Verstandes anzudeuten, empfiehlt sich die Beibehaltung der dnrch Kant
neuerworbenen und geläuterten Bezeichnung „Ideen."

Die Untersuchung der BernnnftertenntuiS hat daher zunächst die Berech¬
tigung der Vernuuftideen zu prüfen, und sie erledigt denn auch diese Aufgabe
auf der Grundlage der drei Kantischen Transeendentalprobleme (Frage mich
der Totalität der Natur, der absoluten Einheit des denkenden Subjekts, der
letzten Bedingung des Seins und Denkens). Sie hat aber auch ihre allgemeinen
logischen Grundlagen nachzuweisen und thut dies zunächst an der Idee der
Transcendenz, als des letzten Grundes für die Totalität alles Seins über
die gegebenen Grenzen der Erfahrung hinaus. Den überzeugenden Beleg für
die innere Notwendigkeit eines solchen idealen Fortschreitens im Denken liefert
die Mathematik. Sie erschöpft bereits die beiden grundlegenden Arten dieses
fortschreitens - in rein quantitativer Hinsicht (Nealtranseendenz) und in quali¬
tativer Hinsicht tJuttigiuärtrauseendeuz), die mau demnach als die allgemei¬
nen Bedingungen der philosophischen Transcendenz überhaupt auffasse» kann.
Die drei oben genannten Probleme, das kosmvlogische, das psychologische und
das ontologische, bauen sich auf einander auf und bereiten einander vor. Die
Beziehung der transcendenter Ideen zu alleu denkbare» metaphysischen Welt¬
anschauungen wird dargethan.

Bevor aber die Erörterung der transseendenten Ideen im einzelnen möglich
wird, ist die logische Entwicklung der Grundforme» der Verstaudesbegriffe,
ihrer formalen Vorbedingung, notwendig, damit der rein formale Charakter
dieser Ideen der Transcendenz deutlich in die Augen springe. Hier aber gebt
Wunde von Kants Kategvrieulehre, die in ihrer Einseitigkeit die letzten Be¬
ziehungen nicht erschöpft, auf die verwendbaren Begriffsklasseu des Aristoteles
zurück. Es handelt sich im wesentlichen um die Erzielung der allgemeinsten
Erfahrungsbegriffe. Eine Auseinandersetzung dieser wichtigen Frage, die ohne
Zweifel auf einen schwachen Punkt in dem Kantischen System zurückführt, ist
hier nicht am Platze. Wir begnügen uns damit sie angeführt zu haben mit
verzeichnen das Schema der von Wundt unterschiedenen Kategorien: Reine
Fvrmbegriffc sind l. Mannichfaltigkeit, Zahl, 3. Funktion; reine Wirklich¬
keitsbegriffe I. Substanz, 2. .Kausalität, 3. Zweck. In deu hieraugekuüpsteu
Erörterungen kommen bereits die wichtigsten Fragen der gegenwärtigen Natur


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[0606] wnndrs System der Philosophie sähe der äuszern Berichtigung und innern Beschränkung der Hypothese er¬ fordert und dazu die logische Bearbeitung des Dingbegriffes, der Zusammen¬ hang der Ersahrungen unter dem. Prinzip der widerspruchslosen Verknüpfung in Erinnerung gebracht. Hier aber, wo die Möglichkeit transcendenter Be¬ griffsbildungen zum Bedürfnis wird, tritt die Ergänzung in Kraft, die der Verstandeserkenntnis durch die Vernunft, als dem Vermögen einer rein idealen Begriffsbildung, zuteil wird. Um schon im Ausdruck die Verschiedenheit dieser ergänzenden Gesichtspunkte von deu hypothetischen Begriffsbildungeu des Verstandes anzudeuten, empfiehlt sich die Beibehaltung der dnrch Kant neuerworbenen und geläuterten Bezeichnung „Ideen." Die Untersuchung der BernnnftertenntuiS hat daher zunächst die Berech¬ tigung der Vernuuftideen zu prüfen, und sie erledigt denn auch diese Aufgabe auf der Grundlage der drei Kantischen Transeendentalprobleme (Frage mich der Totalität der Natur, der absoluten Einheit des denkenden Subjekts, der letzten Bedingung des Seins und Denkens). Sie hat aber auch ihre allgemeinen logischen Grundlagen nachzuweisen und thut dies zunächst an der Idee der Transcendenz, als des letzten Grundes für die Totalität alles Seins über die gegebenen Grenzen der Erfahrung hinaus. Den überzeugenden Beleg für die innere Notwendigkeit eines solchen idealen Fortschreitens im Denken liefert die Mathematik. Sie erschöpft bereits die beiden grundlegenden Arten dieses fortschreitens - in rein quantitativer Hinsicht (Nealtranseendenz) und in quali¬ tativer Hinsicht tJuttigiuärtrauseendeuz), die mau demnach als die allgemei¬ nen Bedingungen der philosophischen Transcendenz überhaupt auffasse» kann. Die drei oben genannten Probleme, das kosmvlogische, das psychologische und das ontologische, bauen sich auf einander auf und bereiten einander vor. Die Beziehung der transcendenter Ideen zu alleu denkbare» metaphysischen Welt¬ anschauungen wird dargethan. Bevor aber die Erörterung der transseendenten Ideen im einzelnen möglich wird, ist die logische Entwicklung der Grundforme» der Verstaudesbegriffe, ihrer formalen Vorbedingung, notwendig, damit der rein formale Charakter dieser Ideen der Transcendenz deutlich in die Augen springe. Hier aber gebt Wunde von Kants Kategvrieulehre, die in ihrer Einseitigkeit die letzten Be¬ ziehungen nicht erschöpft, auf die verwendbaren Begriffsklasseu des Aristoteles zurück. Es handelt sich im wesentlichen um die Erzielung der allgemeinsten Erfahrungsbegriffe. Eine Auseinandersetzung dieser wichtigen Frage, die ohne Zweifel auf einen schwachen Punkt in dem Kantischen System zurückführt, ist hier nicht am Platze. Wir begnügen uns damit sie angeführt zu haben mit verzeichnen das Schema der von Wundt unterschiedenen Kategorien: Reine Fvrmbegriffc sind l. Mannichfaltigkeit, Zahl, 3. Funktion; reine Wirklich¬ keitsbegriffe I. Substanz, 2. .Kausalität, 3. Zweck. In deu hieraugekuüpsteu Erörterungen kommen bereits die wichtigsten Fragen der gegenwärtigen Natur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/606>, abgerufen am 23.07.2024.