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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der eiserne Rittmeister

Studium betreibt. Und "och tiefer geht der Gegensatz. Jageteufel fühlt sich
auf der Welt nur dazu berufen, die Pflicht zu erfüllen und andre dazu an¬
zutreiben; er geht auf im Dienste des Vaterlandes. Für den Phhsikns ist
dies aber die allergrößte Thorheit; das wahrhaft Lebenswerte erscheint ihm
nur die Befriedigung des Ichs, Napoleon ist ihm das wahre Genie, der hat
mit seiner titanischen Selbstsucht das richtige Teil erwählt; auch Goethe, den
der Rittmeister so verächtlich abthut, schätzt er hoch. Geuusz in allen Formen
vom guten Essen bis zur reinen ästhetischen Freude an schauen Menschen und
Werken ist des Phhsikns Parole, und darum lacht er über den "blechernen"
Rittmeister, den Don Quixote der Pflicht. Auch des Phhsikus Art zu reden
und zu denken ist eine günz andre- der Rittmeister schaut immer hinaus, kennt
sich selber ebenso wenig wie die andern Menschen, für die er mit seinem
flammenden Herzen sich zu opfern bereit ist; Guggelmann denkt immerfort über
sich selbst und an sich selbst, er ist cynisch, ein Selbstverächter, aber klug,
scharfsinnig und scharfäugig; Jagetcufel hat keinen Tropfen Humor, Guggel-
manns Rede ist eine fortwährende Selbstironie, als Philosoph ist er natürlich
dem Rittmeister weitaus überlegen. Beide beteiligen sich an dem Schmuggel,
den Napoleons Kontinentalsperre hervorgerufen hat; aber der Rittmeister will
Waffen, der Phhsikns Kaffee und Kolonialwaren einschmuggeln. Aber trotz
aller zersetzenden Kritik, die dieser am Altpreußen übt, kann er doch nicht
-- da er doch in Wahrheit ein ehrlicher und guter Mensch ist -- sich einer
widerwilligen und uneingestandenen Bewunderung des Rittmeisters erwehren,
und er gäbe sein Leben dafür, wenn er dem verhaßten Wolkengängcr einmal
eine recht ausgiebige Lektion erteilen könnte, damit er zur Erkenntnis käme,
wie schwach der Wille sei, den er so gewaltsam in das Joch des kategorischen
Imperativs spannt.

Und damit sind wir bei der Haupthandlung des Romans angelangt. Der
Phhsikus erteilt dem Rittmeister eine Lektion, der heißblutige, voreilige Dick¬
kopf geht leicht in die Falle, die ihm der Fuchs legt. Aber wie er sich dabei
benimmt, das ist das Merkwürdige. Die Dichtung ist so schön angelegt,
daß wir doch ein Wort darüber sagen müssen. Die ganze Handlung ist aus
den engen Zeitraum von drei Tagen zusammengedrängt; die Vorgeschichte jeder
einzelnen Gestalt -- es sind noch als Hauptfiguren drei Frauen und drei
Männer beteiligt --, wird gelegentlich in den langen (allzulanger!) Gesprächen
mitgeteilt. Der erste Band ist ausschließlich Exposition der Handlung und
der Charaktere; da lernen wir in drastischen Szenen die selbst- und menscheu-
guülerische Begeisterung des Rittmeisters für deu kategorischen Imperativ in
all ihrer gutgesinnten Narretei kennen. Im zweiten Bande sehen wir den
Rittmeister sich in ein wirkliches Unrecht verstricken, wir sehen ihn in der
eigensinnigen Rechthaberei mit seinem eignen vielgerühmten Grundsatz nicht in
philosophischer Folgerichtigkeit, sondern schlechtweg in Willkür Hantiren, sodaß


Der eiserne Rittmeister

Studium betreibt. Und »och tiefer geht der Gegensatz. Jageteufel fühlt sich
auf der Welt nur dazu berufen, die Pflicht zu erfüllen und andre dazu an¬
zutreiben; er geht auf im Dienste des Vaterlandes. Für den Phhsikns ist
dies aber die allergrößte Thorheit; das wahrhaft Lebenswerte erscheint ihm
nur die Befriedigung des Ichs, Napoleon ist ihm das wahre Genie, der hat
mit seiner titanischen Selbstsucht das richtige Teil erwählt; auch Goethe, den
der Rittmeister so verächtlich abthut, schätzt er hoch. Geuusz in allen Formen
vom guten Essen bis zur reinen ästhetischen Freude an schauen Menschen und
Werken ist des Phhsikns Parole, und darum lacht er über den „blechernen"
Rittmeister, den Don Quixote der Pflicht. Auch des Phhsikus Art zu reden
und zu denken ist eine günz andre- der Rittmeister schaut immer hinaus, kennt
sich selber ebenso wenig wie die andern Menschen, für die er mit seinem
flammenden Herzen sich zu opfern bereit ist; Guggelmann denkt immerfort über
sich selbst und an sich selbst, er ist cynisch, ein Selbstverächter, aber klug,
scharfsinnig und scharfäugig; Jagetcufel hat keinen Tropfen Humor, Guggel-
manns Rede ist eine fortwährende Selbstironie, als Philosoph ist er natürlich
dem Rittmeister weitaus überlegen. Beide beteiligen sich an dem Schmuggel,
den Napoleons Kontinentalsperre hervorgerufen hat; aber der Rittmeister will
Waffen, der Phhsikns Kaffee und Kolonialwaren einschmuggeln. Aber trotz
aller zersetzenden Kritik, die dieser am Altpreußen übt, kann er doch nicht
— da er doch in Wahrheit ein ehrlicher und guter Mensch ist — sich einer
widerwilligen und uneingestandenen Bewunderung des Rittmeisters erwehren,
und er gäbe sein Leben dafür, wenn er dem verhaßten Wolkengängcr einmal
eine recht ausgiebige Lektion erteilen könnte, damit er zur Erkenntnis käme,
wie schwach der Wille sei, den er so gewaltsam in das Joch des kategorischen
Imperativs spannt.

Und damit sind wir bei der Haupthandlung des Romans angelangt. Der
Phhsikus erteilt dem Rittmeister eine Lektion, der heißblutige, voreilige Dick¬
kopf geht leicht in die Falle, die ihm der Fuchs legt. Aber wie er sich dabei
benimmt, das ist das Merkwürdige. Die Dichtung ist so schön angelegt,
daß wir doch ein Wort darüber sagen müssen. Die ganze Handlung ist aus
den engen Zeitraum von drei Tagen zusammengedrängt; die Vorgeschichte jeder
einzelnen Gestalt — es sind noch als Hauptfiguren drei Frauen und drei
Männer beteiligt —, wird gelegentlich in den langen (allzulanger!) Gesprächen
mitgeteilt. Der erste Band ist ausschließlich Exposition der Handlung und
der Charaktere; da lernen wir in drastischen Szenen die selbst- und menscheu-
guülerische Begeisterung des Rittmeisters für deu kategorischen Imperativ in
all ihrer gutgesinnten Narretei kennen. Im zweiten Bande sehen wir den
Rittmeister sich in ein wirkliches Unrecht verstricken, wir sehen ihn in der
eigensinnigen Rechthaberei mit seinem eignen vielgerühmten Grundsatz nicht in
philosophischer Folgerichtigkeit, sondern schlechtweg in Willkür Hantiren, sodaß


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[0338] Der eiserne Rittmeister Studium betreibt. Und »och tiefer geht der Gegensatz. Jageteufel fühlt sich auf der Welt nur dazu berufen, die Pflicht zu erfüllen und andre dazu an¬ zutreiben; er geht auf im Dienste des Vaterlandes. Für den Phhsikns ist dies aber die allergrößte Thorheit; das wahrhaft Lebenswerte erscheint ihm nur die Befriedigung des Ichs, Napoleon ist ihm das wahre Genie, der hat mit seiner titanischen Selbstsucht das richtige Teil erwählt; auch Goethe, den der Rittmeister so verächtlich abthut, schätzt er hoch. Geuusz in allen Formen vom guten Essen bis zur reinen ästhetischen Freude an schauen Menschen und Werken ist des Phhsikns Parole, und darum lacht er über den „blechernen" Rittmeister, den Don Quixote der Pflicht. Auch des Phhsikus Art zu reden und zu denken ist eine günz andre- der Rittmeister schaut immer hinaus, kennt sich selber ebenso wenig wie die andern Menschen, für die er mit seinem flammenden Herzen sich zu opfern bereit ist; Guggelmann denkt immerfort über sich selbst und an sich selbst, er ist cynisch, ein Selbstverächter, aber klug, scharfsinnig und scharfäugig; Jagetcufel hat keinen Tropfen Humor, Guggel- manns Rede ist eine fortwährende Selbstironie, als Philosoph ist er natürlich dem Rittmeister weitaus überlegen. Beide beteiligen sich an dem Schmuggel, den Napoleons Kontinentalsperre hervorgerufen hat; aber der Rittmeister will Waffen, der Phhsikns Kaffee und Kolonialwaren einschmuggeln. Aber trotz aller zersetzenden Kritik, die dieser am Altpreußen übt, kann er doch nicht — da er doch in Wahrheit ein ehrlicher und guter Mensch ist — sich einer widerwilligen und uneingestandenen Bewunderung des Rittmeisters erwehren, und er gäbe sein Leben dafür, wenn er dem verhaßten Wolkengängcr einmal eine recht ausgiebige Lektion erteilen könnte, damit er zur Erkenntnis käme, wie schwach der Wille sei, den er so gewaltsam in das Joch des kategorischen Imperativs spannt. Und damit sind wir bei der Haupthandlung des Romans angelangt. Der Phhsikus erteilt dem Rittmeister eine Lektion, der heißblutige, voreilige Dick¬ kopf geht leicht in die Falle, die ihm der Fuchs legt. Aber wie er sich dabei benimmt, das ist das Merkwürdige. Die Dichtung ist so schön angelegt, daß wir doch ein Wort darüber sagen müssen. Die ganze Handlung ist aus den engen Zeitraum von drei Tagen zusammengedrängt; die Vorgeschichte jeder einzelnen Gestalt — es sind noch als Hauptfiguren drei Frauen und drei Männer beteiligt —, wird gelegentlich in den langen (allzulanger!) Gesprächen mitgeteilt. Der erste Band ist ausschließlich Exposition der Handlung und der Charaktere; da lernen wir in drastischen Szenen die selbst- und menscheu- guülerische Begeisterung des Rittmeisters für deu kategorischen Imperativ in all ihrer gutgesinnten Narretei kennen. Im zweiten Bande sehen wir den Rittmeister sich in ein wirkliches Unrecht verstricken, wir sehen ihn in der eigensinnigen Rechthaberei mit seinem eignen vielgerühmten Grundsatz nicht in philosophischer Folgerichtigkeit, sondern schlechtweg in Willkür Hantiren, sodaß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/338>, abgerufen am 23.07.2024.