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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der eiserne Rittmeister

reine Freude sind, kurz: Hoffmann begnügt sich nicht, humoristisch Kritik an
der Vergangenheit zu üben, ihren Zopf übermütig zu zupfen, sondern er stellt
mich ebenso kräftig das neue, das heutige Lebensideal ans, und damit hat er
seine Dichtung auf die richtige poetische Höhe gehoben. In diesem Bedürfnis,
nicht bloß zu verneinen, sondern anch in Wahrheit zu schaffen, unterscheidet
er sich tief und zu seinem Vorteil von dem zeitgenössischen Naturalismus, wie
er überhaupt in sehr künstlerischer Form zu dem Materialismus und Pessi-
"unus der Gegenwart Stellung uiiumt. Das ist die andre bedeutende Seite
seines Buches, die es über die Kategorie der "historischen Romane" erhebt.

Um nämlich deu gauzeu Charakter des Rittmeisters zur allseitigen An¬
schauung zu bringen, hat ihn der Dichter mit Gestalten umgeben, die sowohl
als Naturen, wie anch in ihren Überzeugungen in mannichfachen Gegensatze
zu ihm stehen. Die bedeutendste Erfindung ist aber die des Physikus Stanis-
laus Gnggelmann, der in derselben Stadt mit Jageteufel lebt und ihm als
Sechzigjähriger "och immer eine" bösen Streich nachträgt, den ihm vor dreißig
Jahren der Rittmeister gespielt hat, Guggelmnnn nämlich ist einer der
häßlichsten Menschen, die es giebt: bucklig, hinkend, sommersprossig, ein
Manu, der von aller Liebe der Menschen, zumal der Frauen, seinem Äußern
nach ausgeschlossen zu sein scheint, ein Faun im Zvpfgewande. Wie es nnn
hänfig solchen Menschen zu gehen pflegt, hat gerade er eine sinnliche,
nach Liebe und Glück dürstende Seele, Vor dreißig Jahren hat er sich aufs
leidenschaftlichste in eine romantische Polin verliebt und mar schon so weit mit
ihr gekommen, daß sie ihn heiraten wollte, da kam ihm der junge Jageteufel
mit seinem hinreißenden Zemperament in die Lmere und schnappte ihm die
schöne Polin vor der Rase weg. Zwar ist der Rittmeister mit dieser schnell
geheirateten Person nichts weniger als glücklich geworden; hatte er doch schon
damals sein Steckenpferd des kategorischen Imperativs geritten, wofür die edle
Polin gar kein Verständnis offenbarte. Die Gatten trennten sich nach kurzem
Zusammenleben, und Jageteufel führte sein Junggeselle"leben weiter. Aber
das befriedigte die Rachsucht des Phhsikus, dem seitdem kein andres Weib
mehr in Liebe nahetrat, lrineswegs. Sein Haß sitzt tiefer, und das ist
wieder spaßig. Der Physikus ist nicht bloß in der körperlichen Erscheinung,
sondern anch in allen Überzeugungen der Gegensatz des Rittmeisters. Flucht
dieser aus die Franzosen, so sind sie dem Phhsikus Träger der Kultur; ist der
Rittmeister Patriot, so bedauert Guggelmanu deu Untergang Polens; mit
Stolz erinnert er daran, daß er nur ein halber Deutscher sei, seine Mutter
war eine Polin, lind noch mehr: der Rittmeister ist Idealist, der PhhsikuS
ist Materialist; jener ein Stoiker, dieser ein Epiturcerz jener verachtet die
Kunst, someit er sie überhaupt wahrnimmt, dieser umgiebt sich mit Kunstwerken
aller ^>tre, ja er umgiebt sich mit schönen Mädchen als Dienerschaft, sonne er
sich immer das allerfeinste Mittagessen bereiten läßt und den ^ebeusgeuuß mit


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Der eiserne Rittmeister

reine Freude sind, kurz: Hoffmann begnügt sich nicht, humoristisch Kritik an
der Vergangenheit zu üben, ihren Zopf übermütig zu zupfen, sondern er stellt
mich ebenso kräftig das neue, das heutige Lebensideal ans, und damit hat er
seine Dichtung auf die richtige poetische Höhe gehoben. In diesem Bedürfnis,
nicht bloß zu verneinen, sondern anch in Wahrheit zu schaffen, unterscheidet
er sich tief und zu seinem Vorteil von dem zeitgenössischen Naturalismus, wie
er überhaupt in sehr künstlerischer Form zu dem Materialismus und Pessi-
»unus der Gegenwart Stellung uiiumt. Das ist die andre bedeutende Seite
seines Buches, die es über die Kategorie der „historischen Romane" erhebt.

Um nämlich deu gauzeu Charakter des Rittmeisters zur allseitigen An¬
schauung zu bringen, hat ihn der Dichter mit Gestalten umgeben, die sowohl
als Naturen, wie anch in ihren Überzeugungen in mannichfachen Gegensatze
zu ihm stehen. Die bedeutendste Erfindung ist aber die des Physikus Stanis-
laus Gnggelmann, der in derselben Stadt mit Jageteufel lebt und ihm als
Sechzigjähriger »och immer eine» bösen Streich nachträgt, den ihm vor dreißig
Jahren der Rittmeister gespielt hat, Guggelmnnn nämlich ist einer der
häßlichsten Menschen, die es giebt: bucklig, hinkend, sommersprossig, ein
Manu, der von aller Liebe der Menschen, zumal der Frauen, seinem Äußern
nach ausgeschlossen zu sein scheint, ein Faun im Zvpfgewande. Wie es nnn
hänfig solchen Menschen zu gehen pflegt, hat gerade er eine sinnliche,
nach Liebe und Glück dürstende Seele, Vor dreißig Jahren hat er sich aufs
leidenschaftlichste in eine romantische Polin verliebt und mar schon so weit mit
ihr gekommen, daß sie ihn heiraten wollte, da kam ihm der junge Jageteufel
mit seinem hinreißenden Zemperament in die Lmere und schnappte ihm die
schöne Polin vor der Rase weg. Zwar ist der Rittmeister mit dieser schnell
geheirateten Person nichts weniger als glücklich geworden; hatte er doch schon
damals sein Steckenpferd des kategorischen Imperativs geritten, wofür die edle
Polin gar kein Verständnis offenbarte. Die Gatten trennten sich nach kurzem
Zusammenleben, und Jageteufel führte sein Junggeselle»leben weiter. Aber
das befriedigte die Rachsucht des Phhsikus, dem seitdem kein andres Weib
mehr in Liebe nahetrat, lrineswegs. Sein Haß sitzt tiefer, und das ist
wieder spaßig. Der Physikus ist nicht bloß in der körperlichen Erscheinung,
sondern anch in allen Überzeugungen der Gegensatz des Rittmeisters. Flucht
dieser aus die Franzosen, so sind sie dem Phhsikus Träger der Kultur; ist der
Rittmeister Patriot, so bedauert Guggelmanu deu Untergang Polens; mit
Stolz erinnert er daran, daß er nur ein halber Deutscher sei, seine Mutter
war eine Polin, lind noch mehr: der Rittmeister ist Idealist, der PhhsikuS
ist Materialist; jener ein Stoiker, dieser ein Epiturcerz jener verachtet die
Kunst, someit er sie überhaupt wahrnimmt, dieser umgiebt sich mit Kunstwerken
aller ^>tre, ja er umgiebt sich mit schönen Mädchen als Dienerschaft, sonne er
sich immer das allerfeinste Mittagessen bereiten läßt und den ^ebeusgeuuß mit


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[0337] Der eiserne Rittmeister reine Freude sind, kurz: Hoffmann begnügt sich nicht, humoristisch Kritik an der Vergangenheit zu üben, ihren Zopf übermütig zu zupfen, sondern er stellt mich ebenso kräftig das neue, das heutige Lebensideal ans, und damit hat er seine Dichtung auf die richtige poetische Höhe gehoben. In diesem Bedürfnis, nicht bloß zu verneinen, sondern anch in Wahrheit zu schaffen, unterscheidet er sich tief und zu seinem Vorteil von dem zeitgenössischen Naturalismus, wie er überhaupt in sehr künstlerischer Form zu dem Materialismus und Pessi- »unus der Gegenwart Stellung uiiumt. Das ist die andre bedeutende Seite seines Buches, die es über die Kategorie der „historischen Romane" erhebt. Um nämlich deu gauzeu Charakter des Rittmeisters zur allseitigen An¬ schauung zu bringen, hat ihn der Dichter mit Gestalten umgeben, die sowohl als Naturen, wie anch in ihren Überzeugungen in mannichfachen Gegensatze zu ihm stehen. Die bedeutendste Erfindung ist aber die des Physikus Stanis- laus Gnggelmann, der in derselben Stadt mit Jageteufel lebt und ihm als Sechzigjähriger »och immer eine» bösen Streich nachträgt, den ihm vor dreißig Jahren der Rittmeister gespielt hat, Guggelmnnn nämlich ist einer der häßlichsten Menschen, die es giebt: bucklig, hinkend, sommersprossig, ein Manu, der von aller Liebe der Menschen, zumal der Frauen, seinem Äußern nach ausgeschlossen zu sein scheint, ein Faun im Zvpfgewande. Wie es nnn hänfig solchen Menschen zu gehen pflegt, hat gerade er eine sinnliche, nach Liebe und Glück dürstende Seele, Vor dreißig Jahren hat er sich aufs leidenschaftlichste in eine romantische Polin verliebt und mar schon so weit mit ihr gekommen, daß sie ihn heiraten wollte, da kam ihm der junge Jageteufel mit seinem hinreißenden Zemperament in die Lmere und schnappte ihm die schöne Polin vor der Rase weg. Zwar ist der Rittmeister mit dieser schnell geheirateten Person nichts weniger als glücklich geworden; hatte er doch schon damals sein Steckenpferd des kategorischen Imperativs geritten, wofür die edle Polin gar kein Verständnis offenbarte. Die Gatten trennten sich nach kurzem Zusammenleben, und Jageteufel führte sein Junggeselle»leben weiter. Aber das befriedigte die Rachsucht des Phhsikus, dem seitdem kein andres Weib mehr in Liebe nahetrat, lrineswegs. Sein Haß sitzt tiefer, und das ist wieder spaßig. Der Physikus ist nicht bloß in der körperlichen Erscheinung, sondern anch in allen Überzeugungen der Gegensatz des Rittmeisters. Flucht dieser aus die Franzosen, so sind sie dem Phhsikus Träger der Kultur; ist der Rittmeister Patriot, so bedauert Guggelmanu deu Untergang Polens; mit Stolz erinnert er daran, daß er nur ein halber Deutscher sei, seine Mutter war eine Polin, lind noch mehr: der Rittmeister ist Idealist, der PhhsikuS ist Materialist; jener ein Stoiker, dieser ein Epiturcerz jener verachtet die Kunst, someit er sie überhaupt wahrnimmt, dieser umgiebt sich mit Kunstwerken aller ^>tre, ja er umgiebt sich mit schönen Mädchen als Dienerschaft, sonne er sich immer das allerfeinste Mittagessen bereiten läßt und den ^ebeusgeuuß mit ^rmzlwlcu I V I!M> 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/337>, abgerufen am 23.07.2024.