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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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neue" Forschnngsweise seminaristische Pflege angedeihen und zog für sie eine
lebhaft thätige Schule heran, die in einer Philosophischen Zeitschrift, den von
Wundt herausgegebenen "Studien," ihre Erträgnisse niederlegt.

Obwohl Wundt inzwischen in seiner schriftstellerischen Wirksamkeit den
ganzen Kreis der philosophischen Fragen durchwandert und außer den erkeuutuis-
theoretische" Grundproblemen (über die Physikalische" Axiome, die Mensch- und
Tierseele) und einer ^nsammenfassuug der physiologische" Psychologie auch die
"Logik," die "Ethik" und in seinen "Essays" die verschiedenartigsten Themen
im einzelnen behandelt hat, ist er für das Publikum im weiteren Sinne doch
der Psychvphysiker, der naturvüsseuschastliche Philosoph geblieben. Dies Publikum
dürfte daher überrascht sein, in seinem den innersten Kern seines Wesens blo߬
legenden, seine Wirksamkeit vertretenden "System" einen ganz andern Charakter
zu gewahren. Nicht daß die Naturforschung oder gar die Empirie als solche
im Sinne etwa der Hegelschen Begriffsphilosophie mit Verachtung gestraft
würden. Der philosophischen Behandlung der naturwissenschaftlichen Probleme
im besonder" ist ein Hauptabschnitt unter den sechs Abteilungen des Werkes
merkwürdigerweise unter dem verpöntem Titel "Naturphilosophie" --
gewidmet. Die Erfnhrnng ist aber so sehr Wundes philosophischer Ausgangs¬
punkt, daß er sie für die "Grundlage" der Philosophie überhaupt, "als ihre
allein zulässige Methode die schon in den Einzelwissenschaften überall ange¬
wandte Verbindung der Thatsachen nach dem Prinzip von Grund und Folge"
in Anspruch nimmt. Was jedoch dem Buche einen so sehr von dem gewöhnlich
Erwarteten abweichenden Anstrich giebt, ist sein prinzipiell philosophischer meta¬
physischer Charakter, die streng objektive, historische Würdigung der philosophischen
Individualitäten, die vorsichtig abwägende, allem Paradoxen und Tendenziösen
feindliche Haltung in den spezifisch menschlichen, den ethische", ästhetischen, religiösen
Grundfragen. Es ist der W""de der philosophische" Vorlesungen, der hier
spricht, nicht der Fachlehrer und die wissenschaftliche "Spezialität," sondern
der Lehrer der akademische" Jugend und der mit ihr seine philosophischen
Kollegien ausnutzende Freund der Philosophie an der Stätte seiner akademischen
Wirksamkeit. Wer ihn als solche" kennt, dem wird das Buch nur eine ver¬
traut gewordene Persönlichkeit lebendig erneuern.

Das System zeigt vornehmlich eine didaktische Fassung, aber nicht im
abschreckenden Sinne, weder doktrinär noch scholastisch. Es hält in diesen: Be¬
tracht eine angenehme Mitte zwischen wissenschaftlichem Lehrbuch, rei" litterarischem
Erzeugnis -- hierzu stempelt es die urbane Form und der unphilosophisch glatte,
übersichtliche Stil vor den unzählige" philosophirenden Produkten weniger
wissenschaftlichen Charakters, mit denen derMarkt überschwemmt wird --und endlich
zwischen philosophischem Bekenntnis. Lehrhaft ist jedoch in dem Werke seine Stellung
gegenüber der durchschnittlichen wissenschaftlichen Weltanschauung und nament¬
lich sein Verhältnis zu den Einzelwisseiischafte" und ihrer Methodik. Wenn


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neue» Forschnngsweise seminaristische Pflege angedeihen und zog für sie eine
lebhaft thätige Schule heran, die in einer Philosophischen Zeitschrift, den von
Wundt herausgegebenen „Studien," ihre Erträgnisse niederlegt.

Obwohl Wundt inzwischen in seiner schriftstellerischen Wirksamkeit den
ganzen Kreis der philosophischen Fragen durchwandert und außer den erkeuutuis-
theoretische» Grundproblemen (über die Physikalische» Axiome, die Mensch- und
Tierseele) und einer ^nsammenfassuug der physiologische» Psychologie auch die
„Logik," die „Ethik" und in seinen „Essays" die verschiedenartigsten Themen
im einzelnen behandelt hat, ist er für das Publikum im weiteren Sinne doch
der Psychvphysiker, der naturvüsseuschastliche Philosoph geblieben. Dies Publikum
dürfte daher überrascht sein, in seinem den innersten Kern seines Wesens blo߬
legenden, seine Wirksamkeit vertretenden „System" einen ganz andern Charakter
zu gewahren. Nicht daß die Naturforschung oder gar die Empirie als solche
im Sinne etwa der Hegelschen Begriffsphilosophie mit Verachtung gestraft
würden. Der philosophischen Behandlung der naturwissenschaftlichen Probleme
im besonder» ist ein Hauptabschnitt unter den sechs Abteilungen des Werkes
merkwürdigerweise unter dem verpöntem Titel „Naturphilosophie" —
gewidmet. Die Erfnhrnng ist aber so sehr Wundes philosophischer Ausgangs¬
punkt, daß er sie für die „Grundlage" der Philosophie überhaupt, „als ihre
allein zulässige Methode die schon in den Einzelwissenschaften überall ange¬
wandte Verbindung der Thatsachen nach dem Prinzip von Grund und Folge"
in Anspruch nimmt. Was jedoch dem Buche einen so sehr von dem gewöhnlich
Erwarteten abweichenden Anstrich giebt, ist sein prinzipiell philosophischer meta¬
physischer Charakter, die streng objektive, historische Würdigung der philosophischen
Individualitäten, die vorsichtig abwägende, allem Paradoxen und Tendenziösen
feindliche Haltung in den spezifisch menschlichen, den ethische», ästhetischen, religiösen
Grundfragen. Es ist der W»»de der philosophische» Vorlesungen, der hier
spricht, nicht der Fachlehrer und die wissenschaftliche „Spezialität," sondern
der Lehrer der akademische» Jugend und der mit ihr seine philosophischen
Kollegien ausnutzende Freund der Philosophie an der Stätte seiner akademischen
Wirksamkeit. Wer ihn als solche» kennt, dem wird das Buch nur eine ver¬
traut gewordene Persönlichkeit lebendig erneuern.

Das System zeigt vornehmlich eine didaktische Fassung, aber nicht im
abschreckenden Sinne, weder doktrinär noch scholastisch. Es hält in diesen: Be¬
tracht eine angenehme Mitte zwischen wissenschaftlichem Lehrbuch, rei» litterarischem
Erzeugnis — hierzu stempelt es die urbane Form und der unphilosophisch glatte,
übersichtliche Stil vor den unzählige» philosophirenden Produkten weniger
wissenschaftlichen Charakters, mit denen derMarkt überschwemmt wird —und endlich
zwischen philosophischem Bekenntnis. Lehrhaft ist jedoch in dem Werke seine Stellung
gegenüber der durchschnittlichen wissenschaftlichen Weltanschauung und nament¬
lich sein Verhältnis zu den Einzelwisseiischafte» und ihrer Methodik. Wenn


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[0602] Mundls System z?I>i>osopl>le neue» Forschnngsweise seminaristische Pflege angedeihen und zog für sie eine lebhaft thätige Schule heran, die in einer Philosophischen Zeitschrift, den von Wundt herausgegebenen „Studien," ihre Erträgnisse niederlegt. Obwohl Wundt inzwischen in seiner schriftstellerischen Wirksamkeit den ganzen Kreis der philosophischen Fragen durchwandert und außer den erkeuutuis- theoretische» Grundproblemen (über die Physikalische» Axiome, die Mensch- und Tierseele) und einer ^nsammenfassuug der physiologische» Psychologie auch die „Logik," die „Ethik" und in seinen „Essays" die verschiedenartigsten Themen im einzelnen behandelt hat, ist er für das Publikum im weiteren Sinne doch der Psychvphysiker, der naturvüsseuschastliche Philosoph geblieben. Dies Publikum dürfte daher überrascht sein, in seinem den innersten Kern seines Wesens blo߬ legenden, seine Wirksamkeit vertretenden „System" einen ganz andern Charakter zu gewahren. Nicht daß die Naturforschung oder gar die Empirie als solche im Sinne etwa der Hegelschen Begriffsphilosophie mit Verachtung gestraft würden. Der philosophischen Behandlung der naturwissenschaftlichen Probleme im besonder» ist ein Hauptabschnitt unter den sechs Abteilungen des Werkes merkwürdigerweise unter dem verpöntem Titel „Naturphilosophie" — gewidmet. Die Erfnhrnng ist aber so sehr Wundes philosophischer Ausgangs¬ punkt, daß er sie für die „Grundlage" der Philosophie überhaupt, „als ihre allein zulässige Methode die schon in den Einzelwissenschaften überall ange¬ wandte Verbindung der Thatsachen nach dem Prinzip von Grund und Folge" in Anspruch nimmt. Was jedoch dem Buche einen so sehr von dem gewöhnlich Erwarteten abweichenden Anstrich giebt, ist sein prinzipiell philosophischer meta¬ physischer Charakter, die streng objektive, historische Würdigung der philosophischen Individualitäten, die vorsichtig abwägende, allem Paradoxen und Tendenziösen feindliche Haltung in den spezifisch menschlichen, den ethische», ästhetischen, religiösen Grundfragen. Es ist der W»»de der philosophische» Vorlesungen, der hier spricht, nicht der Fachlehrer und die wissenschaftliche „Spezialität," sondern der Lehrer der akademische» Jugend und der mit ihr seine philosophischen Kollegien ausnutzende Freund der Philosophie an der Stätte seiner akademischen Wirksamkeit. Wer ihn als solche» kennt, dem wird das Buch nur eine ver¬ traut gewordene Persönlichkeit lebendig erneuern. Das System zeigt vornehmlich eine didaktische Fassung, aber nicht im abschreckenden Sinne, weder doktrinär noch scholastisch. Es hält in diesen: Be¬ tracht eine angenehme Mitte zwischen wissenschaftlichem Lehrbuch, rei» litterarischem Erzeugnis — hierzu stempelt es die urbane Form und der unphilosophisch glatte, übersichtliche Stil vor den unzählige» philosophirenden Produkten weniger wissenschaftlichen Charakters, mit denen derMarkt überschwemmt wird —und endlich zwischen philosophischem Bekenntnis. Lehrhaft ist jedoch in dem Werke seine Stellung gegenüber der durchschnittlichen wissenschaftlichen Weltanschauung und nament¬ lich sein Verhältnis zu den Einzelwisseiischafte» und ihrer Methodik. Wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/602>, abgerufen am 23.07.2024.