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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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zweitausend Einwohnern geben wird, wo sich nicht ein Kranken- oder ein
Pflegehaus befände, giebt es umgekehrt eine große Anzahl von Gemeinden mit
einer geringern Einwohnerzahl, die sich des Besitzes einer derartigen Anstalt
erfreuen. Die Krankenhäuser sind zur Aufnahme von heilbaren Kranken be¬
stimmt, während die Siechenhäuser der Pflege von siechen und gebrechlichen
Personen, von Greisen, Kindern und Geistesschwachen dienen. Vielfach findet
man auch, namentlich wieder in kleinern Gemeinden, die Kranken- und Siechen-
hüuser in einer Anstalt vereinigt unter dem französisch-technischen Titel
Iwsxioss-Iwxitimx. Die Verwaltung der einzelnen wie der vereinigten Anstalt
wird von einer sogenannten Verwaltungskommission geleitet, die ebenso wie der
Armenrat zusammengesetzt ist. Als Grundsatz bestimmt der Artikel 1 des
Spitalgesetzes vom 7. August 1851, daß die Aufnahme eines Armen in das
in der Gemeinde befindliche Krankenhaus nicht von der Voraussetzung des
Wohnsitzes in der Gemeinde abhängig gemacht werden darf, wenn nur die
Person in der Gemeinde erkrankt ist. Die Gemeinde ist mithin verpflichtet,
eine ganz ortsfremde Person, die in ihrem Banne erkrankt, in ihr Krankenhaus
aufzunehmen, und sie hat keinen Rückgriff gegen die Gemeinde des Unter-
stützungswohnsitzes des Armen. Daraus folgt, daß der Hilfsbedürftige keinen
Anspruch darauf hat, in das Spital der Gemeinde seines Unterstützungs¬
wohnsitzes aufgenommen zu werden, wenn er an einem andern Orte erkrankt,
selbst wenn an diesem Orte kein Krankenhaus vorhanden ist. Anderseits ist
aber selbst die Gemeinde des Unterstützungswohnsitzes zu keiner Krankenpflege
irgend welcher Art verpflichtet, sobald sich in ihrem Weichbild nicht ein Kranken¬
haus befindet. Der Mangel dieser gesetzlichen Vorschrift ist handgreiflich.
Erstens verletzt er das Rechtsgefühl, indem eine Gemeinde unter Umstanden
in die Zwangslage versetzt werden kann, für wildfremde Menschen unverhältnis¬
mäßig hohe Betrüge aufzuwenden, während die ihr viel näher stehenden An¬
gehörigen keinen Anspruch auf irgend welche Fürsorge erheben können. Ander¬
seits ergiebt sich auch eine weitgehende Ungleichheit in der Behandlung der
armen Kranken. Während der eine sterben und verderben kaun, ohne daß sich
die Gemeinde um ihn zu kümmern braucht, empfängt der andre eine vorzügliche
und bei der glänzenden Ausstattung mancher Krankenhäuser überreichliche Ver¬
pflegung. Diesem Mißstände soll nun freilich die fernere Bestimmung abhelfen,
daß die armen Kranken und Unheilbaren solcher Gemeinden, die keine ent¬
sprechenden Anstalten besitzen, in bestimmte Kranken- und Pflegehäuser gegen
einen vom Bezirkspräsidenten im Einvernehmen mit der Verwaltungskommisston
festgesetzten Pflegesatz aufgenommen werden können. In diesem Falle haben
die Gemeinden, die für ihre Angehörigen von dieser Vergünstigung Gebrauch
machen, die Kosten für die Behandlung zu übernehmen. Doch dürfen die
Verwaltungskommissionen solcher Anstalten, deren Einkünfte es erlauben, von
der Erstattung des Pflegesatzes Abstand nehmen. Dn ein derartiger Erlaß


zweitausend Einwohnern geben wird, wo sich nicht ein Kranken- oder ein
Pflegehaus befände, giebt es umgekehrt eine große Anzahl von Gemeinden mit
einer geringern Einwohnerzahl, die sich des Besitzes einer derartigen Anstalt
erfreuen. Die Krankenhäuser sind zur Aufnahme von heilbaren Kranken be¬
stimmt, während die Siechenhäuser der Pflege von siechen und gebrechlichen
Personen, von Greisen, Kindern und Geistesschwachen dienen. Vielfach findet
man auch, namentlich wieder in kleinern Gemeinden, die Kranken- und Siechen-
hüuser in einer Anstalt vereinigt unter dem französisch-technischen Titel
Iwsxioss-Iwxitimx. Die Verwaltung der einzelnen wie der vereinigten Anstalt
wird von einer sogenannten Verwaltungskommission geleitet, die ebenso wie der
Armenrat zusammengesetzt ist. Als Grundsatz bestimmt der Artikel 1 des
Spitalgesetzes vom 7. August 1851, daß die Aufnahme eines Armen in das
in der Gemeinde befindliche Krankenhaus nicht von der Voraussetzung des
Wohnsitzes in der Gemeinde abhängig gemacht werden darf, wenn nur die
Person in der Gemeinde erkrankt ist. Die Gemeinde ist mithin verpflichtet,
eine ganz ortsfremde Person, die in ihrem Banne erkrankt, in ihr Krankenhaus
aufzunehmen, und sie hat keinen Rückgriff gegen die Gemeinde des Unter-
stützungswohnsitzes des Armen. Daraus folgt, daß der Hilfsbedürftige keinen
Anspruch darauf hat, in das Spital der Gemeinde seines Unterstützungs¬
wohnsitzes aufgenommen zu werden, wenn er an einem andern Orte erkrankt,
selbst wenn an diesem Orte kein Krankenhaus vorhanden ist. Anderseits ist
aber selbst die Gemeinde des Unterstützungswohnsitzes zu keiner Krankenpflege
irgend welcher Art verpflichtet, sobald sich in ihrem Weichbild nicht ein Kranken¬
haus befindet. Der Mangel dieser gesetzlichen Vorschrift ist handgreiflich.
Erstens verletzt er das Rechtsgefühl, indem eine Gemeinde unter Umstanden
in die Zwangslage versetzt werden kann, für wildfremde Menschen unverhältnis¬
mäßig hohe Betrüge aufzuwenden, während die ihr viel näher stehenden An¬
gehörigen keinen Anspruch auf irgend welche Fürsorge erheben können. Ander¬
seits ergiebt sich auch eine weitgehende Ungleichheit in der Behandlung der
armen Kranken. Während der eine sterben und verderben kaun, ohne daß sich
die Gemeinde um ihn zu kümmern braucht, empfängt der andre eine vorzügliche
und bei der glänzenden Ausstattung mancher Krankenhäuser überreichliche Ver¬
pflegung. Diesem Mißstände soll nun freilich die fernere Bestimmung abhelfen,
daß die armen Kranken und Unheilbaren solcher Gemeinden, die keine ent¬
sprechenden Anstalten besitzen, in bestimmte Kranken- und Pflegehäuser gegen
einen vom Bezirkspräsidenten im Einvernehmen mit der Verwaltungskommisston
festgesetzten Pflegesatz aufgenommen werden können. In diesem Falle haben
die Gemeinden, die für ihre Angehörigen von dieser Vergünstigung Gebrauch
machen, die Kosten für die Behandlung zu übernehmen. Doch dürfen die
Verwaltungskommissionen solcher Anstalten, deren Einkünfte es erlauben, von
der Erstattung des Pflegesatzes Abstand nehmen. Dn ein derartiger Erlaß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/518>, abgerufen am 23.07.2024.