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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Blüten und Früchte der Moderne

svphische Pädagoge der zukünftigen Generation, > , Die künstlerische Gestaltung
dieser Weltanschauung ist um mit Cvnrcidi fiir iiumer verloren et. s. w." Ein
andrer erzählt, daß Conradi mit siebenundzU'nnzig Jahren sterben mußte, weil
er nicht fiir die Welt paßte. "Er dachte zu tief über das Leben nach, ohne
zu fühlen, daß unser Leben nur dann erträglich wen" man nicht darüber
nachdenkt. . . Die Universität Würzburg kann stolz auf diesen Jünger sein, der
lernte, wo er lehren konnte." Und ein dritter singt ihm nach: "Kaum des
Gymnasiums Grabesthor sich schloß, da wardst du mein, da ward ich dein
Genoß." Glückliches Zeitalter, glückliche Nation, deren Führung die Studenten
im ersten Semester übernehmen!

Eine andre Sorte erregt nur Ekel durch das Prahlen mit der Frechheit.
So jung auch die Herren und Damen noch sämtlich zu sein scheinen, geberden
sich doch die meisten, als hätten sie alle Kloaken durchstudirt mit heißem Bemühn,
vor allem sich im Dienste der Venu3 orig'lo">M die Oberpriesterwürde verdient.
Größere Proben wird mir der Leser gern erlassen. Mau höre uur, was ein
Herr Hermann Bahr zum besten giebt: "Ich gebe es Ihnen, mit ehrenwört¬
lichem Gelöbnis, schwarz auf weiß: den Tag, an dein ich die erste honette
Frau, aber komplet honett, gefunden haben werde, und einen ungehörnten
Gatten, das will ich sofort in sehr gereimten Alexandrinern langatmig be¬
singen." Ungefähr auf gleicher Höhe steht eine novellistische Skizze eines Herrn
Schwarzkopf; die Handlung ist mit greifbaren Hohn in eine Kirche verlegt,
und darnach auch der Titel gebildet, die Studien dürfte der Verfasser Wohl
in einer Synagoge gemacht haben.

Dabei fällt mir etwas ein, was ich neulich in einem Tageblatt gelesen habe.
Ein Pariser Posse"- und Singsvielverfertigcr hat etwas Neues vom Stapel
gelassen. Über el" so wichtiges Ereignis müssen natürlich große deutsche
Zeitungen schleunigst weitläufig berichte". Der Höhepunkt der schmutzigen
Geschichte ist, daß ein "Barni" zufällig erfährt, eine lüderliche Schauspielerin,
die ihn zum besten hat, sei seine Schwester, und ihr nnn erzählt, seine Mutter
habe ihm ans dem Sterbebette gestanden, er sei nicht der Sohn ihres Gatten,
sondern desselben Mannes, den die Schauspielen" als ihren Vater betrachtet.
Diese Enthüllung sei ihm sehr unangenehm gewesen, denn er habe sich immer
für den Sohn eines Herzogs gehalten. Diese Wendung fand der Bericht¬
erstatter ein wenig "ärgerlich." Ist das uicht hübsch? Die empörendste Scham¬
losigkeit, die überhaupt begangen werden kann, eine solche Äußerung im Munde
des Sohnes über seine Mutter, ist "ärgerlich." In Osterreich wettern Geist¬
liche gegen ein Schauspiel von Anzeiigruber, i" dem der Satz ausgeführt wird,
daß auch die Eltern Pflichten gegen ihre Kinder haben: wenn, wie ja erwartet
werden kann, die neueste "Dichtung" Henri Meilhaes ans ein Wiener Theater
gebracht werde" sollte, würden die frommen Herren gegründetere Ursache haben,
sich zu ereifern. Darf "um sich w""der", daß die Zahl der Leute fortwährend


Blüten und Früchte der Moderne

svphische Pädagoge der zukünftigen Generation, > , Die künstlerische Gestaltung
dieser Weltanschauung ist um mit Cvnrcidi fiir iiumer verloren et. s. w." Ein
andrer erzählt, daß Conradi mit siebenundzU'nnzig Jahren sterben mußte, weil
er nicht fiir die Welt paßte. „Er dachte zu tief über das Leben nach, ohne
zu fühlen, daß unser Leben nur dann erträglich wen» man nicht darüber
nachdenkt. . . Die Universität Würzburg kann stolz auf diesen Jünger sein, der
lernte, wo er lehren konnte." Und ein dritter singt ihm nach: „Kaum des
Gymnasiums Grabesthor sich schloß, da wardst du mein, da ward ich dein
Genoß." Glückliches Zeitalter, glückliche Nation, deren Führung die Studenten
im ersten Semester übernehmen!

Eine andre Sorte erregt nur Ekel durch das Prahlen mit der Frechheit.
So jung auch die Herren und Damen noch sämtlich zu sein scheinen, geberden
sich doch die meisten, als hätten sie alle Kloaken durchstudirt mit heißem Bemühn,
vor allem sich im Dienste der Venu3 orig'lo»>M die Oberpriesterwürde verdient.
Größere Proben wird mir der Leser gern erlassen. Mau höre uur, was ein
Herr Hermann Bahr zum besten giebt: „Ich gebe es Ihnen, mit ehrenwört¬
lichem Gelöbnis, schwarz auf weiß: den Tag, an dein ich die erste honette
Frau, aber komplet honett, gefunden haben werde, und einen ungehörnten
Gatten, das will ich sofort in sehr gereimten Alexandrinern langatmig be¬
singen." Ungefähr auf gleicher Höhe steht eine novellistische Skizze eines Herrn
Schwarzkopf; die Handlung ist mit greifbaren Hohn in eine Kirche verlegt,
und darnach auch der Titel gebildet, die Studien dürfte der Verfasser Wohl
in einer Synagoge gemacht haben.

Dabei fällt mir etwas ein, was ich neulich in einem Tageblatt gelesen habe.
Ein Pariser Posse»- und Singsvielverfertigcr hat etwas Neues vom Stapel
gelassen. Über el» so wichtiges Ereignis müssen natürlich große deutsche
Zeitungen schleunigst weitläufig berichte». Der Höhepunkt der schmutzigen
Geschichte ist, daß ein „Barni" zufällig erfährt, eine lüderliche Schauspielerin,
die ihn zum besten hat, sei seine Schwester, und ihr nnn erzählt, seine Mutter
habe ihm ans dem Sterbebette gestanden, er sei nicht der Sohn ihres Gatten,
sondern desselben Mannes, den die Schauspielen» als ihren Vater betrachtet.
Diese Enthüllung sei ihm sehr unangenehm gewesen, denn er habe sich immer
für den Sohn eines Herzogs gehalten. Diese Wendung fand der Bericht¬
erstatter ein wenig „ärgerlich." Ist das uicht hübsch? Die empörendste Scham¬
losigkeit, die überhaupt begangen werden kann, eine solche Äußerung im Munde
des Sohnes über seine Mutter, ist „ärgerlich." In Osterreich wettern Geist¬
liche gegen ein Schauspiel von Anzeiigruber, i» dem der Satz ausgeführt wird,
daß auch die Eltern Pflichten gegen ihre Kinder haben: wenn, wie ja erwartet
werden kann, die neueste „Dichtung" Henri Meilhaes ans ein Wiener Theater
gebracht werde» sollte, würden die frommen Herren gegründetere Ursache haben,
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[0485] Blüten und Früchte der Moderne svphische Pädagoge der zukünftigen Generation, > , Die künstlerische Gestaltung dieser Weltanschauung ist um mit Cvnrcidi fiir iiumer verloren et. s. w." Ein andrer erzählt, daß Conradi mit siebenundzU'nnzig Jahren sterben mußte, weil er nicht fiir die Welt paßte. „Er dachte zu tief über das Leben nach, ohne zu fühlen, daß unser Leben nur dann erträglich wen» man nicht darüber nachdenkt. . . Die Universität Würzburg kann stolz auf diesen Jünger sein, der lernte, wo er lehren konnte." Und ein dritter singt ihm nach: „Kaum des Gymnasiums Grabesthor sich schloß, da wardst du mein, da ward ich dein Genoß." Glückliches Zeitalter, glückliche Nation, deren Führung die Studenten im ersten Semester übernehmen! Eine andre Sorte erregt nur Ekel durch das Prahlen mit der Frechheit. So jung auch die Herren und Damen noch sämtlich zu sein scheinen, geberden sich doch die meisten, als hätten sie alle Kloaken durchstudirt mit heißem Bemühn, vor allem sich im Dienste der Venu3 orig'lo»>M die Oberpriesterwürde verdient. Größere Proben wird mir der Leser gern erlassen. Mau höre uur, was ein Herr Hermann Bahr zum besten giebt: „Ich gebe es Ihnen, mit ehrenwört¬ lichem Gelöbnis, schwarz auf weiß: den Tag, an dein ich die erste honette Frau, aber komplet honett, gefunden haben werde, und einen ungehörnten Gatten, das will ich sofort in sehr gereimten Alexandrinern langatmig be¬ singen." Ungefähr auf gleicher Höhe steht eine novellistische Skizze eines Herrn Schwarzkopf; die Handlung ist mit greifbaren Hohn in eine Kirche verlegt, und darnach auch der Titel gebildet, die Studien dürfte der Verfasser Wohl in einer Synagoge gemacht haben. Dabei fällt mir etwas ein, was ich neulich in einem Tageblatt gelesen habe. Ein Pariser Posse»- und Singsvielverfertigcr hat etwas Neues vom Stapel gelassen. Über el» so wichtiges Ereignis müssen natürlich große deutsche Zeitungen schleunigst weitläufig berichte». Der Höhepunkt der schmutzigen Geschichte ist, daß ein „Barni" zufällig erfährt, eine lüderliche Schauspielerin, die ihn zum besten hat, sei seine Schwester, und ihr nnn erzählt, seine Mutter habe ihm ans dem Sterbebette gestanden, er sei nicht der Sohn ihres Gatten, sondern desselben Mannes, den die Schauspielen» als ihren Vater betrachtet. Diese Enthüllung sei ihm sehr unangenehm gewesen, denn er habe sich immer für den Sohn eines Herzogs gehalten. Diese Wendung fand der Bericht¬ erstatter ein wenig „ärgerlich." Ist das uicht hübsch? Die empörendste Scham¬ losigkeit, die überhaupt begangen werden kann, eine solche Äußerung im Munde des Sohnes über seine Mutter, ist „ärgerlich." In Osterreich wettern Geist¬ liche gegen ein Schauspiel von Anzeiigruber, i» dem der Satz ausgeführt wird, daß auch die Eltern Pflichten gegen ihre Kinder haben: wenn, wie ja erwartet werden kann, die neueste „Dichtung" Henri Meilhaes ans ein Wiener Theater gebracht werde» sollte, würden die frommen Herren gegründetere Ursache haben, sich zu ereifern. Darf »um sich w»»der», daß die Zahl der Leute fortwährend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/485>, abgerufen am 23.07.2024.