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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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?er eiserne Rittmeister

Schweißtropfen schließlich nicht mehr als drei Worte heranobringt! Bor der
Front seiner Soldaten konnte er lange, anfeuernde Reden halten, aber vor
einem gespannt aufhorchenden Publikum bleibt ihm das Wort in der Kehle
stecken, worüber sich ein brausendes Gelächter in der ganzen Menge erhebt.
Diese Erfahrung, daß es ein Unterschied ist, im Taumel nud in der Ruhe
zu spreche", daß Wollen und Können doch etwas Verschiedues ist, hätten
doch den Rittmeister nun vorsichtig macheu sollen, auf die Wette, die ihm der
Phhsikus angetragen hat, daß ihn drei Flaschen schweren Rotweins unterkriegen
werden, einzugehen. Allein er läßt sich von dem schlauen Gegner so reizen,
daß er die Wette annimmt, denn er kennt keine Nerven, der Wille vermöge
alles. In einer sehr drastischen Szene (die leider an einzelnen allzu kühnen
Erfindungen leidet! kriegt der Phhsikus den Rittmeister richtig unter, freilich
nicht ohne Betrug, indem er dem Weine des Eisernen einen Schlaftrunk, der
zwölf Stunden wirkt, beimischt. An die Wirkung des Opiums hat der Ritt¬
meister nicht glauben wollen, seht erliegt er ihm. Und nun die übermütige
Wendung der Handlung- der Phhsikus weiß es so einzurichten, daß der Ritt¬
meister und Hnrtmut (der die Kneiperei mitgemacht hat) sich unmittelbar vor
dein gänzlichen Versinken in den Schlaf mit dem Säbel in der Hand gegen¬
überstehen, sodaß beide noch ein Bild vom Kampf in ihre einschlummerude
Seele hinübernehmen. Dann wird der Rittmeister zu Rede gebracht, an Gesicht
und Brust mit Pflaster" beklebt, um beide Füße erhält er eine" Gipsverband,
sodaß er sich nicht rühren kann und beim Erwachen, so ungeduldig er auch
ist, still halten muß. Und August von Jageteufel erwacht und erkennt seine
Schmach: der Wille hat ihn im Stich gelassen, er ist dein Wein erlege". Er
schämt sich erlmrmlich n"d beschließt zu sterben, wie Eato von Utica starb,
als er erkannte, daß der Republik nicht mehr zu helfen sei. Im Angesichte
des Todes kommt die ganze Weichheit seines Wesens zum Vorschein; die ^lebe
zu Ulrichs Mutter, die er bisher hinter rauhen Forme" geheim gehakte" hat,
wird offenbar. Der Eiserne wird sentimental, "och einmal vor dem Abschied
ins Jenseits möchte er die Geliebte seiner J"ge"d sehen. Aber anch das ist
ihm nicht gegönnt, im Gegenteil muß er die furchtbare Demütigung erfahren,
daß sich der Faun Guggelmanu an seineu Bettrand setzt und ihm in der bos¬
haftesten Schadenfreude eine furchtbare Strafpredigt hält über all seinen
kantischen Hochmut, seiue Rücksichtslosigkeit und sei"e" Unglauben an die Macht
der Nerven. Es ist wahrhaft tragisch rührend, vielmehr el" erhabener Humor,
den betrogenen Idealisten wehrlos und zerknirscht vor dem Phhfitns daliegen
zu sehen. "Er hat Recht, er hat Recht" murmelte der Don Quixote ein- über
das andremal, und nachdem er so gänzlich ans seinem Geleise geworfen ist, an sich
selbst und seiner Fähigkeit, dem kategorischen Jmperativ zu gehorchen, verzweifelt,
beschließt er zu sterben. Das ist eine der Szenen der Dichtung, die wahrhaft
groß sind. Und sie steigert sich noch köstlich. Jagetenfel reißt die Pflaster


?er eiserne Rittmeister

Schweißtropfen schließlich nicht mehr als drei Worte heranobringt! Bor der
Front seiner Soldaten konnte er lange, anfeuernde Reden halten, aber vor
einem gespannt aufhorchenden Publikum bleibt ihm das Wort in der Kehle
stecken, worüber sich ein brausendes Gelächter in der ganzen Menge erhebt.
Diese Erfahrung, daß es ein Unterschied ist, im Taumel nud in der Ruhe
zu spreche», daß Wollen und Können doch etwas Verschiedues ist, hätten
doch den Rittmeister nun vorsichtig macheu sollen, auf die Wette, die ihm der
Phhsikus angetragen hat, daß ihn drei Flaschen schweren Rotweins unterkriegen
werden, einzugehen. Allein er läßt sich von dem schlauen Gegner so reizen,
daß er die Wette annimmt, denn er kennt keine Nerven, der Wille vermöge
alles. In einer sehr drastischen Szene (die leider an einzelnen allzu kühnen
Erfindungen leidet! kriegt der Phhsikus den Rittmeister richtig unter, freilich
nicht ohne Betrug, indem er dem Weine des Eisernen einen Schlaftrunk, der
zwölf Stunden wirkt, beimischt. An die Wirkung des Opiums hat der Ritt¬
meister nicht glauben wollen, seht erliegt er ihm. Und nun die übermütige
Wendung der Handlung- der Phhsikus weiß es so einzurichten, daß der Ritt¬
meister und Hnrtmut (der die Kneiperei mitgemacht hat) sich unmittelbar vor
dein gänzlichen Versinken in den Schlaf mit dem Säbel in der Hand gegen¬
überstehen, sodaß beide noch ein Bild vom Kampf in ihre einschlummerude
Seele hinübernehmen. Dann wird der Rittmeister zu Rede gebracht, an Gesicht
und Brust mit Pflaster» beklebt, um beide Füße erhält er eine» Gipsverband,
sodaß er sich nicht rühren kann und beim Erwachen, so ungeduldig er auch
ist, still halten muß. Und August von Jageteufel erwacht und erkennt seine
Schmach: der Wille hat ihn im Stich gelassen, er ist dein Wein erlege». Er
schämt sich erlmrmlich n»d beschließt zu sterben, wie Eato von Utica starb,
als er erkannte, daß der Republik nicht mehr zu helfen sei. Im Angesichte
des Todes kommt die ganze Weichheit seines Wesens zum Vorschein; die ^lebe
zu Ulrichs Mutter, die er bisher hinter rauhen Forme» geheim gehakte» hat,
wird offenbar. Der Eiserne wird sentimental, »och einmal vor dem Abschied
ins Jenseits möchte er die Geliebte seiner J»ge»d sehen. Aber anch das ist
ihm nicht gegönnt, im Gegenteil muß er die furchtbare Demütigung erfahren,
daß sich der Faun Guggelmanu an seineu Bettrand setzt und ihm in der bos¬
haftesten Schadenfreude eine furchtbare Strafpredigt hält über all seinen
kantischen Hochmut, seiue Rücksichtslosigkeit und sei»e» Unglauben an die Macht
der Nerven. Es ist wahrhaft tragisch rührend, vielmehr el» erhabener Humor,
den betrogenen Idealisten wehrlos und zerknirscht vor dem Phhfitns daliegen
zu sehen. „Er hat Recht, er hat Recht" murmelte der Don Quixote ein- über
das andremal, und nachdem er so gänzlich ans seinem Geleise geworfen ist, an sich
selbst und seiner Fähigkeit, dem kategorischen Jmperativ zu gehorchen, verzweifelt,
beschließt er zu sterben. Das ist eine der Szenen der Dichtung, die wahrhaft
groß sind. Und sie steigert sich noch köstlich. Jagetenfel reißt die Pflaster


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/340>, abgerufen am 23.07.2024.