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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Sie wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

den ich mehr liebe als mich; so wie du ihn brichst, sind wir ewig ge¬
schieden.

So führten wir nun ein Leben, in dem Sorge, Ärger und Gram Fremd¬
linge waren. Sie zeigte mir mit jedem Tage mehr Liebe; jeder Tag wies
mir neue Reize an ihr. Weit entfernt, daß der ungestörte Besitz Überdruß
oder auch nur vorübergehendes Erkalten erzeugt hätte, wuchs unsre Seligkeit
mit jedem Tage, sie war so reich, daß sie immer neu blieb; jeder letzte Kuß
schien mir der süßeste. So lebten wir, und so würden wir noch leben, wäre
ich nicht der Elendeste und der Hassens- und Verachtungswürdigste unter allen
Menschen!

Einst brachten wir, wie gewöhnlich, die schönste tropische Nacht im Freien
zu. Ich horchte deu Gesängen des Koll; Vasanta sah unverwandt zum ge¬
stirnten Himmel auf. Plötzlich verbreitete sich ein Lächeln über ihre Züge,
ein Lächeln, schön, wie diese Züge selbst, und sie rief: Heil mir, daß die Zeit
gekommen ist, meinem lieben Herzen einen Wunsch zu erfüllen, wonach es
lauge geschmachtet hat! Dann aber wischte eine ängstliche Blässe das Lächeln
vom Lotos ihres Antlitzes, und mit trauriger Stimme fuhr sie fort: Wehe
nur, daß die Stunde zu kommen droht, da ich die Sonne meines süßen Glückes
zum letztenmale sehen soll! Damit ergriff sie beide meine Hände, senkte ihre
Augen tief in die meinen und sagte mit einer Stimme, die mir das Herz
umwendete: Liebe Seele, brichst du mir deinen Schwur, so sind wir beide
elend; du nur kurze Zeit, denn ihr Menschen habt den mitleidigen Tod, ich
aber ewig und ohne Ende.

Ich stürzte ihr zu Füßen und verschwor mich bei allein, um sie zu be¬
ruhigen, ich Unseliger! Es gelang mir, wenn sich das treueste Herz der Erde
nicht nur so stellte, als sei sie beruhigt, um mir nicht einen Augenblick zu
verbittern, mir, der ich Unmensch genng war, aus elendem, kindischem Fürwitz
sie und mich zu verderben.

Es begab sich aber, daß der König von Schweden unerkannt nach Leipzig
kam und einige Zeit sich dort aufhielt. Abends Pflegte er mit einem Kammer¬
herrn um das Thor zu wandeln. Bei einem solchen Gange fiel ihm ein großer
und prächtiger Palast auf dem Roßplatze auf. Er hatte nie ein schöneres
Gebäude gesehen; dazu waren alle Fenster des Palastes prächtig erleuchtet,
Trompeten- und Paukenschall scholl festlich aus dem Paläste weithin dnrch die
Nacht. Elegante Wagen kamen von allen Seiten her angerasselt, prächtig ge¬
kleidete Herrschaften stiegen heraus, und so oft einer vorfuhr, so oft sprangen
zwei Thore von köstlicher Eisenarbeit ans, und mau sah in einen unermeßlichen
Raum mit so unzähligen Lichtern, daß mehr als Sonnenhelle herausdrang,
und mit schönen Gruppen der herrlichsten fremden Bltttenbäume aus allen
Zonen in solchem Reichtum besetzt, daß mit jeder Thüröffnung ein wahrer
Strom der süßesten Wohlgerüche herausquoll. Der König befahl seinem Be-


Sie wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

den ich mehr liebe als mich; so wie du ihn brichst, sind wir ewig ge¬
schieden.

So führten wir nun ein Leben, in dem Sorge, Ärger und Gram Fremd¬
linge waren. Sie zeigte mir mit jedem Tage mehr Liebe; jeder Tag wies
mir neue Reize an ihr. Weit entfernt, daß der ungestörte Besitz Überdruß
oder auch nur vorübergehendes Erkalten erzeugt hätte, wuchs unsre Seligkeit
mit jedem Tage, sie war so reich, daß sie immer neu blieb; jeder letzte Kuß
schien mir der süßeste. So lebten wir, und so würden wir noch leben, wäre
ich nicht der Elendeste und der Hassens- und Verachtungswürdigste unter allen
Menschen!

Einst brachten wir, wie gewöhnlich, die schönste tropische Nacht im Freien
zu. Ich horchte deu Gesängen des Koll; Vasanta sah unverwandt zum ge¬
stirnten Himmel auf. Plötzlich verbreitete sich ein Lächeln über ihre Züge,
ein Lächeln, schön, wie diese Züge selbst, und sie rief: Heil mir, daß die Zeit
gekommen ist, meinem lieben Herzen einen Wunsch zu erfüllen, wonach es
lauge geschmachtet hat! Dann aber wischte eine ängstliche Blässe das Lächeln
vom Lotos ihres Antlitzes, und mit trauriger Stimme fuhr sie fort: Wehe
nur, daß die Stunde zu kommen droht, da ich die Sonne meines süßen Glückes
zum letztenmale sehen soll! Damit ergriff sie beide meine Hände, senkte ihre
Augen tief in die meinen und sagte mit einer Stimme, die mir das Herz
umwendete: Liebe Seele, brichst du mir deinen Schwur, so sind wir beide
elend; du nur kurze Zeit, denn ihr Menschen habt den mitleidigen Tod, ich
aber ewig und ohne Ende.

Ich stürzte ihr zu Füßen und verschwor mich bei allein, um sie zu be¬
ruhigen, ich Unseliger! Es gelang mir, wenn sich das treueste Herz der Erde
nicht nur so stellte, als sei sie beruhigt, um mir nicht einen Augenblick zu
verbittern, mir, der ich Unmensch genng war, aus elendem, kindischem Fürwitz
sie und mich zu verderben.

Es begab sich aber, daß der König von Schweden unerkannt nach Leipzig
kam und einige Zeit sich dort aufhielt. Abends Pflegte er mit einem Kammer¬
herrn um das Thor zu wandeln. Bei einem solchen Gange fiel ihm ein großer
und prächtiger Palast auf dem Roßplatze auf. Er hatte nie ein schöneres
Gebäude gesehen; dazu waren alle Fenster des Palastes prächtig erleuchtet,
Trompeten- und Paukenschall scholl festlich aus dem Paläste weithin dnrch die
Nacht. Elegante Wagen kamen von allen Seiten her angerasselt, prächtig ge¬
kleidete Herrschaften stiegen heraus, und so oft einer vorfuhr, so oft sprangen
zwei Thore von köstlicher Eisenarbeit ans, und mau sah in einen unermeßlichen
Raum mit so unzähligen Lichtern, daß mehr als Sonnenhelle herausdrang,
und mit schönen Gruppen der herrlichsten fremden Bltttenbäume aus allen
Zonen in solchem Reichtum besetzt, daß mit jeder Thüröffnung ein wahrer
Strom der süßesten Wohlgerüche herausquoll. Der König befahl seinem Be-


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[0438] Sie wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen den ich mehr liebe als mich; so wie du ihn brichst, sind wir ewig ge¬ schieden. So führten wir nun ein Leben, in dem Sorge, Ärger und Gram Fremd¬ linge waren. Sie zeigte mir mit jedem Tage mehr Liebe; jeder Tag wies mir neue Reize an ihr. Weit entfernt, daß der ungestörte Besitz Überdruß oder auch nur vorübergehendes Erkalten erzeugt hätte, wuchs unsre Seligkeit mit jedem Tage, sie war so reich, daß sie immer neu blieb; jeder letzte Kuß schien mir der süßeste. So lebten wir, und so würden wir noch leben, wäre ich nicht der Elendeste und der Hassens- und Verachtungswürdigste unter allen Menschen! Einst brachten wir, wie gewöhnlich, die schönste tropische Nacht im Freien zu. Ich horchte deu Gesängen des Koll; Vasanta sah unverwandt zum ge¬ stirnten Himmel auf. Plötzlich verbreitete sich ein Lächeln über ihre Züge, ein Lächeln, schön, wie diese Züge selbst, und sie rief: Heil mir, daß die Zeit gekommen ist, meinem lieben Herzen einen Wunsch zu erfüllen, wonach es lauge geschmachtet hat! Dann aber wischte eine ängstliche Blässe das Lächeln vom Lotos ihres Antlitzes, und mit trauriger Stimme fuhr sie fort: Wehe nur, daß die Stunde zu kommen droht, da ich die Sonne meines süßen Glückes zum letztenmale sehen soll! Damit ergriff sie beide meine Hände, senkte ihre Augen tief in die meinen und sagte mit einer Stimme, die mir das Herz umwendete: Liebe Seele, brichst du mir deinen Schwur, so sind wir beide elend; du nur kurze Zeit, denn ihr Menschen habt den mitleidigen Tod, ich aber ewig und ohne Ende. Ich stürzte ihr zu Füßen und verschwor mich bei allein, um sie zu be¬ ruhigen, ich Unseliger! Es gelang mir, wenn sich das treueste Herz der Erde nicht nur so stellte, als sei sie beruhigt, um mir nicht einen Augenblick zu verbittern, mir, der ich Unmensch genng war, aus elendem, kindischem Fürwitz sie und mich zu verderben. Es begab sich aber, daß der König von Schweden unerkannt nach Leipzig kam und einige Zeit sich dort aufhielt. Abends Pflegte er mit einem Kammer¬ herrn um das Thor zu wandeln. Bei einem solchen Gange fiel ihm ein großer und prächtiger Palast auf dem Roßplatze auf. Er hatte nie ein schöneres Gebäude gesehen; dazu waren alle Fenster des Palastes prächtig erleuchtet, Trompeten- und Paukenschall scholl festlich aus dem Paläste weithin dnrch die Nacht. Elegante Wagen kamen von allen Seiten her angerasselt, prächtig ge¬ kleidete Herrschaften stiegen heraus, und so oft einer vorfuhr, so oft sprangen zwei Thore von köstlicher Eisenarbeit ans, und mau sah in einen unermeßlichen Raum mit so unzähligen Lichtern, daß mehr als Sonnenhelle herausdrang, und mit schönen Gruppen der herrlichsten fremden Bltttenbäume aus allen Zonen in solchem Reichtum besetzt, daß mit jeder Thüröffnung ein wahrer Strom der süßesten Wohlgerüche herausquoll. Der König befahl seinem Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/438>, abgerufen am 23.07.2024.