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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die lateinischen und griechischen Persa

Diese Übungen sind überflüssig, sie sind aber auch schädlich, schädlich nicht
bloß vom Gesichtspunkte der Überbürdung, sonder" auch sonst für das Gemüt
des Knaben, sie machen die Schiller zu trockene" Kleinigkeitskrämer", zu Buch-
stabenklaubern. Sie verleiten ferner die Lehrer zu schiefe", ja bisweilen un¬
gerechte" Beurteilungen. Doeli naiv pingunt, das gilt auch von unsern
Binder"; die begabtesten habe" mit der korrekten und saubern Ausführung eines
Pensnms in der Regel mehr Mühe, mis die weniger begabten, denen eine
gütige Natur die Gabe einer schöne", leichten Handschrift gewährte, "ut doch
werden ihre Arbeiten und infolge dessen ihre Gesamtleistungen geringer zensirt.
Man legt eben zuviel Gewicht auf deu Ausfall der schriftliche" Arbeiten --
unsre Schulen/allesamt sind mehr Tinten- als Denkschulcn geworden. Wie
mancher Schüler verdankt die ungenügende Zensur seines griechischen Pensums
mir der mangelhafte" Setzung der Accente, und wenn er el" oder zwei Spiritus
weggelasse" hat, kann er unter Umstättden schon das Prädikat nachlässig oder
leichtfertig erhalten. Und doch sind Accente und Spiritus für Lappalie" z"
erachte". Es kann einer i" der griechischen Grammatik recht Wohl bewandert
sein, er kann eine Stelle aus Demosthenes oder aus der Antigone fein zu er¬
fasse", glatt zu übersetze" und tüchtig zu interpretiren vermögen, ohne imstande
zu sein, wenn er de" Text nicht vor Auge" hat, über die Accentuativn jedes
Wortes Rechenschaft zu geben; ein andrer wieder, so el" richtiger kleinlicher
Bnchstabenklauber, der macht keinen Aceentfehler, wen" er aber übersetzen soll,
steht er da wie die Kuh vorm neuen Thore. Welcher ist nnn in Wirklichkeit
der bessere Schüler?

lind so ist es auch bei deu Kleinen. Wie viele werde" mir Nepos
Epaminondas 2, 4 gut übersetze" und deu Inhalt richtig erfassen; wie wenige aber
werden de" Satz, deutsch diktirt, ins Lateinische übertragen können! Verstehen
sie deswegen von der lateinische" Sprache nichts? Genügen sie deswegen den
a" sie zu stellende" Anforderungen nicht? Ich gehe aber noch weiter. Ich
habe mir einwenden lassen, daß die schriftlichen Arbeiten zur Festigung der
Sprachkenntnisse nötig seien, daß sie also der Grammatik dienen sollen, und
wenn ich das auch an Beispiele" als überflüssig erwiesen zu haben glaube,
so ließe sich dies doch noch hören. In Wirklichkeit liegt freilich die Sache
nicht selten ganz anders, da werde" die schriftliche" Arbeite" nicht in de"
Dienst der Grammatik gestellt, sondern die Grammatik in den Dienst der
schriftlichen Arbeiten; damit diese gut ausfallen, paukt man Grammatik, nicht
damit die Schüler einen Schriftsteller verstehen lernen. Es mag ja an
verschiednen Schulen eine verschiedne Praxis üblich sein, mir ist aber vor nicht
langer Zeit el" Fall vorgekommen, daß der grammatikalische Nnterrichi in
einer Sekunda darin bestand, daß der Lehrer in der einen Stunde Phrase"
dit'tiree, in der andern Stunde sie überhörte. Darüber müßte man den Kopf
schütteln, selbst wenn die Phrase" a"S dem Schriftsteller gesucht gewesen wäre",


Die lateinischen und griechischen Persa

Diese Übungen sind überflüssig, sie sind aber auch schädlich, schädlich nicht
bloß vom Gesichtspunkte der Überbürdung, sonder» auch sonst für das Gemüt
des Knaben, sie machen die Schiller zu trockene» Kleinigkeitskrämer», zu Buch-
stabenklaubern. Sie verleiten ferner die Lehrer zu schiefe», ja bisweilen un¬
gerechte» Beurteilungen. Doeli naiv pingunt, das gilt auch von unsern
Binder»; die begabtesten habe» mit der korrekten und saubern Ausführung eines
Pensnms in der Regel mehr Mühe, mis die weniger begabten, denen eine
gütige Natur die Gabe einer schöne», leichten Handschrift gewährte, »ut doch
werden ihre Arbeiten und infolge dessen ihre Gesamtleistungen geringer zensirt.
Man legt eben zuviel Gewicht auf deu Ausfall der schriftliche» Arbeiten —
unsre Schulen/allesamt sind mehr Tinten- als Denkschulcn geworden. Wie
mancher Schüler verdankt die ungenügende Zensur seines griechischen Pensums
mir der mangelhafte» Setzung der Accente, und wenn er el» oder zwei Spiritus
weggelasse» hat, kann er unter Umstättden schon das Prädikat nachlässig oder
leichtfertig erhalten. Und doch sind Accente und Spiritus für Lappalie» z»
erachte». Es kann einer i» der griechischen Grammatik recht Wohl bewandert
sein, er kann eine Stelle aus Demosthenes oder aus der Antigone fein zu er¬
fasse», glatt zu übersetze» und tüchtig zu interpretiren vermögen, ohne imstande
zu sein, wenn er de» Text nicht vor Auge» hat, über die Accentuativn jedes
Wortes Rechenschaft zu geben; ein andrer wieder, so el» richtiger kleinlicher
Bnchstabenklauber, der macht keinen Aceentfehler, wen» er aber übersetzen soll,
steht er da wie die Kuh vorm neuen Thore. Welcher ist nnn in Wirklichkeit
der bessere Schüler?

lind so ist es auch bei deu Kleinen. Wie viele werde» mir Nepos
Epaminondas 2, 4 gut übersetze» und deu Inhalt richtig erfassen; wie wenige aber
werden de» Satz, deutsch diktirt, ins Lateinische übertragen können! Verstehen
sie deswegen von der lateinische» Sprache nichts? Genügen sie deswegen den
a» sie zu stellende» Anforderungen nicht? Ich gehe aber noch weiter. Ich
habe mir einwenden lassen, daß die schriftlichen Arbeiten zur Festigung der
Sprachkenntnisse nötig seien, daß sie also der Grammatik dienen sollen, und
wenn ich das auch an Beispiele» als überflüssig erwiesen zu haben glaube,
so ließe sich dies doch noch hören. In Wirklichkeit liegt freilich die Sache
nicht selten ganz anders, da werde» die schriftliche» Arbeite» nicht in de»
Dienst der Grammatik gestellt, sondern die Grammatik in den Dienst der
schriftlichen Arbeiten; damit diese gut ausfallen, paukt man Grammatik, nicht
damit die Schüler einen Schriftsteller verstehen lernen. Es mag ja an
verschiednen Schulen eine verschiedne Praxis üblich sein, mir ist aber vor nicht
langer Zeit el» Fall vorgekommen, daß der grammatikalische Nnterrichi in
einer Sekunda darin bestand, daß der Lehrer in der einen Stunde Phrase»
dit'tiree, in der andern Stunde sie überhörte. Darüber müßte man den Kopf
schütteln, selbst wenn die Phrase» a»S dem Schriftsteller gesucht gewesen wäre»,


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[0479] Die lateinischen und griechischen Persa Diese Übungen sind überflüssig, sie sind aber auch schädlich, schädlich nicht bloß vom Gesichtspunkte der Überbürdung, sonder» auch sonst für das Gemüt des Knaben, sie machen die Schiller zu trockene» Kleinigkeitskrämer», zu Buch- stabenklaubern. Sie verleiten ferner die Lehrer zu schiefe», ja bisweilen un¬ gerechte» Beurteilungen. Doeli naiv pingunt, das gilt auch von unsern Binder»; die begabtesten habe» mit der korrekten und saubern Ausführung eines Pensnms in der Regel mehr Mühe, mis die weniger begabten, denen eine gütige Natur die Gabe einer schöne», leichten Handschrift gewährte, »ut doch werden ihre Arbeiten und infolge dessen ihre Gesamtleistungen geringer zensirt. Man legt eben zuviel Gewicht auf deu Ausfall der schriftliche» Arbeiten — unsre Schulen/allesamt sind mehr Tinten- als Denkschulcn geworden. Wie mancher Schüler verdankt die ungenügende Zensur seines griechischen Pensums mir der mangelhafte» Setzung der Accente, und wenn er el» oder zwei Spiritus weggelasse» hat, kann er unter Umstättden schon das Prädikat nachlässig oder leichtfertig erhalten. Und doch sind Accente und Spiritus für Lappalie» z» erachte». Es kann einer i» der griechischen Grammatik recht Wohl bewandert sein, er kann eine Stelle aus Demosthenes oder aus der Antigone fein zu er¬ fasse», glatt zu übersetze» und tüchtig zu interpretiren vermögen, ohne imstande zu sein, wenn er de» Text nicht vor Auge» hat, über die Accentuativn jedes Wortes Rechenschaft zu geben; ein andrer wieder, so el» richtiger kleinlicher Bnchstabenklauber, der macht keinen Aceentfehler, wen» er aber übersetzen soll, steht er da wie die Kuh vorm neuen Thore. Welcher ist nnn in Wirklichkeit der bessere Schüler? lind so ist es auch bei deu Kleinen. Wie viele werde» mir Nepos Epaminondas 2, 4 gut übersetze» und deu Inhalt richtig erfassen; wie wenige aber werden de» Satz, deutsch diktirt, ins Lateinische übertragen können! Verstehen sie deswegen von der lateinische» Sprache nichts? Genügen sie deswegen den a» sie zu stellende» Anforderungen nicht? Ich gehe aber noch weiter. Ich habe mir einwenden lassen, daß die schriftlichen Arbeiten zur Festigung der Sprachkenntnisse nötig seien, daß sie also der Grammatik dienen sollen, und wenn ich das auch an Beispiele» als überflüssig erwiesen zu haben glaube, so ließe sich dies doch noch hören. In Wirklichkeit liegt freilich die Sache nicht selten ganz anders, da werde» die schriftliche» Arbeite» nicht in de» Dienst der Grammatik gestellt, sondern die Grammatik in den Dienst der schriftlichen Arbeiten; damit diese gut ausfallen, paukt man Grammatik, nicht damit die Schüler einen Schriftsteller verstehen lernen. Es mag ja an verschiednen Schulen eine verschiedne Praxis üblich sein, mir ist aber vor nicht langer Zeit el» Fall vorgekommen, daß der grammatikalische Nnterrichi in einer Sekunda darin bestand, daß der Lehrer in der einen Stunde Phrase» dit'tiree, in der andern Stunde sie überhörte. Darüber müßte man den Kopf schütteln, selbst wenn die Phrase» a»S dem Schriftsteller gesucht gewesen wäre»,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/479>, abgerufen am 23.07.2024.