Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Schnlrede des Kaisers

eine Stunde Latein nenn Jahre hindurch genießt, er bei einem einigermaßen
geschickten und für seinen Beruf begeisterten Lehrer recht Tüchtiges leiste"
müßte, zumal wenn das Lateiuschreibeu, das nun einmal nicht mehr zu halten
ist, und damit die Herrschaft der Grammatik abgeschnitten wird. Öls-ir
srrprsr Min-mmtiooL! Und im Griechischen nicht anders.

Was aber die Schulorganisatiou betrifft, so dringt der Kaiser vor allein auf
Vereinfachung. Er trifft auch hiermit den Nagel auf den.Kopf. Er will drei
Gattungen von Schulen i" absteigender Linie: 1. das klassische Gymnasium
mit klassischer Bildung; 2. die Realschule -- kein Realghmnasinm, denn das
ist ein Zwitterding -......; die Volksschule. Dagegen halte mau den gegen¬
wärtige" Reichtum von Schularteu, die nicht sowohl denn Bedürfnis der Kultur¬
arbeit entsprungen, als vielmehr vom grünen Tisch ausgegangen sind.

An dieser Stelle wurde" auch die Berechtiguugsfragen untersucht und jeder
der Schulgattungeu ihr Teil zugeschrieben. Wie sehr die Berechtigung zum ein-
jährigen Dienst unser Schulwesen geschädigt hat, hierüber herrscht nur eine
Stimme. Daß also auch hier Änderung not thut, ist anerkannt. Ob freilich
die vom Kaiser vorgeschlagene Einführung einer Zwischenprüfung das Gymnasium.
von dem unnützen Schülerballast der untern und mittlern Klassen befreien
würde, ist sehr fraglich. Überdies sollte mau eher Prüfungen abschaffen, z. B.
die Alüturientenprüfung, als solche einführen. Wir haben Chiuesentum genug
bei uns. Es giebt eine viel eilisachere Lösung: mir der Schüler erhält das
Zeugnis für den einjährigen Dienst, der das Ghmnasinm oder die Realschule
durchmacht. Wer früher abgeht und doch die Berechtigung erwerben will, "eng
sie bei den eingesetzten Prüfnngsabteilungen holen.

Was der Kaiser endlich über das Lehrerpersonal gesagt hat, ist gewiß
völlig zutreffend charakterisirt in dem Wort: Wir müsse" Erzieher haben,
nicht bloß Lehrer. Allerdings hätten wir gern gesehen, wenn von höchster
Stelle auch darauf Rücksicht genommen worden wäre, daß mit den erhöhten
Pflichten auch die Hoffnung auf Erfüllung gewisser Wünsche, die beim Lehrer¬
stande noch im Rückstande sind, eröffnet worden wäre. Unter diesen steht
die Forderung oben an, daß die Schulverwaltung bis zur obersten Spitze
hin durchaus "ur aus Schulmänuern zusammengesetzt werde" sollte. Wäre
dies früher geschehe", so hätte der Kaiser jetzt nicht nötig gehabt, so starke
Vorwürfe auszuspreche". Denn diese treffen nicht in erster Linie die Lehrer,
sondern die Schulverwaltung, die jetzt im wesentliche" von Juristen besorgt wird.

Wie sich die Schnlversmnmlnng in Berlin zu der Rede und zum Pro¬
gramm des Kaisers stellen wird? Möchte sie vor allem dahin wirken, daß
unsre Schulen Erziehniigsschiilen im eige"elichen Sinne des Wortes werden.
Dann erst können sie die Aufgabe" lösen, die ihnen der .Kaiser stellt. Mit
kleinlichen Mitteln, wie sie der Büreaukratismns liebt, ist nichts gethan. Hier
heißt es, die Sache kräftig anfassen und vor tiefgehenden Schnitten nicht zurück-


Zur Schnlrede des Kaisers

eine Stunde Latein nenn Jahre hindurch genießt, er bei einem einigermaßen
geschickten und für seinen Beruf begeisterten Lehrer recht Tüchtiges leiste»
müßte, zumal wenn das Lateiuschreibeu, das nun einmal nicht mehr zu halten
ist, und damit die Herrschaft der Grammatik abgeschnitten wird. Öls-ir
srrprsr Min-mmtiooL! Und im Griechischen nicht anders.

Was aber die Schulorganisatiou betrifft, so dringt der Kaiser vor allein auf
Vereinfachung. Er trifft auch hiermit den Nagel auf den.Kopf. Er will drei
Gattungen von Schulen i» absteigender Linie: 1. das klassische Gymnasium
mit klassischer Bildung; 2. die Realschule — kein Realghmnasinm, denn das
ist ein Zwitterding -......; die Volksschule. Dagegen halte mau den gegen¬
wärtige» Reichtum von Schularteu, die nicht sowohl denn Bedürfnis der Kultur¬
arbeit entsprungen, als vielmehr vom grünen Tisch ausgegangen sind.

An dieser Stelle wurde» auch die Berechtiguugsfragen untersucht und jeder
der Schulgattungeu ihr Teil zugeschrieben. Wie sehr die Berechtigung zum ein-
jährigen Dienst unser Schulwesen geschädigt hat, hierüber herrscht nur eine
Stimme. Daß also auch hier Änderung not thut, ist anerkannt. Ob freilich
die vom Kaiser vorgeschlagene Einführung einer Zwischenprüfung das Gymnasium.
von dem unnützen Schülerballast der untern und mittlern Klassen befreien
würde, ist sehr fraglich. Überdies sollte mau eher Prüfungen abschaffen, z. B.
die Alüturientenprüfung, als solche einführen. Wir haben Chiuesentum genug
bei uns. Es giebt eine viel eilisachere Lösung: mir der Schüler erhält das
Zeugnis für den einjährigen Dienst, der das Ghmnasinm oder die Realschule
durchmacht. Wer früher abgeht und doch die Berechtigung erwerben will, »eng
sie bei den eingesetzten Prüfnngsabteilungen holen.

Was der Kaiser endlich über das Lehrerpersonal gesagt hat, ist gewiß
völlig zutreffend charakterisirt in dem Wort: Wir müsse» Erzieher haben,
nicht bloß Lehrer. Allerdings hätten wir gern gesehen, wenn von höchster
Stelle auch darauf Rücksicht genommen worden wäre, daß mit den erhöhten
Pflichten auch die Hoffnung auf Erfüllung gewisser Wünsche, die beim Lehrer¬
stande noch im Rückstande sind, eröffnet worden wäre. Unter diesen steht
die Forderung oben an, daß die Schulverwaltung bis zur obersten Spitze
hin durchaus »ur aus Schulmänuern zusammengesetzt werde» sollte. Wäre
dies früher geschehe», so hätte der Kaiser jetzt nicht nötig gehabt, so starke
Vorwürfe auszuspreche». Denn diese treffen nicht in erster Linie die Lehrer,
sondern die Schulverwaltung, die jetzt im wesentliche» von Juristen besorgt wird.

Wie sich die Schnlversmnmlnng in Berlin zu der Rede und zum Pro¬
gramm des Kaisers stellen wird? Möchte sie vor allem dahin wirken, daß
unsre Schulen Erziehniigsschiilen im eige»elichen Sinne des Wortes werden.
Dann erst können sie die Aufgabe» lösen, die ihnen der .Kaiser stellt. Mit
kleinlichen Mitteln, wie sie der Büreaukratismns liebt, ist nichts gethan. Hier
heißt es, die Sache kräftig anfassen und vor tiefgehenden Schnitten nicht zurück-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0549" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209128"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Schnlrede des Kaisers</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1593" prev="#ID_1592"> eine Stunde Latein nenn Jahre hindurch genießt, er bei einem einigermaßen<lb/>
geschickten und für seinen Beruf begeisterten Lehrer recht Tüchtiges leiste»<lb/>
müßte, zumal wenn das Lateiuschreibeu, das nun einmal nicht mehr zu halten<lb/>
ist, und damit die Herrschaft der Grammatik abgeschnitten wird. Öls-ir<lb/>
srrprsr Min-mmtiooL! Und im Griechischen nicht anders.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1594"> Was aber die Schulorganisatiou betrifft, so dringt der Kaiser vor allein auf<lb/>
Vereinfachung. Er trifft auch hiermit den Nagel auf den.Kopf. Er will drei<lb/>
Gattungen von Schulen i» absteigender Linie: 1. das klassische Gymnasium<lb/>
mit klassischer Bildung; 2. die Realschule &#x2014; kein Realghmnasinm, denn das<lb/>
ist ein Zwitterding -......; die Volksschule. Dagegen halte mau den gegen¬<lb/>
wärtige» Reichtum von Schularteu, die nicht sowohl denn Bedürfnis der Kultur¬<lb/>
arbeit entsprungen, als vielmehr vom grünen Tisch ausgegangen sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1595"> An dieser Stelle wurde» auch die Berechtiguugsfragen untersucht und jeder<lb/>
der Schulgattungeu ihr Teil zugeschrieben. Wie sehr die Berechtigung zum ein-<lb/>
jährigen Dienst unser Schulwesen geschädigt hat, hierüber herrscht nur eine<lb/>
Stimme. Daß also auch hier Änderung not thut, ist anerkannt. Ob freilich<lb/>
die vom Kaiser vorgeschlagene Einführung einer Zwischenprüfung das Gymnasium.<lb/>
von dem unnützen Schülerballast der untern und mittlern Klassen befreien<lb/>
würde, ist sehr fraglich. Überdies sollte mau eher Prüfungen abschaffen, z. B.<lb/>
die Alüturientenprüfung, als solche einführen. Wir haben Chiuesentum genug<lb/>
bei uns. Es giebt eine viel eilisachere Lösung: mir der Schüler erhält das<lb/>
Zeugnis für den einjährigen Dienst, der das Ghmnasinm oder die Realschule<lb/>
durchmacht. Wer früher abgeht und doch die Berechtigung erwerben will, »eng<lb/>
sie bei den eingesetzten Prüfnngsabteilungen holen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1596"> Was der Kaiser endlich über das Lehrerpersonal gesagt hat, ist gewiß<lb/>
völlig zutreffend charakterisirt in dem Wort: Wir müsse» Erzieher haben,<lb/>
nicht bloß Lehrer. Allerdings hätten wir gern gesehen, wenn von höchster<lb/>
Stelle auch darauf Rücksicht genommen worden wäre, daß mit den erhöhten<lb/>
Pflichten auch die Hoffnung auf Erfüllung gewisser Wünsche, die beim Lehrer¬<lb/>
stande noch im Rückstande sind, eröffnet worden wäre. Unter diesen steht<lb/>
die Forderung oben an, daß die Schulverwaltung bis zur obersten Spitze<lb/>
hin durchaus »ur aus Schulmänuern zusammengesetzt werde» sollte. Wäre<lb/>
dies früher geschehe», so hätte der Kaiser jetzt nicht nötig gehabt, so starke<lb/>
Vorwürfe auszuspreche». Denn diese treffen nicht in erster Linie die Lehrer,<lb/>
sondern die Schulverwaltung, die jetzt im wesentliche» von Juristen besorgt wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1597" next="#ID_1598"> Wie sich die Schnlversmnmlnng in Berlin zu der Rede und zum Pro¬<lb/>
gramm des Kaisers stellen wird? Möchte sie vor allem dahin wirken, daß<lb/>
unsre Schulen Erziehniigsschiilen im eige»elichen Sinne des Wortes werden.<lb/>
Dann erst können sie die Aufgabe» lösen, die ihnen der .Kaiser stellt. Mit<lb/>
kleinlichen Mitteln, wie sie der Büreaukratismns liebt, ist nichts gethan. Hier<lb/>
heißt es, die Sache kräftig anfassen und vor tiefgehenden Schnitten nicht zurück-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0549] Zur Schnlrede des Kaisers eine Stunde Latein nenn Jahre hindurch genießt, er bei einem einigermaßen geschickten und für seinen Beruf begeisterten Lehrer recht Tüchtiges leiste» müßte, zumal wenn das Lateiuschreibeu, das nun einmal nicht mehr zu halten ist, und damit die Herrschaft der Grammatik abgeschnitten wird. Öls-ir srrprsr Min-mmtiooL! Und im Griechischen nicht anders. Was aber die Schulorganisatiou betrifft, so dringt der Kaiser vor allein auf Vereinfachung. Er trifft auch hiermit den Nagel auf den.Kopf. Er will drei Gattungen von Schulen i» absteigender Linie: 1. das klassische Gymnasium mit klassischer Bildung; 2. die Realschule — kein Realghmnasinm, denn das ist ein Zwitterding -......; die Volksschule. Dagegen halte mau den gegen¬ wärtige» Reichtum von Schularteu, die nicht sowohl denn Bedürfnis der Kultur¬ arbeit entsprungen, als vielmehr vom grünen Tisch ausgegangen sind. An dieser Stelle wurde» auch die Berechtiguugsfragen untersucht und jeder der Schulgattungeu ihr Teil zugeschrieben. Wie sehr die Berechtigung zum ein- jährigen Dienst unser Schulwesen geschädigt hat, hierüber herrscht nur eine Stimme. Daß also auch hier Änderung not thut, ist anerkannt. Ob freilich die vom Kaiser vorgeschlagene Einführung einer Zwischenprüfung das Gymnasium. von dem unnützen Schülerballast der untern und mittlern Klassen befreien würde, ist sehr fraglich. Überdies sollte mau eher Prüfungen abschaffen, z. B. die Alüturientenprüfung, als solche einführen. Wir haben Chiuesentum genug bei uns. Es giebt eine viel eilisachere Lösung: mir der Schüler erhält das Zeugnis für den einjährigen Dienst, der das Ghmnasinm oder die Realschule durchmacht. Wer früher abgeht und doch die Berechtigung erwerben will, »eng sie bei den eingesetzten Prüfnngsabteilungen holen. Was der Kaiser endlich über das Lehrerpersonal gesagt hat, ist gewiß völlig zutreffend charakterisirt in dem Wort: Wir müsse» Erzieher haben, nicht bloß Lehrer. Allerdings hätten wir gern gesehen, wenn von höchster Stelle auch darauf Rücksicht genommen worden wäre, daß mit den erhöhten Pflichten auch die Hoffnung auf Erfüllung gewisser Wünsche, die beim Lehrer¬ stande noch im Rückstande sind, eröffnet worden wäre. Unter diesen steht die Forderung oben an, daß die Schulverwaltung bis zur obersten Spitze hin durchaus »ur aus Schulmänuern zusammengesetzt werde» sollte. Wäre dies früher geschehe», so hätte der Kaiser jetzt nicht nötig gehabt, so starke Vorwürfe auszuspreche». Denn diese treffen nicht in erster Linie die Lehrer, sondern die Schulverwaltung, die jetzt im wesentliche» von Juristen besorgt wird. Wie sich die Schnlversmnmlnng in Berlin zu der Rede und zum Pro¬ gramm des Kaisers stellen wird? Möchte sie vor allem dahin wirken, daß unsre Schulen Erziehniigsschiilen im eige»elichen Sinne des Wortes werden. Dann erst können sie die Aufgabe» lösen, die ihnen der .Kaiser stellt. Mit kleinlichen Mitteln, wie sie der Büreaukratismns liebt, ist nichts gethan. Hier heißt es, die Sache kräftig anfassen und vor tiefgehenden Schnitten nicht zurück-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/549
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/549>, abgerufen am 23.07.2024.