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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Sie wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

Schwäne abermals auf und brachten mich in einen herrlichen Hain voll von
den lieblichsten Vögelgesüngen. Sie hatten mich kaum niedergesetzt, als ich
die schöne Jungfrau von einem goldnen Throne herabsteigen und mir entgegen¬
kommen sah. Sie war herrlich geschmückt; ihr schönster Schmuck aber war
ein wahrhaft königlicher Anstand neben dem schamhaftesten, mädchenhaftesten
Wesen. Heil, sagte sie, indem sie sich entschleierte und mich mit roten Asoka-
blumen überstreute, Heil meinem Herrn! Dann faßte sie mich bei der Hand
und hieß mich, mich auf einen ebenfalls goldnen Thron setzen, der neben dem
ihrigen stand. Teuerster Prinz, fuhr sie fort, von nun an sehe ich euch für
meinen Herrn und Gatten an, und alles was ihr sehet, dieser große frucht-
und tierreiche Hain wie das Rubinschloß mit seinen sieben Höfen, alles, was
ich besitze, ist euer Eigentum, wie ich selbst es bin. Aber es ist schon spät,
und ihr werdet der Ruhe bedürfen. Sie klatschte in die Hände, und von dem
See her kamen die Schwäne, hoben uns auf und trugen uns in das Schloß,
und zwar in das herrlichste, heimlichste Schlafgemach, das man sich denken kann.

So schnell ich vorhin mich angekleidet hatte -- wieviel schneller kleidete
ich mich nnn aus! Als wir beide das Lager bestiegen hatten, schlug ich trunken
von Seligkeit meine Arme um sie. Wie erstaunte ich, wie schmerzte es mich, als
sie meine Zärtlichkeit nicht allein nicht erwiderte, sondern sich mir entwand
und sich erhob -- wie ich glauben mußte --, um mich zu verlassen.

Nicht so, Prinz, sprach sie mit Ernst. Wisset, daß ich Vasanta bin, eine
von den drei unglücklichen Prinzessinnen, die dem heiligen Chyavana mit Kusa-
gras in die Augen stachen. Da ich die letzte war, die es that, bin ich, ob¬
wohl zu Strafe, doch zu geringerer von ihm verdammt, als meine geliebtesten
Schwestern, diese so ärmsten und beklagenswertesten Frauen, wie sie die schönsten
und besten sind. Diese Strafe besteht darin, daß ich, ihnen nahe, dennoch
ewig von ihnen getrennt bin. Nur der Liebe ist es vergönnt, über dieses
Ungemach mich zu trösten. Und zwar kann nur ein Goldensonntagskind mein
Gatte werden, da kein andrer weder mich noch mein Schloß und meine übrigen
Besitztümer gewahr werden kann. Jeder andre sieht nur einen kleinen Sumpf,
über den hinweg der Blick einen Ruhepunkt findet, eh er noch der Ruhe be¬
gehrt, und einen Ruhepunkt findet in dem unschönen Hinterteil eines gemästeten
Engels auf der Höhe des Berges von der traurigen Gestalt. Ihr seid solch
ein Gvldensonntagskind, das mir Indra zugeschickt hat. Ihr seid nun mein
Gatte und Herr und könnet in ewiger Jugend und Schönheit bei mir wohnen,
wenn ihr nur eins zu thun sest gewillt seid. Das eine ist, daß ihr nie das
Mal zu sehen begehret, das ich auf meiner linken Hüfte trage. Wollet ihr
mich um ganz besitzen, so schwöret mir, dies eine zu halten.

Ich schwur. Sie nahm mich hierauf, indem sie vor Scham und Freude
errötete, liebevoll in die Arme, küßte mich auf den Mund und sagte mit dem
süßesten Tone: O halte deinen Schwur, mein liebes Herz, daß du mein bleibest,


Sie wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

Schwäne abermals auf und brachten mich in einen herrlichen Hain voll von
den lieblichsten Vögelgesüngen. Sie hatten mich kaum niedergesetzt, als ich
die schöne Jungfrau von einem goldnen Throne herabsteigen und mir entgegen¬
kommen sah. Sie war herrlich geschmückt; ihr schönster Schmuck aber war
ein wahrhaft königlicher Anstand neben dem schamhaftesten, mädchenhaftesten
Wesen. Heil, sagte sie, indem sie sich entschleierte und mich mit roten Asoka-
blumen überstreute, Heil meinem Herrn! Dann faßte sie mich bei der Hand
und hieß mich, mich auf einen ebenfalls goldnen Thron setzen, der neben dem
ihrigen stand. Teuerster Prinz, fuhr sie fort, von nun an sehe ich euch für
meinen Herrn und Gatten an, und alles was ihr sehet, dieser große frucht-
und tierreiche Hain wie das Rubinschloß mit seinen sieben Höfen, alles, was
ich besitze, ist euer Eigentum, wie ich selbst es bin. Aber es ist schon spät,
und ihr werdet der Ruhe bedürfen. Sie klatschte in die Hände, und von dem
See her kamen die Schwäne, hoben uns auf und trugen uns in das Schloß,
und zwar in das herrlichste, heimlichste Schlafgemach, das man sich denken kann.

So schnell ich vorhin mich angekleidet hatte — wieviel schneller kleidete
ich mich nnn aus! Als wir beide das Lager bestiegen hatten, schlug ich trunken
von Seligkeit meine Arme um sie. Wie erstaunte ich, wie schmerzte es mich, als
sie meine Zärtlichkeit nicht allein nicht erwiderte, sondern sich mir entwand
und sich erhob — wie ich glauben mußte —, um mich zu verlassen.

Nicht so, Prinz, sprach sie mit Ernst. Wisset, daß ich Vasanta bin, eine
von den drei unglücklichen Prinzessinnen, die dem heiligen Chyavana mit Kusa-
gras in die Augen stachen. Da ich die letzte war, die es that, bin ich, ob¬
wohl zu Strafe, doch zu geringerer von ihm verdammt, als meine geliebtesten
Schwestern, diese so ärmsten und beklagenswertesten Frauen, wie sie die schönsten
und besten sind. Diese Strafe besteht darin, daß ich, ihnen nahe, dennoch
ewig von ihnen getrennt bin. Nur der Liebe ist es vergönnt, über dieses
Ungemach mich zu trösten. Und zwar kann nur ein Goldensonntagskind mein
Gatte werden, da kein andrer weder mich noch mein Schloß und meine übrigen
Besitztümer gewahr werden kann. Jeder andre sieht nur einen kleinen Sumpf,
über den hinweg der Blick einen Ruhepunkt findet, eh er noch der Ruhe be¬
gehrt, und einen Ruhepunkt findet in dem unschönen Hinterteil eines gemästeten
Engels auf der Höhe des Berges von der traurigen Gestalt. Ihr seid solch
ein Gvldensonntagskind, das mir Indra zugeschickt hat. Ihr seid nun mein
Gatte und Herr und könnet in ewiger Jugend und Schönheit bei mir wohnen,
wenn ihr nur eins zu thun sest gewillt seid. Das eine ist, daß ihr nie das
Mal zu sehen begehret, das ich auf meiner linken Hüfte trage. Wollet ihr
mich um ganz besitzen, so schwöret mir, dies eine zu halten.

Ich schwur. Sie nahm mich hierauf, indem sie vor Scham und Freude
errötete, liebevoll in die Arme, küßte mich auf den Mund und sagte mit dem
süßesten Tone: O halte deinen Schwur, mein liebes Herz, daß du mein bleibest,


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[0437] Sie wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen Schwäne abermals auf und brachten mich in einen herrlichen Hain voll von den lieblichsten Vögelgesüngen. Sie hatten mich kaum niedergesetzt, als ich die schöne Jungfrau von einem goldnen Throne herabsteigen und mir entgegen¬ kommen sah. Sie war herrlich geschmückt; ihr schönster Schmuck aber war ein wahrhaft königlicher Anstand neben dem schamhaftesten, mädchenhaftesten Wesen. Heil, sagte sie, indem sie sich entschleierte und mich mit roten Asoka- blumen überstreute, Heil meinem Herrn! Dann faßte sie mich bei der Hand und hieß mich, mich auf einen ebenfalls goldnen Thron setzen, der neben dem ihrigen stand. Teuerster Prinz, fuhr sie fort, von nun an sehe ich euch für meinen Herrn und Gatten an, und alles was ihr sehet, dieser große frucht- und tierreiche Hain wie das Rubinschloß mit seinen sieben Höfen, alles, was ich besitze, ist euer Eigentum, wie ich selbst es bin. Aber es ist schon spät, und ihr werdet der Ruhe bedürfen. Sie klatschte in die Hände, und von dem See her kamen die Schwäne, hoben uns auf und trugen uns in das Schloß, und zwar in das herrlichste, heimlichste Schlafgemach, das man sich denken kann. So schnell ich vorhin mich angekleidet hatte — wieviel schneller kleidete ich mich nnn aus! Als wir beide das Lager bestiegen hatten, schlug ich trunken von Seligkeit meine Arme um sie. Wie erstaunte ich, wie schmerzte es mich, als sie meine Zärtlichkeit nicht allein nicht erwiderte, sondern sich mir entwand und sich erhob — wie ich glauben mußte —, um mich zu verlassen. Nicht so, Prinz, sprach sie mit Ernst. Wisset, daß ich Vasanta bin, eine von den drei unglücklichen Prinzessinnen, die dem heiligen Chyavana mit Kusa- gras in die Augen stachen. Da ich die letzte war, die es that, bin ich, ob¬ wohl zu Strafe, doch zu geringerer von ihm verdammt, als meine geliebtesten Schwestern, diese so ärmsten und beklagenswertesten Frauen, wie sie die schönsten und besten sind. Diese Strafe besteht darin, daß ich, ihnen nahe, dennoch ewig von ihnen getrennt bin. Nur der Liebe ist es vergönnt, über dieses Ungemach mich zu trösten. Und zwar kann nur ein Goldensonntagskind mein Gatte werden, da kein andrer weder mich noch mein Schloß und meine übrigen Besitztümer gewahr werden kann. Jeder andre sieht nur einen kleinen Sumpf, über den hinweg der Blick einen Ruhepunkt findet, eh er noch der Ruhe be¬ gehrt, und einen Ruhepunkt findet in dem unschönen Hinterteil eines gemästeten Engels auf der Höhe des Berges von der traurigen Gestalt. Ihr seid solch ein Gvldensonntagskind, das mir Indra zugeschickt hat. Ihr seid nun mein Gatte und Herr und könnet in ewiger Jugend und Schönheit bei mir wohnen, wenn ihr nur eins zu thun sest gewillt seid. Das eine ist, daß ihr nie das Mal zu sehen begehret, das ich auf meiner linken Hüfte trage. Wollet ihr mich um ganz besitzen, so schwöret mir, dies eine zu halten. Ich schwur. Sie nahm mich hierauf, indem sie vor Scham und Freude errötete, liebevoll in die Arme, küßte mich auf den Mund und sagte mit dem süßesten Tone: O halte deinen Schwur, mein liebes Herz, daß du mein bleibest,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/437>, abgerufen am 23.07.2024.