Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Diese Zulegung ist "nieder ein glücklicher Gedanke. ES ist nötig, daß das
Staatsinteresse, das der Kirche und das der Schule gegenüber jenen aus
Gemeindewahl hervorgegnngeuen Mitgliedern vertreten werde, und es ist richtig,
daß die Vertreter von Staat, Kirche und Schule nicht nach Belieben gewählt,
sondern von der Aufsichtsbehörde entsandt werden. Aber durch die gleich
darauf folgende Bestimmung: Die von der Schnlaufsichtsbehörde entsandten
Mitglieder haben bei Geldbewilligungen kein Stimmrecht, wird das mit der
einen Hand gegebene mit der andern Hand wieder zurückgezogen. Die letzt¬
genannten Mitglieder des Schulvorstandes, die den Staat und die Intelligenz
gegenüber einer engherzigen Geldbeutelpvlitik zu vertreten haben, werden zu
Mitgliedern zweiten Ranges. Es würde unter diesen Umständen ebenso zweck¬
mäßig sein, eine" Phonographen hinzustellen und seine Walze ableiern zu lassen.
Der Gesetzgeber scheint von dem wunderbaren Vorurteile befangen zu sein, daß
der Bauer auf Gründe höre. "Mei will" dat nich" -- fertig! Da könnte
der Herr Minister selber kommen, er würde in der Stellung eines solchen
Mitgliedes auch nichts erreichen. Offenbar hat man mit dieser Bestimmung
gemeint, daß diejenigen nichts über die Ausgabe zu sagen hätten, die zur Ein¬
nahme nichts beitragen. Aber sie vertreten ja die sehr bedeutenden Zuschüsse,
die der Staat zahlt, wir möchten also im Interesse des Staates geradezu
fordern: Diese Mitglieder haben Stimmrecht, und zwar bei Geldbewilligungen
erst recht.

Die eben besprochene Bestinunnng nimmt sich umso befremdlicher aus,
als der Schulvorstand eigentlich nnr in Geldsachen Beschlußrecht hat, im
übrigen aber zum Zuhören und Anhören da ist. Er hat die Aufgabe der
"Mitwirkung" bei der Austeilung des Lehrens, der "Anhörung" bei Festsetzung
der Lehrpläne und Stundenpläne, der Beschlußfassung über Aufnahme ander-
weiter Lehrgegenstände, der "Anhörung" bei Änderung von Schuleinrichtungen,
der "Teilnahme" an den Schulprüfungen und Revisionen, der "Kenntnisnahme"
von dem Verhalten der Lehrer und Lehrerinnen, der "Anhörung" bei Ge¬
währung eines Urlaubes oder der Erlaubnis zur Übernahme von Nebenämtern
Vonseiten der Lehrer, der "Mitwirkung" bei Handhabung des Schulbesuches.

Diese lauge Reihe von Aufgaben bedeutet unter Umständen gar nichts.
Was heißt: Kenntnisnahme, Anhörung und dergleichen? Hinter diesen Scheiu-
anfgaben versteckt sich ein sehr straffer Vüreantratismus, den zu stärken doch
wahrlich kein Grund vorhanden ist. Sie bedeuten aber in der Unbestimmtheit
der Abgrenzung auch viel zu viel. Der Schulze und seine Leute werden eine
große Meinung von ihren Rechte" erhalten und von den oben erwähnten
Mitgliedern zweiten Ranges schwerlich eines Bessern überzeugt werden. Sie
werden ihren Einfluß dahin geltend machen, daß zur Zeit der Feldarbeiten
möglichst viel Ferien lind möglichst wenig Schulstunden angesetzt werden,
werden in die innern Angelegenheiten des Schuldienstes hineinreden und den


Diese Zulegung ist »nieder ein glücklicher Gedanke. ES ist nötig, daß das
Staatsinteresse, das der Kirche und das der Schule gegenüber jenen aus
Gemeindewahl hervorgegnngeuen Mitgliedern vertreten werde, und es ist richtig,
daß die Vertreter von Staat, Kirche und Schule nicht nach Belieben gewählt,
sondern von der Aufsichtsbehörde entsandt werden. Aber durch die gleich
darauf folgende Bestimmung: Die von der Schnlaufsichtsbehörde entsandten
Mitglieder haben bei Geldbewilligungen kein Stimmrecht, wird das mit der
einen Hand gegebene mit der andern Hand wieder zurückgezogen. Die letzt¬
genannten Mitglieder des Schulvorstandes, die den Staat und die Intelligenz
gegenüber einer engherzigen Geldbeutelpvlitik zu vertreten haben, werden zu
Mitgliedern zweiten Ranges. Es würde unter diesen Umständen ebenso zweck¬
mäßig sein, eine» Phonographen hinzustellen und seine Walze ableiern zu lassen.
Der Gesetzgeber scheint von dem wunderbaren Vorurteile befangen zu sein, daß
der Bauer auf Gründe höre. „Mei will» dat nich" — fertig! Da könnte
der Herr Minister selber kommen, er würde in der Stellung eines solchen
Mitgliedes auch nichts erreichen. Offenbar hat man mit dieser Bestimmung
gemeint, daß diejenigen nichts über die Ausgabe zu sagen hätten, die zur Ein¬
nahme nichts beitragen. Aber sie vertreten ja die sehr bedeutenden Zuschüsse,
die der Staat zahlt, wir möchten also im Interesse des Staates geradezu
fordern: Diese Mitglieder haben Stimmrecht, und zwar bei Geldbewilligungen
erst recht.

Die eben besprochene Bestinunnng nimmt sich umso befremdlicher aus,
als der Schulvorstand eigentlich nnr in Geldsachen Beschlußrecht hat, im
übrigen aber zum Zuhören und Anhören da ist. Er hat die Aufgabe der
„Mitwirkung" bei der Austeilung des Lehrens, der „Anhörung" bei Festsetzung
der Lehrpläne und Stundenpläne, der Beschlußfassung über Aufnahme ander-
weiter Lehrgegenstände, der „Anhörung" bei Änderung von Schuleinrichtungen,
der „Teilnahme" an den Schulprüfungen und Revisionen, der „Kenntnisnahme"
von dem Verhalten der Lehrer und Lehrerinnen, der „Anhörung" bei Ge¬
währung eines Urlaubes oder der Erlaubnis zur Übernahme von Nebenämtern
Vonseiten der Lehrer, der „Mitwirkung" bei Handhabung des Schulbesuches.

Diese lauge Reihe von Aufgaben bedeutet unter Umständen gar nichts.
Was heißt: Kenntnisnahme, Anhörung und dergleichen? Hinter diesen Scheiu-
anfgaben versteckt sich ein sehr straffer Vüreantratismus, den zu stärken doch
wahrlich kein Grund vorhanden ist. Sie bedeuten aber in der Unbestimmtheit
der Abgrenzung auch viel zu viel. Der Schulze und seine Leute werden eine
große Meinung von ihren Rechte» erhalten und von den oben erwähnten
Mitgliedern zweiten Ranges schwerlich eines Bessern überzeugt werden. Sie
werden ihren Einfluß dahin geltend machen, daß zur Zeit der Feldarbeiten
möglichst viel Ferien lind möglichst wenig Schulstunden angesetzt werden,
werden in die innern Angelegenheiten des Schuldienstes hineinreden und den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0596" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209175"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1771"> Diese Zulegung ist »nieder ein glücklicher Gedanke. ES ist nötig, daß das<lb/>
Staatsinteresse, das der Kirche und das der Schule gegenüber jenen aus<lb/>
Gemeindewahl hervorgegnngeuen Mitgliedern vertreten werde, und es ist richtig,<lb/>
daß die Vertreter von Staat, Kirche und Schule nicht nach Belieben gewählt,<lb/>
sondern von der Aufsichtsbehörde entsandt werden. Aber durch die gleich<lb/>
darauf folgende Bestimmung: Die von der Schnlaufsichtsbehörde entsandten<lb/>
Mitglieder haben bei Geldbewilligungen kein Stimmrecht, wird das mit der<lb/>
einen Hand gegebene mit der andern Hand wieder zurückgezogen. Die letzt¬<lb/>
genannten Mitglieder des Schulvorstandes, die den Staat und die Intelligenz<lb/>
gegenüber einer engherzigen Geldbeutelpvlitik zu vertreten haben, werden zu<lb/>
Mitgliedern zweiten Ranges. Es würde unter diesen Umständen ebenso zweck¬<lb/>
mäßig sein, eine» Phonographen hinzustellen und seine Walze ableiern zu lassen.<lb/>
Der Gesetzgeber scheint von dem wunderbaren Vorurteile befangen zu sein, daß<lb/>
der Bauer auf Gründe höre. &#x201E;Mei will» dat nich" &#x2014; fertig! Da könnte<lb/>
der Herr Minister selber kommen, er würde in der Stellung eines solchen<lb/>
Mitgliedes auch nichts erreichen. Offenbar hat man mit dieser Bestimmung<lb/>
gemeint, daß diejenigen nichts über die Ausgabe zu sagen hätten, die zur Ein¬<lb/>
nahme nichts beitragen. Aber sie vertreten ja die sehr bedeutenden Zuschüsse,<lb/>
die der Staat zahlt, wir möchten also im Interesse des Staates geradezu<lb/>
fordern: Diese Mitglieder haben Stimmrecht, und zwar bei Geldbewilligungen<lb/>
erst recht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1772"> Die eben besprochene Bestinunnng nimmt sich umso befremdlicher aus,<lb/>
als der Schulvorstand eigentlich nnr in Geldsachen Beschlußrecht hat, im<lb/>
übrigen aber zum Zuhören und Anhören da ist. Er hat die Aufgabe der<lb/>
&#x201E;Mitwirkung" bei der Austeilung des Lehrens, der &#x201E;Anhörung" bei Festsetzung<lb/>
der Lehrpläne und Stundenpläne, der Beschlußfassung über Aufnahme ander-<lb/>
weiter Lehrgegenstände, der &#x201E;Anhörung" bei Änderung von Schuleinrichtungen,<lb/>
der &#x201E;Teilnahme" an den Schulprüfungen und Revisionen, der &#x201E;Kenntnisnahme"<lb/>
von dem Verhalten der Lehrer und Lehrerinnen, der &#x201E;Anhörung" bei Ge¬<lb/>
währung eines Urlaubes oder der Erlaubnis zur Übernahme von Nebenämtern<lb/>
Vonseiten der Lehrer, der &#x201E;Mitwirkung" bei Handhabung des Schulbesuches.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1773" next="#ID_1774"> Diese lauge Reihe von Aufgaben bedeutet unter Umständen gar nichts.<lb/>
Was heißt: Kenntnisnahme, Anhörung und dergleichen? Hinter diesen Scheiu-<lb/>
anfgaben versteckt sich ein sehr straffer Vüreantratismus, den zu stärken doch<lb/>
wahrlich kein Grund vorhanden ist. Sie bedeuten aber in der Unbestimmtheit<lb/>
der Abgrenzung auch viel zu viel. Der Schulze und seine Leute werden eine<lb/>
große Meinung von ihren Rechte» erhalten und von den oben erwähnten<lb/>
Mitgliedern zweiten Ranges schwerlich eines Bessern überzeugt werden. Sie<lb/>
werden ihren Einfluß dahin geltend machen, daß zur Zeit der Feldarbeiten<lb/>
möglichst viel Ferien lind möglichst wenig Schulstunden angesetzt werden,<lb/>
werden in die innern Angelegenheiten des Schuldienstes hineinreden und den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0596] Diese Zulegung ist »nieder ein glücklicher Gedanke. ES ist nötig, daß das Staatsinteresse, das der Kirche und das der Schule gegenüber jenen aus Gemeindewahl hervorgegnngeuen Mitgliedern vertreten werde, und es ist richtig, daß die Vertreter von Staat, Kirche und Schule nicht nach Belieben gewählt, sondern von der Aufsichtsbehörde entsandt werden. Aber durch die gleich darauf folgende Bestimmung: Die von der Schnlaufsichtsbehörde entsandten Mitglieder haben bei Geldbewilligungen kein Stimmrecht, wird das mit der einen Hand gegebene mit der andern Hand wieder zurückgezogen. Die letzt¬ genannten Mitglieder des Schulvorstandes, die den Staat und die Intelligenz gegenüber einer engherzigen Geldbeutelpvlitik zu vertreten haben, werden zu Mitgliedern zweiten Ranges. Es würde unter diesen Umständen ebenso zweck¬ mäßig sein, eine» Phonographen hinzustellen und seine Walze ableiern zu lassen. Der Gesetzgeber scheint von dem wunderbaren Vorurteile befangen zu sein, daß der Bauer auf Gründe höre. „Mei will» dat nich" — fertig! Da könnte der Herr Minister selber kommen, er würde in der Stellung eines solchen Mitgliedes auch nichts erreichen. Offenbar hat man mit dieser Bestimmung gemeint, daß diejenigen nichts über die Ausgabe zu sagen hätten, die zur Ein¬ nahme nichts beitragen. Aber sie vertreten ja die sehr bedeutenden Zuschüsse, die der Staat zahlt, wir möchten also im Interesse des Staates geradezu fordern: Diese Mitglieder haben Stimmrecht, und zwar bei Geldbewilligungen erst recht. Die eben besprochene Bestinunnng nimmt sich umso befremdlicher aus, als der Schulvorstand eigentlich nnr in Geldsachen Beschlußrecht hat, im übrigen aber zum Zuhören und Anhören da ist. Er hat die Aufgabe der „Mitwirkung" bei der Austeilung des Lehrens, der „Anhörung" bei Festsetzung der Lehrpläne und Stundenpläne, der Beschlußfassung über Aufnahme ander- weiter Lehrgegenstände, der „Anhörung" bei Änderung von Schuleinrichtungen, der „Teilnahme" an den Schulprüfungen und Revisionen, der „Kenntnisnahme" von dem Verhalten der Lehrer und Lehrerinnen, der „Anhörung" bei Ge¬ währung eines Urlaubes oder der Erlaubnis zur Übernahme von Nebenämtern Vonseiten der Lehrer, der „Mitwirkung" bei Handhabung des Schulbesuches. Diese lauge Reihe von Aufgaben bedeutet unter Umständen gar nichts. Was heißt: Kenntnisnahme, Anhörung und dergleichen? Hinter diesen Scheiu- anfgaben versteckt sich ein sehr straffer Vüreantratismus, den zu stärken doch wahrlich kein Grund vorhanden ist. Sie bedeuten aber in der Unbestimmtheit der Abgrenzung auch viel zu viel. Der Schulze und seine Leute werden eine große Meinung von ihren Rechte» erhalten und von den oben erwähnten Mitgliedern zweiten Ranges schwerlich eines Bessern überzeugt werden. Sie werden ihren Einfluß dahin geltend machen, daß zur Zeit der Feldarbeiten möglichst viel Ferien lind möglichst wenig Schulstunden angesetzt werden, werden in die innern Angelegenheiten des Schuldienstes hineinreden und den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/596
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/596>, abgerufen am 23.07.2024.