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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte von den drei U)umsehen

Bester Herr, fiel ihm Madame Fintlein ins Wort, einigemal wollte ich
ihr nachgehen oder wenigstens nachsehen, aber Fintlein lites nicht. Er sagte,
das sei Fürwitz, und sie würde dann gewiß nicht wieder kommen.

Ein Meer von unbeschreiblichen Gefühlen arbeitete in meiner Brust.
Schneller, als ich heraufgekommen war, eilte ich die dunkle Treppe hinunter;
mir war, als müßte sie mir heute noch einmal begegnen. Ich durchrannte
alle Straßen der Vorstädte, ich durchrannte alle Wege der Promenade. Hie
und da rief mich eine bekannte Stimme; das hörte ich fern wie im
Traume. Je dunkler es wurde, desto schneller lief ich; hier rannte ich mit einem
zusammen, der mir fluchend nachsah, dort wich eine ängstlich, einer verwundert
mir aus, kaum daß ich es bemerkte.

So raunte ich eben durch die Dresdner Straße. Es war schon Nacht
geworden; ein rauher Wind blies mir entgegen. Da erhob sich in einem der
Häuser eine Frauenstimme in so wundervollen Klängen, daß minds festhielt,
als wäre ich gebannt. Ich sah auf; im Scheine der Gaslaterne glänzte nur
wieder das goldne: "Jammerdegensche Verlagsbuchhandlung" entgegen. Es
war ein einfaches Liedchen, was die Stimme sang, aber diese Klänge --
so wundersam getragen, so ruhig und klar! Mir war, als sähe ich deu
ruhigen Blick, der mich heute durchleuchtet hatte, dem wieder zu begegnen ich
mich sehnte. Ich zweifelte nicht, daß beides, Blick und Stimme, derselben
gehöre, die, seit ich sie gesehen, die Herrin meines Herzens war. Der Gesang
verstummte; ein Licht um das andre verlosch in den Fenstern ringsum. Räuber
und immer rauher blies der Wind mich an; in mir aber wehte süße Frühlings-
luft, und alle Knospen meines Innern sprangen klingend auf. --

Nachdem er so weit erzählt hatte, blieb er erst schweigend eine Weile
sitzen, dann sprang er auf und riß die Binde vom Halse wie einer, dem es an
Luft fehlt. Drauf brachte er aus feinen Taschen eine Anzahl Krämertüten
hervor, die er auf dem Tische vor sich ausbreitete.

Ich muß, sagte er dann, ehe ich in der Geschichte meiner Liebe fortfahre,
einen Absprung machen; die Gefühle, die die Erinnerung jeuer Zustände in
mir hervorruft, würden mich sonst aufreiben.

Du betrachtest diese Tuten mit Wertminderung; was wirst du sagen, wenn
du erführst, daß, was auf ihnen gedruckt ist, im engsten Zusammenhange
mit meiner Geschichte steht. Was wirst du sagen, wenn ich dir erzähle, daß
ich an einem und demselben Tage in der einen von dem kleinen Küchengarten
Kuchen heimgetragen und diese zweite um eillfeines Messerchen gewunden erhalten
hatte, das mir ein Freund ans Bamberg zum Präsent schickte, daß mir an
dem Abend desselben Tages, wie ich durch die Tauchaer Straße gehe, ein Kind
nachläuft und mir diese dritte giebt, indem es sagt: Sie haben das Papierchen
verloren. Ich lasse nun von solchen Tuten und Emballagen, die ich bekomme,
nichts ungelesen. Du wirst erstaunen, wie ich erstaunte, zu finden, daß diese


Die wahrhaftige Geschichte von den drei U)umsehen

Bester Herr, fiel ihm Madame Fintlein ins Wort, einigemal wollte ich
ihr nachgehen oder wenigstens nachsehen, aber Fintlein lites nicht. Er sagte,
das sei Fürwitz, und sie würde dann gewiß nicht wieder kommen.

Ein Meer von unbeschreiblichen Gefühlen arbeitete in meiner Brust.
Schneller, als ich heraufgekommen war, eilte ich die dunkle Treppe hinunter;
mir war, als müßte sie mir heute noch einmal begegnen. Ich durchrannte
alle Straßen der Vorstädte, ich durchrannte alle Wege der Promenade. Hie
und da rief mich eine bekannte Stimme; das hörte ich fern wie im
Traume. Je dunkler es wurde, desto schneller lief ich; hier rannte ich mit einem
zusammen, der mir fluchend nachsah, dort wich eine ängstlich, einer verwundert
mir aus, kaum daß ich es bemerkte.

So raunte ich eben durch die Dresdner Straße. Es war schon Nacht
geworden; ein rauher Wind blies mir entgegen. Da erhob sich in einem der
Häuser eine Frauenstimme in so wundervollen Klängen, daß minds festhielt,
als wäre ich gebannt. Ich sah auf; im Scheine der Gaslaterne glänzte nur
wieder das goldne: „Jammerdegensche Verlagsbuchhandlung" entgegen. Es
war ein einfaches Liedchen, was die Stimme sang, aber diese Klänge —
so wundersam getragen, so ruhig und klar! Mir war, als sähe ich deu
ruhigen Blick, der mich heute durchleuchtet hatte, dem wieder zu begegnen ich
mich sehnte. Ich zweifelte nicht, daß beides, Blick und Stimme, derselben
gehöre, die, seit ich sie gesehen, die Herrin meines Herzens war. Der Gesang
verstummte; ein Licht um das andre verlosch in den Fenstern ringsum. Räuber
und immer rauher blies der Wind mich an; in mir aber wehte süße Frühlings-
luft, und alle Knospen meines Innern sprangen klingend auf. —

Nachdem er so weit erzählt hatte, blieb er erst schweigend eine Weile
sitzen, dann sprang er auf und riß die Binde vom Halse wie einer, dem es an
Luft fehlt. Drauf brachte er aus feinen Taschen eine Anzahl Krämertüten
hervor, die er auf dem Tische vor sich ausbreitete.

Ich muß, sagte er dann, ehe ich in der Geschichte meiner Liebe fortfahre,
einen Absprung machen; die Gefühle, die die Erinnerung jeuer Zustände in
mir hervorruft, würden mich sonst aufreiben.

Du betrachtest diese Tuten mit Wertminderung; was wirst du sagen, wenn
du erführst, daß, was auf ihnen gedruckt ist, im engsten Zusammenhange
mit meiner Geschichte steht. Was wirst du sagen, wenn ich dir erzähle, daß
ich an einem und demselben Tage in der einen von dem kleinen Küchengarten
Kuchen heimgetragen und diese zweite um eillfeines Messerchen gewunden erhalten
hatte, das mir ein Freund ans Bamberg zum Präsent schickte, daß mir an
dem Abend desselben Tages, wie ich durch die Tauchaer Straße gehe, ein Kind
nachläuft und mir diese dritte giebt, indem es sagt: Sie haben das Papierchen
verloren. Ich lasse nun von solchen Tuten und Emballagen, die ich bekomme,
nichts ungelesen. Du wirst erstaunen, wie ich erstaunte, zu finden, daß diese


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[0389] Die wahrhaftige Geschichte von den drei U)umsehen Bester Herr, fiel ihm Madame Fintlein ins Wort, einigemal wollte ich ihr nachgehen oder wenigstens nachsehen, aber Fintlein lites nicht. Er sagte, das sei Fürwitz, und sie würde dann gewiß nicht wieder kommen. Ein Meer von unbeschreiblichen Gefühlen arbeitete in meiner Brust. Schneller, als ich heraufgekommen war, eilte ich die dunkle Treppe hinunter; mir war, als müßte sie mir heute noch einmal begegnen. Ich durchrannte alle Straßen der Vorstädte, ich durchrannte alle Wege der Promenade. Hie und da rief mich eine bekannte Stimme; das hörte ich fern wie im Traume. Je dunkler es wurde, desto schneller lief ich; hier rannte ich mit einem zusammen, der mir fluchend nachsah, dort wich eine ängstlich, einer verwundert mir aus, kaum daß ich es bemerkte. So raunte ich eben durch die Dresdner Straße. Es war schon Nacht geworden; ein rauher Wind blies mir entgegen. Da erhob sich in einem der Häuser eine Frauenstimme in so wundervollen Klängen, daß minds festhielt, als wäre ich gebannt. Ich sah auf; im Scheine der Gaslaterne glänzte nur wieder das goldne: „Jammerdegensche Verlagsbuchhandlung" entgegen. Es war ein einfaches Liedchen, was die Stimme sang, aber diese Klänge — so wundersam getragen, so ruhig und klar! Mir war, als sähe ich deu ruhigen Blick, der mich heute durchleuchtet hatte, dem wieder zu begegnen ich mich sehnte. Ich zweifelte nicht, daß beides, Blick und Stimme, derselben gehöre, die, seit ich sie gesehen, die Herrin meines Herzens war. Der Gesang verstummte; ein Licht um das andre verlosch in den Fenstern ringsum. Räuber und immer rauher blies der Wind mich an; in mir aber wehte süße Frühlings- luft, und alle Knospen meines Innern sprangen klingend auf. — Nachdem er so weit erzählt hatte, blieb er erst schweigend eine Weile sitzen, dann sprang er auf und riß die Binde vom Halse wie einer, dem es an Luft fehlt. Drauf brachte er aus feinen Taschen eine Anzahl Krämertüten hervor, die er auf dem Tische vor sich ausbreitete. Ich muß, sagte er dann, ehe ich in der Geschichte meiner Liebe fortfahre, einen Absprung machen; die Gefühle, die die Erinnerung jeuer Zustände in mir hervorruft, würden mich sonst aufreiben. Du betrachtest diese Tuten mit Wertminderung; was wirst du sagen, wenn du erführst, daß, was auf ihnen gedruckt ist, im engsten Zusammenhange mit meiner Geschichte steht. Was wirst du sagen, wenn ich dir erzähle, daß ich an einem und demselben Tage in der einen von dem kleinen Küchengarten Kuchen heimgetragen und diese zweite um eillfeines Messerchen gewunden erhalten hatte, das mir ein Freund ans Bamberg zum Präsent schickte, daß mir an dem Abend desselben Tages, wie ich durch die Tauchaer Straße gehe, ein Kind nachläuft und mir diese dritte giebt, indem es sagt: Sie haben das Papierchen verloren. Ich lasse nun von solchen Tuten und Emballagen, die ich bekomme, nichts ungelesen. Du wirst erstaunen, wie ich erstaunte, zu finden, daß diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/389>, abgerufen am 26.06.2024.