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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Mädchenerziehung in Frankreich

Kosten des Religionsunterrichts Volkwirtschafts- und Staatsrechtslehre einzu-
führen, wie es in Frankreich geschehen ist, empfiehlt sich in evangelischen
Schulen um so weniger, als sich der evangelische Gottesdienst um die Predigt,
die bei dem Hörer eine tiefere religiöse Erkenntnis voraussetzt, gruppirt. Es
wäre wohl der Mühe wert, wenn eine Vereinigung mit den wahren Bedürfnissen
der Schule und des bürgerlichen Lebens wie mit den in Frage kommenden
Wissenszweigen völlig vertrauter Männer der Angelegenheit einmal Vorurteils-
srei näher träte und, falls sich die Notwendigkeit einer Änderung herausstellen
sollte, an die Bearbeitung von Leitfäden für die einzelnen Unterrichtsstnfen
ginge. Dann könnte sich auch der Fernerstehende zunächst ein Urteil bilden.
Große Eile hat die Sache jedenfalls nicht.

In Frankreich stehen sich über den Anteil des Einflusses der gebildeten
Frau auf das soziale Leben die Vertreter zweier Standpunkte gegenüber. Die
einen weisen ihr öffentliche Aufgaben wie dem Manne an und scheinen damit
nur beweisen zu wollen, daß sie die wahren Aufgaben und die eigensten
Interessen der Frau verkennen, während die andern sie ausschließlich an den
häuslichen Herd bannen möchten und ihr schon im Pensionate nonnenhafte
Gewohnheiten anerziehen. Es hieße Eulen nach Athen tragen, wollten wir
hier über die Aufgaben des weiblichen Geschlechts und die ihnen entsprechende
Erziehung eingehende Erörterungen anstellen. Der Hauptgesichtspunkt, von
dem aus das zu geschehen hätte, könnte immer nur die ursprüugliche Be¬
stimmung der Frau in der Welt, in der Gesellschaft, im Hause sein.

In kosmopolitischer Beziehung ist sie die Stammhalterin der gesamten
Menschheit, in sozialer Hüterin des guten Tons, in familiärer Priesterin des
häuslichen Glückes. Als Hüterin des guten Tones hat sie in der Gesell¬
schaft beispielsweise die Würde der Formen, die Zurückhaltung der Sprache,
wovon sich Männer, wenn sie unter sich sind, nur zu leicht frei machen, zu
wahren.


Willst du genau erfahren, was sich ziemt,
So frage nur bei edeln Frauen an! . . .
Die Schicklichkeit umgiebt mit einer Mauer
Das zarte, leicht verletzliche Geschlecht.
Wo Sittlichkeit regiert, regieren sie,
Und wo die Frechheit herrscht, da sind sie nichts.
Und wirst du die Geschlechter beide fragen:
Nach Freiheit strebt der Mann, das Weib nach Sitte.

Im Hause sällt ihr die Aufgabe zu, jeden Mißton zu banne,?, jede Uneben¬
heit zu glütteu. Sie hat die fröhliche Kinderschar so zu leiten, daß die Freude nicht
zu Ausgelassenheit führt; sie spendet dem Manne Erquickung bei dem Kampf
ums Dasein und Trost bei den Prüfungen des Lebens, und wenn sie auch die
Dinge, die das geistige Sein und Leben des Gatten beherrschen, zu beurteilen
und zu schätzen in der Lage sein soll, um seine Gefühle, seine Begeisterung


Mädchenerziehung in Frankreich

Kosten des Religionsunterrichts Volkwirtschafts- und Staatsrechtslehre einzu-
führen, wie es in Frankreich geschehen ist, empfiehlt sich in evangelischen
Schulen um so weniger, als sich der evangelische Gottesdienst um die Predigt,
die bei dem Hörer eine tiefere religiöse Erkenntnis voraussetzt, gruppirt. Es
wäre wohl der Mühe wert, wenn eine Vereinigung mit den wahren Bedürfnissen
der Schule und des bürgerlichen Lebens wie mit den in Frage kommenden
Wissenszweigen völlig vertrauter Männer der Angelegenheit einmal Vorurteils-
srei näher träte und, falls sich die Notwendigkeit einer Änderung herausstellen
sollte, an die Bearbeitung von Leitfäden für die einzelnen Unterrichtsstnfen
ginge. Dann könnte sich auch der Fernerstehende zunächst ein Urteil bilden.
Große Eile hat die Sache jedenfalls nicht.

In Frankreich stehen sich über den Anteil des Einflusses der gebildeten
Frau auf das soziale Leben die Vertreter zweier Standpunkte gegenüber. Die
einen weisen ihr öffentliche Aufgaben wie dem Manne an und scheinen damit
nur beweisen zu wollen, daß sie die wahren Aufgaben und die eigensten
Interessen der Frau verkennen, während die andern sie ausschließlich an den
häuslichen Herd bannen möchten und ihr schon im Pensionate nonnenhafte
Gewohnheiten anerziehen. Es hieße Eulen nach Athen tragen, wollten wir
hier über die Aufgaben des weiblichen Geschlechts und die ihnen entsprechende
Erziehung eingehende Erörterungen anstellen. Der Hauptgesichtspunkt, von
dem aus das zu geschehen hätte, könnte immer nur die ursprüugliche Be¬
stimmung der Frau in der Welt, in der Gesellschaft, im Hause sein.

In kosmopolitischer Beziehung ist sie die Stammhalterin der gesamten
Menschheit, in sozialer Hüterin des guten Tons, in familiärer Priesterin des
häuslichen Glückes. Als Hüterin des guten Tones hat sie in der Gesell¬
schaft beispielsweise die Würde der Formen, die Zurückhaltung der Sprache,
wovon sich Männer, wenn sie unter sich sind, nur zu leicht frei machen, zu
wahren.


Willst du genau erfahren, was sich ziemt,
So frage nur bei edeln Frauen an! . . .
Die Schicklichkeit umgiebt mit einer Mauer
Das zarte, leicht verletzliche Geschlecht.
Wo Sittlichkeit regiert, regieren sie,
Und wo die Frechheit herrscht, da sind sie nichts.
Und wirst du die Geschlechter beide fragen:
Nach Freiheit strebt der Mann, das Weib nach Sitte.

Im Hause sällt ihr die Aufgabe zu, jeden Mißton zu banne,?, jede Uneben¬
heit zu glütteu. Sie hat die fröhliche Kinderschar so zu leiten, daß die Freude nicht
zu Ausgelassenheit führt; sie spendet dem Manne Erquickung bei dem Kampf
ums Dasein und Trost bei den Prüfungen des Lebens, und wenn sie auch die
Dinge, die das geistige Sein und Leben des Gatten beherrschen, zu beurteilen
und zu schätzen in der Lage sein soll, um seine Gefühle, seine Begeisterung


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[0360] Mädchenerziehung in Frankreich Kosten des Religionsunterrichts Volkwirtschafts- und Staatsrechtslehre einzu- führen, wie es in Frankreich geschehen ist, empfiehlt sich in evangelischen Schulen um so weniger, als sich der evangelische Gottesdienst um die Predigt, die bei dem Hörer eine tiefere religiöse Erkenntnis voraussetzt, gruppirt. Es wäre wohl der Mühe wert, wenn eine Vereinigung mit den wahren Bedürfnissen der Schule und des bürgerlichen Lebens wie mit den in Frage kommenden Wissenszweigen völlig vertrauter Männer der Angelegenheit einmal Vorurteils- srei näher träte und, falls sich die Notwendigkeit einer Änderung herausstellen sollte, an die Bearbeitung von Leitfäden für die einzelnen Unterrichtsstnfen ginge. Dann könnte sich auch der Fernerstehende zunächst ein Urteil bilden. Große Eile hat die Sache jedenfalls nicht. In Frankreich stehen sich über den Anteil des Einflusses der gebildeten Frau auf das soziale Leben die Vertreter zweier Standpunkte gegenüber. Die einen weisen ihr öffentliche Aufgaben wie dem Manne an und scheinen damit nur beweisen zu wollen, daß sie die wahren Aufgaben und die eigensten Interessen der Frau verkennen, während die andern sie ausschließlich an den häuslichen Herd bannen möchten und ihr schon im Pensionate nonnenhafte Gewohnheiten anerziehen. Es hieße Eulen nach Athen tragen, wollten wir hier über die Aufgaben des weiblichen Geschlechts und die ihnen entsprechende Erziehung eingehende Erörterungen anstellen. Der Hauptgesichtspunkt, von dem aus das zu geschehen hätte, könnte immer nur die ursprüugliche Be¬ stimmung der Frau in der Welt, in der Gesellschaft, im Hause sein. In kosmopolitischer Beziehung ist sie die Stammhalterin der gesamten Menschheit, in sozialer Hüterin des guten Tons, in familiärer Priesterin des häuslichen Glückes. Als Hüterin des guten Tones hat sie in der Gesell¬ schaft beispielsweise die Würde der Formen, die Zurückhaltung der Sprache, wovon sich Männer, wenn sie unter sich sind, nur zu leicht frei machen, zu wahren. Willst du genau erfahren, was sich ziemt, So frage nur bei edeln Frauen an! . . . Die Schicklichkeit umgiebt mit einer Mauer Das zarte, leicht verletzliche Geschlecht. Wo Sittlichkeit regiert, regieren sie, Und wo die Frechheit herrscht, da sind sie nichts. Und wirst du die Geschlechter beide fragen: Nach Freiheit strebt der Mann, das Weib nach Sitte. Im Hause sällt ihr die Aufgabe zu, jeden Mißton zu banne,?, jede Uneben¬ heit zu glütteu. Sie hat die fröhliche Kinderschar so zu leiten, daß die Freude nicht zu Ausgelassenheit führt; sie spendet dem Manne Erquickung bei dem Kampf ums Dasein und Trost bei den Prüfungen des Lebens, und wenn sie auch die Dinge, die das geistige Sein und Leben des Gatten beherrschen, zu beurteilen und zu schätzen in der Lage sein soll, um seine Gefühle, seine Begeisterung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/360>, abgerufen am 23.07.2024.