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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der Entwurf des preuszischen volksschnlgesetzes

bekannte Vorkommnis, daß eine Vorsteherin einer Berliner Privatschule den
Jüdinnen die Aufnahme versagte, den geschichtlichen Hintergrund gebildet haben
dürfte. Die Herren Sehffardt und Friedberg legen allen Wert ans das Zustande¬
kommen des Gesetzes, da eine gesetzliche Regelung in jedem Falle einen enormen
Fortschritt bedeute. Von kmiscrvatioer Seite wird die Beteiligung der Selbst¬
verwaltung an der Schulaufsicht gefordert, und der Herr Minister ist mit
Freuden über deu Gaug der Verhandlung erfüllt, zeigt sich uach allen Seiten
entgegenkommend und hofft auf das Zustandekommen des Gesetzes. Das Gesetz
findet offenbar ans allen Seiten das Bestreben, endlich etwas fertig zu bringen
-- nur das Zentrum und sein Anhang dürfte in grundsätzlichen Gegensatze
zu jeglichem Schulgesetze stehen. Dennoch müssen wir die Erwartung haben,
daß lebhafte Gegensätze hervortreten werden, sobald man in der Kommission
oder der zweiten Beratung ernstlicher als bisher ans Einzelheiten eingehen
wird. Denn dazu bietet das Gesetz reichlichen Anlaß.

Das Gesetz hat ein ganz merkwürdiges Aussehen. Es gleicht einem Bilde,
das mit dein Wischer augelegt ist und dem mau nicht recht ansieht, was
eigentlich daraus werden soll. Es herrscht eine Unbestimmtheit, die ganz
wichtige Grundbestimmungen in der Schwebe läßt, die Rechte verleiht, welche
bei nähern Zusehen gar keine Rechte sind, Pflichten auferlegt, deren Tragweite
nicht im entferntesten zu übersehen ist und nur das eine deutlich erkennen
läßt, daß die Gemeinde das Recht haben soll, zu sagen, was sie will, und' die
Regierung, zu thun, was sie will. Das Gesetz ist unvollständig und in der
Durcharbeitung flüchtig. Man sieht ihm an, mit welcher Eile es hergestellt
worden ist. Übrigens scheint es, als wenn dem Teile des Gesetzes, der von
der Bildung der Schulverbäude handelt, ein wohldurchdachter Organisations-
plan zu Grunde gelegen hätte, der aber so verändert und verwischt worden
ist, daß ans dem ursprünglich Beabsichtigten etwas ganz andres geworden ist.

Es ist unmöglich, das ganze Gesetz einer Besprechung zu unterziehen;
wir heben für heute nnr deu einen wichtigen Punkt hervor, die Einrichtung
der Schulverbände und deren Vertretungen.

Bisher unterschied man nach dem allgemeinen Landrechte drei sich meist
deckende Gemeinde", die bürgerliche, die kirchliche und die Schulgemeinde. Die
letzte wird durch das Gesetz beseitigt. Jetzt ist die bürgerliche Gemeinde die
Besitzerin des Schulvermögens, die Trägerin der Schnllasten, die Verwalterin
ihrer Angelegenheiten und die Empfängerin der Staatsbeiträge. Der Gesetz¬
geber muß wissen, wie er der Unterdrückung der Minderheit in konfessionell
gemischten Gegenden, die diese Neuordnung zur Folge haben dürfte, entgegen¬
zutreten gedenkt. Jede Stadt bildet ihren eignen Schnlbezirk, Landgemeinden
und Gutsbezirke bilden entweder gleichfalls eigne Bezirke oder treten zu Schul¬
verbäude" zur gemeinsamen Unterhaltung el"er oder mehrerer Schule" zu¬
sammen.


Der Entwurf des preuszischen volksschnlgesetzes

bekannte Vorkommnis, daß eine Vorsteherin einer Berliner Privatschule den
Jüdinnen die Aufnahme versagte, den geschichtlichen Hintergrund gebildet haben
dürfte. Die Herren Sehffardt und Friedberg legen allen Wert ans das Zustande¬
kommen des Gesetzes, da eine gesetzliche Regelung in jedem Falle einen enormen
Fortschritt bedeute. Von kmiscrvatioer Seite wird die Beteiligung der Selbst¬
verwaltung an der Schulaufsicht gefordert, und der Herr Minister ist mit
Freuden über deu Gaug der Verhandlung erfüllt, zeigt sich uach allen Seiten
entgegenkommend und hofft auf das Zustandekommen des Gesetzes. Das Gesetz
findet offenbar ans allen Seiten das Bestreben, endlich etwas fertig zu bringen
— nur das Zentrum und sein Anhang dürfte in grundsätzlichen Gegensatze
zu jeglichem Schulgesetze stehen. Dennoch müssen wir die Erwartung haben,
daß lebhafte Gegensätze hervortreten werden, sobald man in der Kommission
oder der zweiten Beratung ernstlicher als bisher ans Einzelheiten eingehen
wird. Denn dazu bietet das Gesetz reichlichen Anlaß.

Das Gesetz hat ein ganz merkwürdiges Aussehen. Es gleicht einem Bilde,
das mit dein Wischer augelegt ist und dem mau nicht recht ansieht, was
eigentlich daraus werden soll. Es herrscht eine Unbestimmtheit, die ganz
wichtige Grundbestimmungen in der Schwebe läßt, die Rechte verleiht, welche
bei nähern Zusehen gar keine Rechte sind, Pflichten auferlegt, deren Tragweite
nicht im entferntesten zu übersehen ist und nur das eine deutlich erkennen
läßt, daß die Gemeinde das Recht haben soll, zu sagen, was sie will, und' die
Regierung, zu thun, was sie will. Das Gesetz ist unvollständig und in der
Durcharbeitung flüchtig. Man sieht ihm an, mit welcher Eile es hergestellt
worden ist. Übrigens scheint es, als wenn dem Teile des Gesetzes, der von
der Bildung der Schulverbäude handelt, ein wohldurchdachter Organisations-
plan zu Grunde gelegen hätte, der aber so verändert und verwischt worden
ist, daß ans dem ursprünglich Beabsichtigten etwas ganz andres geworden ist.

Es ist unmöglich, das ganze Gesetz einer Besprechung zu unterziehen;
wir heben für heute nnr deu einen wichtigen Punkt hervor, die Einrichtung
der Schulverbände und deren Vertretungen.

Bisher unterschied man nach dem allgemeinen Landrechte drei sich meist
deckende Gemeinde», die bürgerliche, die kirchliche und die Schulgemeinde. Die
letzte wird durch das Gesetz beseitigt. Jetzt ist die bürgerliche Gemeinde die
Besitzerin des Schulvermögens, die Trägerin der Schnllasten, die Verwalterin
ihrer Angelegenheiten und die Empfängerin der Staatsbeiträge. Der Gesetz¬
geber muß wissen, wie er der Unterdrückung der Minderheit in konfessionell
gemischten Gegenden, die diese Neuordnung zur Folge haben dürfte, entgegen¬
zutreten gedenkt. Jede Stadt bildet ihren eignen Schnlbezirk, Landgemeinden
und Gutsbezirke bilden entweder gleichfalls eigne Bezirke oder treten zu Schul¬
verbäude» zur gemeinsamen Unterhaltung el»er oder mehrerer Schule» zu¬
sammen.


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[0594] Der Entwurf des preuszischen volksschnlgesetzes bekannte Vorkommnis, daß eine Vorsteherin einer Berliner Privatschule den Jüdinnen die Aufnahme versagte, den geschichtlichen Hintergrund gebildet haben dürfte. Die Herren Sehffardt und Friedberg legen allen Wert ans das Zustande¬ kommen des Gesetzes, da eine gesetzliche Regelung in jedem Falle einen enormen Fortschritt bedeute. Von kmiscrvatioer Seite wird die Beteiligung der Selbst¬ verwaltung an der Schulaufsicht gefordert, und der Herr Minister ist mit Freuden über deu Gaug der Verhandlung erfüllt, zeigt sich uach allen Seiten entgegenkommend und hofft auf das Zustandekommen des Gesetzes. Das Gesetz findet offenbar ans allen Seiten das Bestreben, endlich etwas fertig zu bringen — nur das Zentrum und sein Anhang dürfte in grundsätzlichen Gegensatze zu jeglichem Schulgesetze stehen. Dennoch müssen wir die Erwartung haben, daß lebhafte Gegensätze hervortreten werden, sobald man in der Kommission oder der zweiten Beratung ernstlicher als bisher ans Einzelheiten eingehen wird. Denn dazu bietet das Gesetz reichlichen Anlaß. Das Gesetz hat ein ganz merkwürdiges Aussehen. Es gleicht einem Bilde, das mit dein Wischer augelegt ist und dem mau nicht recht ansieht, was eigentlich daraus werden soll. Es herrscht eine Unbestimmtheit, die ganz wichtige Grundbestimmungen in der Schwebe läßt, die Rechte verleiht, welche bei nähern Zusehen gar keine Rechte sind, Pflichten auferlegt, deren Tragweite nicht im entferntesten zu übersehen ist und nur das eine deutlich erkennen läßt, daß die Gemeinde das Recht haben soll, zu sagen, was sie will, und' die Regierung, zu thun, was sie will. Das Gesetz ist unvollständig und in der Durcharbeitung flüchtig. Man sieht ihm an, mit welcher Eile es hergestellt worden ist. Übrigens scheint es, als wenn dem Teile des Gesetzes, der von der Bildung der Schulverbäude handelt, ein wohldurchdachter Organisations- plan zu Grunde gelegen hätte, der aber so verändert und verwischt worden ist, daß ans dem ursprünglich Beabsichtigten etwas ganz andres geworden ist. Es ist unmöglich, das ganze Gesetz einer Besprechung zu unterziehen; wir heben für heute nnr deu einen wichtigen Punkt hervor, die Einrichtung der Schulverbände und deren Vertretungen. Bisher unterschied man nach dem allgemeinen Landrechte drei sich meist deckende Gemeinde», die bürgerliche, die kirchliche und die Schulgemeinde. Die letzte wird durch das Gesetz beseitigt. Jetzt ist die bürgerliche Gemeinde die Besitzerin des Schulvermögens, die Trägerin der Schnllasten, die Verwalterin ihrer Angelegenheiten und die Empfängerin der Staatsbeiträge. Der Gesetz¬ geber muß wissen, wie er der Unterdrückung der Minderheit in konfessionell gemischten Gegenden, die diese Neuordnung zur Folge haben dürfte, entgegen¬ zutreten gedenkt. Jede Stadt bildet ihren eignen Schnlbezirk, Landgemeinden und Gutsbezirke bilden entweder gleichfalls eigne Bezirke oder treten zu Schul¬ verbäude» zur gemeinsamen Unterhaltung el»er oder mehrerer Schule» zu¬ sammen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/594>, abgerufen am 23.07.2024.