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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der eiserne Rittmeister

NUN Kant ein Gegner des Eudämonismus ist, weil Kant fordert, daß die gute
That um der Pflicht willen gethan werden solle, darum thut es der Rittmeister
anch, darum verbittet er sich jeden Dank und jede Auszeichnung für alles das,
was er nur im Dienste des Guten, mich seiner Meinung des kategorischen
Imperativs, der nackten, nüchternen Pflicht und Schuldigkeit thut. Er wird
sogar grob, ohne Rücksicht ans den eignen Nachteil, wenn ihm der Dank doch
erteilt werden soll. Läuft ihm aber der Dank und die Anerkennung seiner
guten Handlungen nach, so läßt er die ganze Sache im Stich, weil sie ihm
dadurch verleidet wird. Dazu kommen aber auch noch einige andre Charakter¬
eigenschaften, die ihn teils bedeutsamer, teils närrischer machen, denn so weit
wäre er ja nur ein philosophischer Dickkopf. Schon dadurch, daß sich Jage¬
teufel so ganz ausschließlich auf den Standpunkt des kategorischen Imperativs
stellt, bekundet er seinen wesentlichen Mangel, nämlich die Phantasielosigkeit
seines Wesens, die zur Folge hat, daß er sich schwer in andre Menschen hinein¬
denken kann und darum ein schlechter Menschenkenner ist. Er ist aber auch
ein Querkopf; indem er alle Handlungen, eigne und fremde, um sie zu beur¬
teilen, erst unter den Gesichtspunkt des berühmten kantischen Lehrsatzes stellt,
der da lautet: "Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit als
Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten kann," unterbindet er den
wichtigsten Quell alles menschlichen Thuns: die naive Unmittelbarkeit, den un¬
befangenen, natürlichen Trieb des Herzens zu diesem oder jenem Vorgehen,
verachtet er die Leidenschaft, die Sehnsucht, jede auch uoch so berechtigte Ge-
fühlshaudluug. Er stellt sich ganz auf den Verstandesstaudpunkt und hat u. a.
deswegen auch gar kein Verhältnis weder zur Poesie noch zu einer andern
Kunst, weil er immer nur an die Pflicht, niemals an den Genuß des Daseins
denkt. Im Gegenteil: jeden Genuß, auch den harmlosesten, verachtet er; jedes
Streben nach Glück, anch nach dem sittlichen, verdammt er, weil sich in seinem
Kopfe Glück und Sittlichkeit ausschließen. Er übertreibt den kategorischen
Imperativ des großen Lnudsmannes von Königsberg; er legt ihm eine Deutung
unter, die Kant gar nicht gemeint hat, wenn er sagt: "Kant lehrt, daß nur
derjenige ganz und wahrhaft sittlich handelt, der eine Pflicht erfüllt im Wider¬
spruche mit seines eignen Herzens Wunsch und Neigung" (I, 34) -- und dadurch
bringt sich der gute Rittmeister in eine Reihe von heillosen Klemmer und
Widersprüchen, und das ist der Humor, in den uns die Handlung des Romans
einführt. Denn der Rittmeister ist in Wahrheit gar nicht der reine Ver¬
standesmensch, der er sein mochte, vielmehr ein leidenschaftlicher Geselle, ein
wilder Hitzkopf, ein echt preußischer starrer Nacken mit unbändigem Freiheits¬
gefühl; er ist gar nicht der tiefe Kenner Kants, für den er sich hält, er ist
nicht der scharfsinnige Philosoph, der er zu sein glaubt, die "transzendentale
Ästhetik," die Grundlage des ganzen kantischen Kritizismus, ist ihm ein Buch
mit sieben Siegeln, er ist überhaupt kein richtiger Philosoph, denn er hat sich


Der eiserne Rittmeister

NUN Kant ein Gegner des Eudämonismus ist, weil Kant fordert, daß die gute
That um der Pflicht willen gethan werden solle, darum thut es der Rittmeister
anch, darum verbittet er sich jeden Dank und jede Auszeichnung für alles das,
was er nur im Dienste des Guten, mich seiner Meinung des kategorischen
Imperativs, der nackten, nüchternen Pflicht und Schuldigkeit thut. Er wird
sogar grob, ohne Rücksicht ans den eignen Nachteil, wenn ihm der Dank doch
erteilt werden soll. Läuft ihm aber der Dank und die Anerkennung seiner
guten Handlungen nach, so läßt er die ganze Sache im Stich, weil sie ihm
dadurch verleidet wird. Dazu kommen aber auch noch einige andre Charakter¬
eigenschaften, die ihn teils bedeutsamer, teils närrischer machen, denn so weit
wäre er ja nur ein philosophischer Dickkopf. Schon dadurch, daß sich Jage¬
teufel so ganz ausschließlich auf den Standpunkt des kategorischen Imperativs
stellt, bekundet er seinen wesentlichen Mangel, nämlich die Phantasielosigkeit
seines Wesens, die zur Folge hat, daß er sich schwer in andre Menschen hinein¬
denken kann und darum ein schlechter Menschenkenner ist. Er ist aber auch
ein Querkopf; indem er alle Handlungen, eigne und fremde, um sie zu beur¬
teilen, erst unter den Gesichtspunkt des berühmten kantischen Lehrsatzes stellt,
der da lautet: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit als
Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten kann," unterbindet er den
wichtigsten Quell alles menschlichen Thuns: die naive Unmittelbarkeit, den un¬
befangenen, natürlichen Trieb des Herzens zu diesem oder jenem Vorgehen,
verachtet er die Leidenschaft, die Sehnsucht, jede auch uoch so berechtigte Ge-
fühlshaudluug. Er stellt sich ganz auf den Verstandesstaudpunkt und hat u. a.
deswegen auch gar kein Verhältnis weder zur Poesie noch zu einer andern
Kunst, weil er immer nur an die Pflicht, niemals an den Genuß des Daseins
denkt. Im Gegenteil: jeden Genuß, auch den harmlosesten, verachtet er; jedes
Streben nach Glück, anch nach dem sittlichen, verdammt er, weil sich in seinem
Kopfe Glück und Sittlichkeit ausschließen. Er übertreibt den kategorischen
Imperativ des großen Lnudsmannes von Königsberg; er legt ihm eine Deutung
unter, die Kant gar nicht gemeint hat, wenn er sagt: „Kant lehrt, daß nur
derjenige ganz und wahrhaft sittlich handelt, der eine Pflicht erfüllt im Wider¬
spruche mit seines eignen Herzens Wunsch und Neigung" (I, 34) — und dadurch
bringt sich der gute Rittmeister in eine Reihe von heillosen Klemmer und
Widersprüchen, und das ist der Humor, in den uns die Handlung des Romans
einführt. Denn der Rittmeister ist in Wahrheit gar nicht der reine Ver¬
standesmensch, der er sein mochte, vielmehr ein leidenschaftlicher Geselle, ein
wilder Hitzkopf, ein echt preußischer starrer Nacken mit unbändigem Freiheits¬
gefühl; er ist gar nicht der tiefe Kenner Kants, für den er sich hält, er ist
nicht der scharfsinnige Philosoph, der er zu sein glaubt, die „transzendentale
Ästhetik," die Grundlage des ganzen kantischen Kritizismus, ist ihm ein Buch
mit sieben Siegeln, er ist überhaupt kein richtiger Philosoph, denn er hat sich


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[0334] Der eiserne Rittmeister NUN Kant ein Gegner des Eudämonismus ist, weil Kant fordert, daß die gute That um der Pflicht willen gethan werden solle, darum thut es der Rittmeister anch, darum verbittet er sich jeden Dank und jede Auszeichnung für alles das, was er nur im Dienste des Guten, mich seiner Meinung des kategorischen Imperativs, der nackten, nüchternen Pflicht und Schuldigkeit thut. Er wird sogar grob, ohne Rücksicht ans den eignen Nachteil, wenn ihm der Dank doch erteilt werden soll. Läuft ihm aber der Dank und die Anerkennung seiner guten Handlungen nach, so läßt er die ganze Sache im Stich, weil sie ihm dadurch verleidet wird. Dazu kommen aber auch noch einige andre Charakter¬ eigenschaften, die ihn teils bedeutsamer, teils närrischer machen, denn so weit wäre er ja nur ein philosophischer Dickkopf. Schon dadurch, daß sich Jage¬ teufel so ganz ausschließlich auf den Standpunkt des kategorischen Imperativs stellt, bekundet er seinen wesentlichen Mangel, nämlich die Phantasielosigkeit seines Wesens, die zur Folge hat, daß er sich schwer in andre Menschen hinein¬ denken kann und darum ein schlechter Menschenkenner ist. Er ist aber auch ein Querkopf; indem er alle Handlungen, eigne und fremde, um sie zu beur¬ teilen, erst unter den Gesichtspunkt des berühmten kantischen Lehrsatzes stellt, der da lautet: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten kann," unterbindet er den wichtigsten Quell alles menschlichen Thuns: die naive Unmittelbarkeit, den un¬ befangenen, natürlichen Trieb des Herzens zu diesem oder jenem Vorgehen, verachtet er die Leidenschaft, die Sehnsucht, jede auch uoch so berechtigte Ge- fühlshaudluug. Er stellt sich ganz auf den Verstandesstaudpunkt und hat u. a. deswegen auch gar kein Verhältnis weder zur Poesie noch zu einer andern Kunst, weil er immer nur an die Pflicht, niemals an den Genuß des Daseins denkt. Im Gegenteil: jeden Genuß, auch den harmlosesten, verachtet er; jedes Streben nach Glück, anch nach dem sittlichen, verdammt er, weil sich in seinem Kopfe Glück und Sittlichkeit ausschließen. Er übertreibt den kategorischen Imperativ des großen Lnudsmannes von Königsberg; er legt ihm eine Deutung unter, die Kant gar nicht gemeint hat, wenn er sagt: „Kant lehrt, daß nur derjenige ganz und wahrhaft sittlich handelt, der eine Pflicht erfüllt im Wider¬ spruche mit seines eignen Herzens Wunsch und Neigung" (I, 34) — und dadurch bringt sich der gute Rittmeister in eine Reihe von heillosen Klemmer und Widersprüchen, und das ist der Humor, in den uns die Handlung des Romans einführt. Denn der Rittmeister ist in Wahrheit gar nicht der reine Ver¬ standesmensch, der er sein mochte, vielmehr ein leidenschaftlicher Geselle, ein wilder Hitzkopf, ein echt preußischer starrer Nacken mit unbändigem Freiheits¬ gefühl; er ist gar nicht der tiefe Kenner Kants, für den er sich hält, er ist nicht der scharfsinnige Philosoph, der er zu sein glaubt, die „transzendentale Ästhetik," die Grundlage des ganzen kantischen Kritizismus, ist ihm ein Buch mit sieben Siegeln, er ist überhaupt kein richtiger Philosoph, denn er hat sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/334>, abgerufen am 23.07.2024.