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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der eiserne Rittmeister

geistigen Gehalt in sinnlich anschaulicher Form zu verdichten. Der Knnstver-
stand, der in seinem Buche zu Tage tritt, wird Wohl in unsern Tagen seines
gleichen suchen, aber das wirkliche Poetische schöpferische Vermögen hält ihm
nicht durchaus die Wage; und nach den vielen nnr der Wahrheit entsprechen¬
den Lobsprüchen, die wir dein Geist, der Erfindung und der Anlage der bedeu-
tenden Dichtung zollen durften, wollen wir nun mich nicht mit der Erwähnung
ihrer Schwächen zurückhalten. Erstens muß mau hageln Hoffmann hat el"
Wert großen Stils mit der zierlichen Technik der Novelle geschrieben. Sein
Roman ist oft allzu klug, allzu berechnend, allzu witzig gemacht. Da wird
kein einziges Motiv berührt, ohne daß es nicht in einen, andern Zusammen¬
hange wieder aufgenommen würde; so viel auch in dem Romane gesprochen
und gehandelt wird, so ist doch stofflich nicht das geringste überflüssig. Wenn
das Epos el" Bild der Welt, der Wirklichkeit geben soll, so muß doch der
Schein der Freiheit, der naturgemäßen Selbständigkeit, des Fürsichseins aller
Dinge im Leser erzeugt werden. Dieser Schein von Natur und Wirklichkeit
wird oft zerstört; eS wird einem dabei ähnlich zu Mute wie bei Lessings
Dichtungen. Das rührt von dem Überwiegen des Kunstverstandes her. Es
steht außer allem Zweifel, daß der Dichter alle seiue Gestalten in der denkbar
größten Marsen und in ihrer vollständigen Persönlichkeit Plastisch vor sich
gesehen hat. Die Tiefe seiner Einsicht in ihre verschiednen Naturen haben Nur
in der Charakteristik der zwei Hauptgestalten nachzuweisen gesucht; auch die
künstlerischen Mittel der Charakteristik sind sehr bemerkenswert. So wird der
Rittmeister von den verschiedensten Menschen im Roman beurteilt, von jungen
Preußischen Offizieren, von einem französischen Offizier, von den Bürgern der
Stadt und von jeder einzelnen Gestalt der Handlung, und durch diese Äuße¬
rungen hinter seinem Rücken über ihr wird seine Figur rund herausgestellt:
ein Äunstmittel, das Otto Ludwig zuerst bei Shakespeare nachgewiesen hat, und
das Hoffmnun mit Glück verwendet. Es lag in der Natur des Stoffes, daß viel
geredet wird: es sind ja drei Philosophen in der Handlung. Aber nicht blos; diese
drei Männer sind beredt, sondern auch alle drei Frauen; ja sogar philosophisch
gewandt ist die eine, die prächtigste von allen. Damit hat sich der Dichter
gar zu sehr von der Wirklichkeit entfernt, so geschickt er auch immer die langen
Reden zu begründen weiß. Der auch für die Poesie wirkliche Mensch spricht
doch gewöhnlich nicht viel, der Dichter muß das Vermögen haben, knapp zu
sein, ein Vermöge", das Hoffmann in seinen Novellen vielfach bekundet,
hier aber fast ganz unbenutzt gelassen hat. Es soll durchaus nicht gesagt
werden, daß es dem Buche an Handlung mangle, es geht sehr viel darin
vor, und die Handlungen sind so durchtränkt von symbolisch wirksamen Gehalt,
sprechen so viel zur Phantasie, daß man sich fragen muß, warum der Dichter
dieser einzig künstlerischen Sprache nicht genügend vertraut hat, um auf die
aufklärenden trugen Dialoge verzichte" zu können? Er hat die K'rast, die


Der eiserne Rittmeister

geistigen Gehalt in sinnlich anschaulicher Form zu verdichten. Der Knnstver-
stand, der in seinem Buche zu Tage tritt, wird Wohl in unsern Tagen seines
gleichen suchen, aber das wirkliche Poetische schöpferische Vermögen hält ihm
nicht durchaus die Wage; und nach den vielen nnr der Wahrheit entsprechen¬
den Lobsprüchen, die wir dein Geist, der Erfindung und der Anlage der bedeu-
tenden Dichtung zollen durften, wollen wir nun mich nicht mit der Erwähnung
ihrer Schwächen zurückhalten. Erstens muß mau hageln Hoffmann hat el»
Wert großen Stils mit der zierlichen Technik der Novelle geschrieben. Sein
Roman ist oft allzu klug, allzu berechnend, allzu witzig gemacht. Da wird
kein einziges Motiv berührt, ohne daß es nicht in einen, andern Zusammen¬
hange wieder aufgenommen würde; so viel auch in dem Romane gesprochen
und gehandelt wird, so ist doch stofflich nicht das geringste überflüssig. Wenn
das Epos el» Bild der Welt, der Wirklichkeit geben soll, so muß doch der
Schein der Freiheit, der naturgemäßen Selbständigkeit, des Fürsichseins aller
Dinge im Leser erzeugt werden. Dieser Schein von Natur und Wirklichkeit
wird oft zerstört; eS wird einem dabei ähnlich zu Mute wie bei Lessings
Dichtungen. Das rührt von dem Überwiegen des Kunstverstandes her. Es
steht außer allem Zweifel, daß der Dichter alle seiue Gestalten in der denkbar
größten Marsen und in ihrer vollständigen Persönlichkeit Plastisch vor sich
gesehen hat. Die Tiefe seiner Einsicht in ihre verschiednen Naturen haben Nur
in der Charakteristik der zwei Hauptgestalten nachzuweisen gesucht; auch die
künstlerischen Mittel der Charakteristik sind sehr bemerkenswert. So wird der
Rittmeister von den verschiedensten Menschen im Roman beurteilt, von jungen
Preußischen Offizieren, von einem französischen Offizier, von den Bürgern der
Stadt und von jeder einzelnen Gestalt der Handlung, und durch diese Äuße¬
rungen hinter seinem Rücken über ihr wird seine Figur rund herausgestellt:
ein Äunstmittel, das Otto Ludwig zuerst bei Shakespeare nachgewiesen hat, und
das Hoffmnun mit Glück verwendet. Es lag in der Natur des Stoffes, daß viel
geredet wird: es sind ja drei Philosophen in der Handlung. Aber nicht blos; diese
drei Männer sind beredt, sondern auch alle drei Frauen; ja sogar philosophisch
gewandt ist die eine, die prächtigste von allen. Damit hat sich der Dichter
gar zu sehr von der Wirklichkeit entfernt, so geschickt er auch immer die langen
Reden zu begründen weiß. Der auch für die Poesie wirkliche Mensch spricht
doch gewöhnlich nicht viel, der Dichter muß das Vermögen haben, knapp zu
sein, ein Vermöge», das Hoffmann in seinen Novellen vielfach bekundet,
hier aber fast ganz unbenutzt gelassen hat. Es soll durchaus nicht gesagt
werden, daß es dem Buche an Handlung mangle, es geht sehr viel darin
vor, und die Handlungen sind so durchtränkt von symbolisch wirksamen Gehalt,
sprechen so viel zur Phantasie, daß man sich fragen muß, warum der Dichter
dieser einzig künstlerischen Sprache nicht genügend vertraut hat, um auf die
aufklärenden trugen Dialoge verzichte» zu können? Er hat die K'rast, die


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[0342] Der eiserne Rittmeister geistigen Gehalt in sinnlich anschaulicher Form zu verdichten. Der Knnstver- stand, der in seinem Buche zu Tage tritt, wird Wohl in unsern Tagen seines gleichen suchen, aber das wirkliche Poetische schöpferische Vermögen hält ihm nicht durchaus die Wage; und nach den vielen nnr der Wahrheit entsprechen¬ den Lobsprüchen, die wir dein Geist, der Erfindung und der Anlage der bedeu- tenden Dichtung zollen durften, wollen wir nun mich nicht mit der Erwähnung ihrer Schwächen zurückhalten. Erstens muß mau hageln Hoffmann hat el» Wert großen Stils mit der zierlichen Technik der Novelle geschrieben. Sein Roman ist oft allzu klug, allzu berechnend, allzu witzig gemacht. Da wird kein einziges Motiv berührt, ohne daß es nicht in einen, andern Zusammen¬ hange wieder aufgenommen würde; so viel auch in dem Romane gesprochen und gehandelt wird, so ist doch stofflich nicht das geringste überflüssig. Wenn das Epos el» Bild der Welt, der Wirklichkeit geben soll, so muß doch der Schein der Freiheit, der naturgemäßen Selbständigkeit, des Fürsichseins aller Dinge im Leser erzeugt werden. Dieser Schein von Natur und Wirklichkeit wird oft zerstört; eS wird einem dabei ähnlich zu Mute wie bei Lessings Dichtungen. Das rührt von dem Überwiegen des Kunstverstandes her. Es steht außer allem Zweifel, daß der Dichter alle seiue Gestalten in der denkbar größten Marsen und in ihrer vollständigen Persönlichkeit Plastisch vor sich gesehen hat. Die Tiefe seiner Einsicht in ihre verschiednen Naturen haben Nur in der Charakteristik der zwei Hauptgestalten nachzuweisen gesucht; auch die künstlerischen Mittel der Charakteristik sind sehr bemerkenswert. So wird der Rittmeister von den verschiedensten Menschen im Roman beurteilt, von jungen Preußischen Offizieren, von einem französischen Offizier, von den Bürgern der Stadt und von jeder einzelnen Gestalt der Handlung, und durch diese Äuße¬ rungen hinter seinem Rücken über ihr wird seine Figur rund herausgestellt: ein Äunstmittel, das Otto Ludwig zuerst bei Shakespeare nachgewiesen hat, und das Hoffmnun mit Glück verwendet. Es lag in der Natur des Stoffes, daß viel geredet wird: es sind ja drei Philosophen in der Handlung. Aber nicht blos; diese drei Männer sind beredt, sondern auch alle drei Frauen; ja sogar philosophisch gewandt ist die eine, die prächtigste von allen. Damit hat sich der Dichter gar zu sehr von der Wirklichkeit entfernt, so geschickt er auch immer die langen Reden zu begründen weiß. Der auch für die Poesie wirkliche Mensch spricht doch gewöhnlich nicht viel, der Dichter muß das Vermögen haben, knapp zu sein, ein Vermöge», das Hoffmann in seinen Novellen vielfach bekundet, hier aber fast ganz unbenutzt gelassen hat. Es soll durchaus nicht gesagt werden, daß es dem Buche an Handlung mangle, es geht sehr viel darin vor, und die Handlungen sind so durchtränkt von symbolisch wirksamen Gehalt, sprechen so viel zur Phantasie, daß man sich fragen muß, warum der Dichter dieser einzig künstlerischen Sprache nicht genügend vertraut hat, um auf die aufklärenden trugen Dialoge verzichte» zu können? Er hat die K'rast, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/342>, abgerufen am 23.07.2024.