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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die lateinischen und griechischen Persa

den modernen Sprachen demselben Zwecke mittleren soll, so hat er doch als
Hauptzweck, den Verkehr und gleichzeitigen, benachbarten Knltilrvölkern zu er-
möglichen und zik erleichtern, und wenn auch unsre Abituri selbstverständ¬
lich nicht gleich ohne Austvs; und jedem Franzosen und jedem Engländer
mündlich oder schriftlich zu verkehren imstande sind, so besitzen sie doch die
Hauptgrundlage dazu. Wenn man aber befähigt sein soll, in einer Sprache
schriftlich zu Verkehre", so muß man anch im schriftlichen Gebrauche der Sprache
geübt worden sei", und schon deswegen können die schriftlichen Arbeiten in
den modernen Sprachen nicht preisgegeben werden; ob eine Beschränkung
ins Ange zu fassen wäre, bleibe dahingestellt. Ich wäre nicht dagegen.
Mit den alten Griechen und Lateinern aber treten nur nieder in mündlichen,
noch in schriftlichen Verkehr, anch der Gebrauch der lateinischen Sprache im
internationalen Verkehre der Gelehrten hat so gut wie aufgehört, nnr aus
kleinen Ländern, wie ans Dänemark und Holland, deren Sprache ein zu ge¬
ringes Gebiet umfaßt, werden wir noch mit lateinischen Publikationen beglückt.
Wozu also schriftliche Arbeiten in diesen Sprachen?

Aber, könnte man entgegen, wir können, wenn unsre Schüler ordentlich
Latein und Griechisch lernen sollen, diese Übungen nicht entbehren. So lange
mir für diese Unentbehrlichkeit keine Beweise gebracht werden, bestreite ich sie,
indem ich mich ans folgendes stütze: Erasmus und Reuchlin und mancher
andre Humanist haben doch die sogenannten klassischen Sprachen nicht blos?
gemalt gekannt, sondern anch, wenn man Eckstein, Klotz und einige andre auf-
nimmt, in einer in der Neuzeit unerreichten, musterhaften und eleganten Weise
zu handhaben verstanden, und doch: wo steht denn geschrieben zu lesen, daß
sie in der Jugend Pensenschreiber gewesen? Oder will man etwa ernsthaft be¬
haupten, Miltiades habe persische Skripta, Exploratoria und Extemporalia
geschrieben und sich mit deren Hilfe in so kurzer Zeit eine so bedeutende Be¬
herrschung der persischen Sprache verschafft? Mir ist bekannt, wie an
einem Gymnasium ein Extraner die Reifeprüfung mit der II bestand, während
drei Schüler des Gymnasiums durchsielen, obschon jeder von ihnen allein in
der Sexta mehr Skripta gemacht hatte, als dieser Extraner während seiner
ganzen Vorbereitungszeit. Und sollte Humboldt, sollten die übrigen berühmten
Sprachforscher schriftliche Exerzitien gemacht haben bei ihrer Erlernung der
Sprachen? Müssen etwa die Studenten, wenn sie Gotisch, Alt- und Mittel¬
hochdeutsch, nordisch, Nltfranzösisch und Alteuglisch, wenn sie syrisch und
Ägyptisch, Arabisch, Persisch und Chinesisch lernen, auch schriftliche Arbeiten
machen, auch Fvrmenextemporalin schreiben? Ich weiß nichts davon. Und
doch werden ans diesen Studenten genane Sprachkenner, ja sogar Professoren
der von ihnen ohne Exercitia gelernten Sprachen, halten Vorlesungen darüber,
schreiben gelehrte Werke darüber. Kirpiunti s-et. Also fort und den schriftlichen
Arbeiten in den toten Sprachen!


Die lateinischen und griechischen Persa

den modernen Sprachen demselben Zwecke mittleren soll, so hat er doch als
Hauptzweck, den Verkehr und gleichzeitigen, benachbarten Knltilrvölkern zu er-
möglichen und zik erleichtern, und wenn auch unsre Abituri selbstverständ¬
lich nicht gleich ohne Austvs; und jedem Franzosen und jedem Engländer
mündlich oder schriftlich zu verkehren imstande sind, so besitzen sie doch die
Hauptgrundlage dazu. Wenn man aber befähigt sein soll, in einer Sprache
schriftlich zu Verkehre», so muß man anch im schriftlichen Gebrauche der Sprache
geübt worden sei», und schon deswegen können die schriftlichen Arbeiten in
den modernen Sprachen nicht preisgegeben werden; ob eine Beschränkung
ins Ange zu fassen wäre, bleibe dahingestellt. Ich wäre nicht dagegen.
Mit den alten Griechen und Lateinern aber treten nur nieder in mündlichen,
noch in schriftlichen Verkehr, anch der Gebrauch der lateinischen Sprache im
internationalen Verkehre der Gelehrten hat so gut wie aufgehört, nnr aus
kleinen Ländern, wie ans Dänemark und Holland, deren Sprache ein zu ge¬
ringes Gebiet umfaßt, werden wir noch mit lateinischen Publikationen beglückt.
Wozu also schriftliche Arbeiten in diesen Sprachen?

Aber, könnte man entgegen, wir können, wenn unsre Schüler ordentlich
Latein und Griechisch lernen sollen, diese Übungen nicht entbehren. So lange
mir für diese Unentbehrlichkeit keine Beweise gebracht werden, bestreite ich sie,
indem ich mich ans folgendes stütze: Erasmus und Reuchlin und mancher
andre Humanist haben doch die sogenannten klassischen Sprachen nicht blos?
gemalt gekannt, sondern anch, wenn man Eckstein, Klotz und einige andre auf-
nimmt, in einer in der Neuzeit unerreichten, musterhaften und eleganten Weise
zu handhaben verstanden, und doch: wo steht denn geschrieben zu lesen, daß
sie in der Jugend Pensenschreiber gewesen? Oder will man etwa ernsthaft be¬
haupten, Miltiades habe persische Skripta, Exploratoria und Extemporalia
geschrieben und sich mit deren Hilfe in so kurzer Zeit eine so bedeutende Be¬
herrschung der persischen Sprache verschafft? Mir ist bekannt, wie an
einem Gymnasium ein Extraner die Reifeprüfung mit der II bestand, während
drei Schüler des Gymnasiums durchsielen, obschon jeder von ihnen allein in
der Sexta mehr Skripta gemacht hatte, als dieser Extraner während seiner
ganzen Vorbereitungszeit. Und sollte Humboldt, sollten die übrigen berühmten
Sprachforscher schriftliche Exerzitien gemacht haben bei ihrer Erlernung der
Sprachen? Müssen etwa die Studenten, wenn sie Gotisch, Alt- und Mittel¬
hochdeutsch, nordisch, Nltfranzösisch und Alteuglisch, wenn sie syrisch und
Ägyptisch, Arabisch, Persisch und Chinesisch lernen, auch schriftliche Arbeiten
machen, auch Fvrmenextemporalin schreiben? Ich weiß nichts davon. Und
doch werden ans diesen Studenten genane Sprachkenner, ja sogar Professoren
der von ihnen ohne Exercitia gelernten Sprachen, halten Vorlesungen darüber,
schreiben gelehrte Werke darüber. Kirpiunti s-et. Also fort und den schriftlichen
Arbeiten in den toten Sprachen!


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[0478] Die lateinischen und griechischen Persa den modernen Sprachen demselben Zwecke mittleren soll, so hat er doch als Hauptzweck, den Verkehr und gleichzeitigen, benachbarten Knltilrvölkern zu er- möglichen und zik erleichtern, und wenn auch unsre Abituri selbstverständ¬ lich nicht gleich ohne Austvs; und jedem Franzosen und jedem Engländer mündlich oder schriftlich zu verkehren imstande sind, so besitzen sie doch die Hauptgrundlage dazu. Wenn man aber befähigt sein soll, in einer Sprache schriftlich zu Verkehre», so muß man anch im schriftlichen Gebrauche der Sprache geübt worden sei», und schon deswegen können die schriftlichen Arbeiten in den modernen Sprachen nicht preisgegeben werden; ob eine Beschränkung ins Ange zu fassen wäre, bleibe dahingestellt. Ich wäre nicht dagegen. Mit den alten Griechen und Lateinern aber treten nur nieder in mündlichen, noch in schriftlichen Verkehr, anch der Gebrauch der lateinischen Sprache im internationalen Verkehre der Gelehrten hat so gut wie aufgehört, nnr aus kleinen Ländern, wie ans Dänemark und Holland, deren Sprache ein zu ge¬ ringes Gebiet umfaßt, werden wir noch mit lateinischen Publikationen beglückt. Wozu also schriftliche Arbeiten in diesen Sprachen? Aber, könnte man entgegen, wir können, wenn unsre Schüler ordentlich Latein und Griechisch lernen sollen, diese Übungen nicht entbehren. So lange mir für diese Unentbehrlichkeit keine Beweise gebracht werden, bestreite ich sie, indem ich mich ans folgendes stütze: Erasmus und Reuchlin und mancher andre Humanist haben doch die sogenannten klassischen Sprachen nicht blos? gemalt gekannt, sondern anch, wenn man Eckstein, Klotz und einige andre auf- nimmt, in einer in der Neuzeit unerreichten, musterhaften und eleganten Weise zu handhaben verstanden, und doch: wo steht denn geschrieben zu lesen, daß sie in der Jugend Pensenschreiber gewesen? Oder will man etwa ernsthaft be¬ haupten, Miltiades habe persische Skripta, Exploratoria und Extemporalia geschrieben und sich mit deren Hilfe in so kurzer Zeit eine so bedeutende Be¬ herrschung der persischen Sprache verschafft? Mir ist bekannt, wie an einem Gymnasium ein Extraner die Reifeprüfung mit der II bestand, während drei Schüler des Gymnasiums durchsielen, obschon jeder von ihnen allein in der Sexta mehr Skripta gemacht hatte, als dieser Extraner während seiner ganzen Vorbereitungszeit. Und sollte Humboldt, sollten die übrigen berühmten Sprachforscher schriftliche Exerzitien gemacht haben bei ihrer Erlernung der Sprachen? Müssen etwa die Studenten, wenn sie Gotisch, Alt- und Mittel¬ hochdeutsch, nordisch, Nltfranzösisch und Alteuglisch, wenn sie syrisch und Ägyptisch, Arabisch, Persisch und Chinesisch lernen, auch schriftliche Arbeiten machen, auch Fvrmenextemporalin schreiben? Ich weiß nichts davon. Und doch werden ans diesen Studenten genane Sprachkenner, ja sogar Professoren der von ihnen ohne Exercitia gelernten Sprachen, halten Vorlesungen darüber, schreiben gelehrte Werke darüber. Kirpiunti s-et. Also fort und den schriftlichen Arbeiten in den toten Sprachen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/478>, abgerufen am 23.07.2024.