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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der Entwurf eines lvagnerdenkmals für Leipzig

Leider stehen wir hier an dein Punkte, wo unsre Bewunderung der Leistung
Schcipers von ihrer so rasch erklommenen Hohe ebenso rasch wieder herabsinken
wird. Dabei werden wir noch den Vorteil haben, uns an die Erklärungen,
die Schayer dem Leipziger Denkmalskomitee über den Grundgedanken seiner
Arbeit gegeben hat, selbst halten zu können. Diese Erklärungen werden uns
darin förderlich sein, dem Künstler möglichst wenig Unrecht zu thun, aber sie
werden uns freilich anch umso mehr in den Stand setzen, ihm in der Art, wie
diese Grundgedanken in dem Entwurf zur Ausführung gekommen sind, möglichst
wenig Recht zu geben,

Schayer hat sein Werk dahin erläutert, daß es Wagners Wesen, "kon-
zentrirte Energie und Lebendigkeit," zum Ausdruck bringe. "In der energischen,
mit dem Taktstvck versehenen, auf eine Partitur gesetzten rechten Hand soll sich
sein Gesamtthun ausdrücken. In dein Kopfe muß die vornehme und gewaltige
Schöpfungskraft gegeben werden. Die ganze Situation ist gedacht, als ob er
etwa aus offner Szene einem seiner Werke Leben giebt," Vielleicht würde
man bei einer sich selbst überlassenen Betrachtung des Bildwerkes noch auf
mancherlei andre Auslegungen geraten; es ist demnach sehr wichtig, die allein
zulässige durch den Künstler selbst zu erhalten, lind was für eine Auslegung!
Auch der entschiedenste, ja der böswilligste Gegner Schcipers würde kein ver¬
nichtenderem Urteil über den Inhalt seiner Arbeit fällen können, als er selbst
es mit dieser Erklärung gethan hat. Statt irgend welcher Beweise der Eben¬
bürtigkeit, aus der heraus der eine Künstler dein andern seine Huldigung dar¬
gebracht hätte, enthüllen uns jene Worte einen Rattenkönig von Widersprüchen.
Wir wollen sie kurz der Reihe nach betrachten.

Erster Widerspruch: Buch und Taktstvck. Zunächst eine Frage: Wo be¬
findet sich und womit beschäftigt sich der Wagner, der das eine und der deu
andern hält? Ein Buch von so monumentaler Vierschrvtigkeit auf die Kniee
zu nehmen, bequemt mau sich heute mir noch bei einer Zurückgezogenheit in
"des Waldes tiefsten Gründen." Wagner uns dort zu denken, bestärkt uns
"och der von einem Tuche halb überdeckte Fels, auf welchem die Gestalt sitzt,
sowie der schon erwähnte, ganz frei liegende Stein, ans dem der linke Fuß
aufsteht.

Allein dieser selbige Wagner hat anch einen Taktstock in der rechten Hand.
Er will also dirigiren, natürlich eins seiner Werke, und abermals natürlich
kann dies nur in einem Theater- oder Konzertsacil geschehen. In einem heutigen
Orchester, ans einer heutigen Bühne giebt es aber genug Notenpnlte; es wäre
mehr als kindlich für einen Kapellmeister, die Partitur auf deu Knieen zu
halten. Da haben wir also den Widerspruch! Welches feiner beiden sich
gegenseitig aufhebenden Glieder soll nun den Ausschlag geben?

Oder wäre co vielleicht doch kein Widerspruch? Wäre es vielleicht kein
dem Künstlers so ganz unwürdiger Gedanke, wenn wir uns Wagner doch im


Der Entwurf eines lvagnerdenkmals für Leipzig

Leider stehen wir hier an dein Punkte, wo unsre Bewunderung der Leistung
Schcipers von ihrer so rasch erklommenen Hohe ebenso rasch wieder herabsinken
wird. Dabei werden wir noch den Vorteil haben, uns an die Erklärungen,
die Schayer dem Leipziger Denkmalskomitee über den Grundgedanken seiner
Arbeit gegeben hat, selbst halten zu können. Diese Erklärungen werden uns
darin förderlich sein, dem Künstler möglichst wenig Unrecht zu thun, aber sie
werden uns freilich anch umso mehr in den Stand setzen, ihm in der Art, wie
diese Grundgedanken in dem Entwurf zur Ausführung gekommen sind, möglichst
wenig Recht zu geben,

Schayer hat sein Werk dahin erläutert, daß es Wagners Wesen, „kon-
zentrirte Energie und Lebendigkeit," zum Ausdruck bringe. „In der energischen,
mit dem Taktstvck versehenen, auf eine Partitur gesetzten rechten Hand soll sich
sein Gesamtthun ausdrücken. In dein Kopfe muß die vornehme und gewaltige
Schöpfungskraft gegeben werden. Die ganze Situation ist gedacht, als ob er
etwa aus offner Szene einem seiner Werke Leben giebt," Vielleicht würde
man bei einer sich selbst überlassenen Betrachtung des Bildwerkes noch auf
mancherlei andre Auslegungen geraten; es ist demnach sehr wichtig, die allein
zulässige durch den Künstler selbst zu erhalten, lind was für eine Auslegung!
Auch der entschiedenste, ja der böswilligste Gegner Schcipers würde kein ver¬
nichtenderem Urteil über den Inhalt seiner Arbeit fällen können, als er selbst
es mit dieser Erklärung gethan hat. Statt irgend welcher Beweise der Eben¬
bürtigkeit, aus der heraus der eine Künstler dein andern seine Huldigung dar¬
gebracht hätte, enthüllen uns jene Worte einen Rattenkönig von Widersprüchen.
Wir wollen sie kurz der Reihe nach betrachten.

Erster Widerspruch: Buch und Taktstvck. Zunächst eine Frage: Wo be¬
findet sich und womit beschäftigt sich der Wagner, der das eine und der deu
andern hält? Ein Buch von so monumentaler Vierschrvtigkeit auf die Kniee
zu nehmen, bequemt mau sich heute mir noch bei einer Zurückgezogenheit in
„des Waldes tiefsten Gründen." Wagner uns dort zu denken, bestärkt uns
»och der von einem Tuche halb überdeckte Fels, auf welchem die Gestalt sitzt,
sowie der schon erwähnte, ganz frei liegende Stein, ans dem der linke Fuß
aufsteht.

Allein dieser selbige Wagner hat anch einen Taktstock in der rechten Hand.
Er will also dirigiren, natürlich eins seiner Werke, und abermals natürlich
kann dies nur in einem Theater- oder Konzertsacil geschehen. In einem heutigen
Orchester, ans einer heutigen Bühne giebt es aber genug Notenpnlte; es wäre
mehr als kindlich für einen Kapellmeister, die Partitur auf deu Knieen zu
halten. Da haben wir also den Widerspruch! Welches feiner beiden sich
gegenseitig aufhebenden Glieder soll nun den Ausschlag geben?

Oder wäre co vielleicht doch kein Widerspruch? Wäre es vielleicht kein
dem Künstlers so ganz unwürdiger Gedanke, wenn wir uns Wagner doch im


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[0568] Der Entwurf eines lvagnerdenkmals für Leipzig Leider stehen wir hier an dein Punkte, wo unsre Bewunderung der Leistung Schcipers von ihrer so rasch erklommenen Hohe ebenso rasch wieder herabsinken wird. Dabei werden wir noch den Vorteil haben, uns an die Erklärungen, die Schayer dem Leipziger Denkmalskomitee über den Grundgedanken seiner Arbeit gegeben hat, selbst halten zu können. Diese Erklärungen werden uns darin förderlich sein, dem Künstler möglichst wenig Unrecht zu thun, aber sie werden uns freilich anch umso mehr in den Stand setzen, ihm in der Art, wie diese Grundgedanken in dem Entwurf zur Ausführung gekommen sind, möglichst wenig Recht zu geben, Schayer hat sein Werk dahin erläutert, daß es Wagners Wesen, „kon- zentrirte Energie und Lebendigkeit," zum Ausdruck bringe. „In der energischen, mit dem Taktstvck versehenen, auf eine Partitur gesetzten rechten Hand soll sich sein Gesamtthun ausdrücken. In dein Kopfe muß die vornehme und gewaltige Schöpfungskraft gegeben werden. Die ganze Situation ist gedacht, als ob er etwa aus offner Szene einem seiner Werke Leben giebt," Vielleicht würde man bei einer sich selbst überlassenen Betrachtung des Bildwerkes noch auf mancherlei andre Auslegungen geraten; es ist demnach sehr wichtig, die allein zulässige durch den Künstler selbst zu erhalten, lind was für eine Auslegung! Auch der entschiedenste, ja der böswilligste Gegner Schcipers würde kein ver¬ nichtenderem Urteil über den Inhalt seiner Arbeit fällen können, als er selbst es mit dieser Erklärung gethan hat. Statt irgend welcher Beweise der Eben¬ bürtigkeit, aus der heraus der eine Künstler dein andern seine Huldigung dar¬ gebracht hätte, enthüllen uns jene Worte einen Rattenkönig von Widersprüchen. Wir wollen sie kurz der Reihe nach betrachten. Erster Widerspruch: Buch und Taktstvck. Zunächst eine Frage: Wo be¬ findet sich und womit beschäftigt sich der Wagner, der das eine und der deu andern hält? Ein Buch von so monumentaler Vierschrvtigkeit auf die Kniee zu nehmen, bequemt mau sich heute mir noch bei einer Zurückgezogenheit in „des Waldes tiefsten Gründen." Wagner uns dort zu denken, bestärkt uns »och der von einem Tuche halb überdeckte Fels, auf welchem die Gestalt sitzt, sowie der schon erwähnte, ganz frei liegende Stein, ans dem der linke Fuß aufsteht. Allein dieser selbige Wagner hat anch einen Taktstock in der rechten Hand. Er will also dirigiren, natürlich eins seiner Werke, und abermals natürlich kann dies nur in einem Theater- oder Konzertsacil geschehen. In einem heutigen Orchester, ans einer heutigen Bühne giebt es aber genug Notenpnlte; es wäre mehr als kindlich für einen Kapellmeister, die Partitur auf deu Knieen zu halten. Da haben wir also den Widerspruch! Welches feiner beiden sich gegenseitig aufhebenden Glieder soll nun den Ausschlag geben? Oder wäre co vielleicht doch kein Widerspruch? Wäre es vielleicht kein dem Künstlers so ganz unwürdiger Gedanke, wenn wir uns Wagner doch im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/568>, abgerufen am 25.08.2024.