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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der Entwurf eines Wagnerdenkmals für Leipzig

Walde sitzend und doch dirigirend dächten? Und was im Walde dirigirend?
Das Waldweben, eines seiner Tonstücke, dem auch die Gegner ihre Bewunderung
nicht versagen, und das er, wie kaum ein andres seiner Werke, dem schlagenden
Herzen der ewigen Natur selbst abgelauscht zu haben scheint. Und mit wem
will er es dort dirigiren?

Vielleicht hätte eine solche Vorstellung einiges Ansprechende, man könnte sogar
noch bedauern, daß sie nicht durch die leiseste Andeutung eines Hälmchens,
Fröschleins oder Waldvögleins unterstützt wird; mindestens gäbe es bei ihr
keinen Widerspruch. Aber wir dürfen das alles ja gar nicht denken. Wir
Habens ja aus dem eignen Munde des Künstlers, daß wir uns auf der Bühne
befinden. Die Felsen, die das edle Erz hier nachbildet, sind, gewiß zum
erstenmale in der Kunstgeschichte, aus Holz und Pappe; sie sind ein Versatz¬
stück, auf dem Wagner Platz genommen hat, um "einem seiner Werke Leben
zu geben." Aber warum nicht am Dirigentenpulte, von wo aus sich das alles
viel besser machen läßt? Der Widerspruch ist also doch noch nicht aus der
Welt geschafft!

Aber begreifen wir die "Situation" nach ihrer vollen Höhe. Versetzen
wir uns in eine Aufführung der "Walküre," und zwar in die Pause vor dem
zweiten Aufzuge. Wagner, in der Partitur blätternd, hat sich auf dem Fels-
stück niedergelassen, auf dem nachher Wotan das Haus mit seiner "Götternot",
behelligen und das unglückliche Geschwisterpaar Platz nehmen wird. Da
plötzlich -- man sehe Wagners heftig zur Seite gewandten Kopf -- bringt
der Theaterdiener die Nachricht, daß die Primadonna aller auswärtigen Hvf-
und Stadttheater, Leipzigs gefeierte Brünnhilde, soeben telegraphisch zur Aus¬
hilfe nach Posemuckel berufen worden ist, und daß, statt in der "Walküre"
fortzufahren, die Wonne von Pleißathen, "Meißner Porzellan," gegeben
werden wird.

Mit dieser Vermutung ist endlich der letzte Widerspruch beseitigt. Alles
klappt jetzt, daß einem die Augen übergehen. Es braucht uns also nur irgend,
ein unsinniger Gedanke durch den Kopf zu fahren, und sofort erteilt ihm
das Werk seine Zustimmung. Und warum dies alles? Warum werden wir
von der Gewalt des Inhaltes nicht ebenso ergriffen, nicht ebenso uns selbst
entrückt, wie von der Fülle und Schönheit der Form? doch wohl, weil ein
Inhalt von solcher Wirkungsfähigkeit nicht vorhanden ist. Wenn wir uns
aber bemühen, einen solchen ausfindig zu machen, und dazu Schapers eigene
Erklärung zur Hand nehmen, dann wird das Übel nur ärger. 8i tÄoui.8868!


Grenzboten IV 1890 71
Der Entwurf eines Wagnerdenkmals für Leipzig

Walde sitzend und doch dirigirend dächten? Und was im Walde dirigirend?
Das Waldweben, eines seiner Tonstücke, dem auch die Gegner ihre Bewunderung
nicht versagen, und das er, wie kaum ein andres seiner Werke, dem schlagenden
Herzen der ewigen Natur selbst abgelauscht zu haben scheint. Und mit wem
will er es dort dirigiren?

Vielleicht hätte eine solche Vorstellung einiges Ansprechende, man könnte sogar
noch bedauern, daß sie nicht durch die leiseste Andeutung eines Hälmchens,
Fröschleins oder Waldvögleins unterstützt wird; mindestens gäbe es bei ihr
keinen Widerspruch. Aber wir dürfen das alles ja gar nicht denken. Wir
Habens ja aus dem eignen Munde des Künstlers, daß wir uns auf der Bühne
befinden. Die Felsen, die das edle Erz hier nachbildet, sind, gewiß zum
erstenmale in der Kunstgeschichte, aus Holz und Pappe; sie sind ein Versatz¬
stück, auf dem Wagner Platz genommen hat, um „einem seiner Werke Leben
zu geben." Aber warum nicht am Dirigentenpulte, von wo aus sich das alles
viel besser machen läßt? Der Widerspruch ist also doch noch nicht aus der
Welt geschafft!

Aber begreifen wir die „Situation" nach ihrer vollen Höhe. Versetzen
wir uns in eine Aufführung der „Walküre," und zwar in die Pause vor dem
zweiten Aufzuge. Wagner, in der Partitur blätternd, hat sich auf dem Fels-
stück niedergelassen, auf dem nachher Wotan das Haus mit seiner „Götternot",
behelligen und das unglückliche Geschwisterpaar Platz nehmen wird. Da
plötzlich — man sehe Wagners heftig zur Seite gewandten Kopf — bringt
der Theaterdiener die Nachricht, daß die Primadonna aller auswärtigen Hvf-
und Stadttheater, Leipzigs gefeierte Brünnhilde, soeben telegraphisch zur Aus¬
hilfe nach Posemuckel berufen worden ist, und daß, statt in der „Walküre"
fortzufahren, die Wonne von Pleißathen, „Meißner Porzellan," gegeben
werden wird.

Mit dieser Vermutung ist endlich der letzte Widerspruch beseitigt. Alles
klappt jetzt, daß einem die Augen übergehen. Es braucht uns also nur irgend,
ein unsinniger Gedanke durch den Kopf zu fahren, und sofort erteilt ihm
das Werk seine Zustimmung. Und warum dies alles? Warum werden wir
von der Gewalt des Inhaltes nicht ebenso ergriffen, nicht ebenso uns selbst
entrückt, wie von der Fülle und Schönheit der Form? doch wohl, weil ein
Inhalt von solcher Wirkungsfähigkeit nicht vorhanden ist. Wenn wir uns
aber bemühen, einen solchen ausfindig zu machen, und dazu Schapers eigene
Erklärung zur Hand nehmen, dann wird das Übel nur ärger. 8i tÄoui.8868!


Grenzboten IV 1890 71
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[0569] Der Entwurf eines Wagnerdenkmals für Leipzig Walde sitzend und doch dirigirend dächten? Und was im Walde dirigirend? Das Waldweben, eines seiner Tonstücke, dem auch die Gegner ihre Bewunderung nicht versagen, und das er, wie kaum ein andres seiner Werke, dem schlagenden Herzen der ewigen Natur selbst abgelauscht zu haben scheint. Und mit wem will er es dort dirigiren? Vielleicht hätte eine solche Vorstellung einiges Ansprechende, man könnte sogar noch bedauern, daß sie nicht durch die leiseste Andeutung eines Hälmchens, Fröschleins oder Waldvögleins unterstützt wird; mindestens gäbe es bei ihr keinen Widerspruch. Aber wir dürfen das alles ja gar nicht denken. Wir Habens ja aus dem eignen Munde des Künstlers, daß wir uns auf der Bühne befinden. Die Felsen, die das edle Erz hier nachbildet, sind, gewiß zum erstenmale in der Kunstgeschichte, aus Holz und Pappe; sie sind ein Versatz¬ stück, auf dem Wagner Platz genommen hat, um „einem seiner Werke Leben zu geben." Aber warum nicht am Dirigentenpulte, von wo aus sich das alles viel besser machen läßt? Der Widerspruch ist also doch noch nicht aus der Welt geschafft! Aber begreifen wir die „Situation" nach ihrer vollen Höhe. Versetzen wir uns in eine Aufführung der „Walküre," und zwar in die Pause vor dem zweiten Aufzuge. Wagner, in der Partitur blätternd, hat sich auf dem Fels- stück niedergelassen, auf dem nachher Wotan das Haus mit seiner „Götternot", behelligen und das unglückliche Geschwisterpaar Platz nehmen wird. Da plötzlich — man sehe Wagners heftig zur Seite gewandten Kopf — bringt der Theaterdiener die Nachricht, daß die Primadonna aller auswärtigen Hvf- und Stadttheater, Leipzigs gefeierte Brünnhilde, soeben telegraphisch zur Aus¬ hilfe nach Posemuckel berufen worden ist, und daß, statt in der „Walküre" fortzufahren, die Wonne von Pleißathen, „Meißner Porzellan," gegeben werden wird. Mit dieser Vermutung ist endlich der letzte Widerspruch beseitigt. Alles klappt jetzt, daß einem die Augen übergehen. Es braucht uns also nur irgend, ein unsinniger Gedanke durch den Kopf zu fahren, und sofort erteilt ihm das Werk seine Zustimmung. Und warum dies alles? Warum werden wir von der Gewalt des Inhaltes nicht ebenso ergriffen, nicht ebenso uns selbst entrückt, wie von der Fülle und Schönheit der Form? doch wohl, weil ein Inhalt von solcher Wirkungsfähigkeit nicht vorhanden ist. Wenn wir uns aber bemühen, einen solchen ausfindig zu machen, und dazu Schapers eigene Erklärung zur Hand nehmen, dann wird das Übel nur ärger. 8i tÄoui.8868! Grenzboten IV 1890 71

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/569>, abgerufen am 25.08.2024.