Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.Der eiserne Rittmeister auch eine gewisse Verwandtschaft mit dem bedeutenden Buche "Auch Einer" Der Rittmeister Angust von Jageteusel, ein schlanker, sehniger Mann mit Der eiserne Rittmeister auch eine gewisse Verwandtschaft mit dem bedeutenden Buche „Auch Einer" Der Rittmeister Angust von Jageteusel, ein schlanker, sehniger Mann mit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0333" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208912"/> <fw type="header" place="top"> Der eiserne Rittmeister</fw><lb/> <p xml:id="ID_942" prev="#ID_941"> auch eine gewisse Verwandtschaft mit dem bedeutenden Buche „Auch Einer"<lb/> von Friedrich Theodor Bischer insofern, als auch der eiserne Rittmeister ein<lb/> Sonderling, ein Narr ist, dem wir anfänglich verwundert zuschauen, um ihn<lb/> allmählich lieb zu gewinnen; der Rittmeister ist auch ein philosophirender<lb/> Sonderling. Der Unterschied ist nur der, daß Albert Einhard mit seinem<lb/> Dilemma zwischen „dem obern und dem untern Stockwerk," mit seiner Sicherheit<lb/> im Reiche der Ideen und mit seiner Unsicherheit im Reiche des gewöhnlichen<lb/> Alltagslebens als eine Persönlichkeit absonderlicher Art ohne volkstümlichen<lb/> Hintergrund dasteht, dagegen der Rittmeister a. D. August von Jageteufel eine<lb/> welthistorisch bedeutsame Stammesart humoristisch übertrieben verkörpert. Mit<lb/> einem Worte: der „Eiserne Rittmeister" von Hoffmann will der Roman des<lb/> Preußentums sein, wie ihn unsers Wissens bisher noch keiner geschrieben hat.<lb/> Dieser Wille ist jedenfalls so bedeutend, daß er das Buch weit hinaushebt<lb/> über die gewöhnliche Romanlitteratur und als eine in unsrer Zeit doppelt<lb/> merkwürdige Erscheinung wohl eine besondre Beachtung verdient.</p><lb/> <p xml:id="ID_943" next="#ID_944"> Der Rittmeister Angust von Jageteusel, ein schlanker, sehniger Mann mit<lb/> kurzgeschnittenem Silberhaar, das wie eine Bürste vom Kopf absteht, lebt<lb/> 1812, gerade als Napoleon mit seinen zahllosen Heeresmassen nach Nußland<lb/> einmarschirt ist, in einer Stadt im fernen ostpreußischen Norden (sagen wir<lb/> Danzig, der Dichter nennt sie nicht ausdrücklich) als ein ziemlich unfreiwillig<lb/> verabschiedeter Offizier halb zum Schrecken, halb zur Freude seiner stilleren<lb/> Mitbürger in thätiger Unthcitigkeit. Seinen Abschied hat er unter sonderbaren<lb/> Umständen bekommen. Er hat sich in allen großen und kleinen Schlachten<lb/> gegen die Franzosen in hervorragender Weise ausgezeichnet, seiner stürmischen<lb/> Begeisterung sind die Soldaten überallhin gefolgt, sodaß sogar der Marschall<lb/> Vorwärts ihm anerkennend zugenickt hat. Als es nun dazu kam, daß seine<lb/> Verdienste vom König auf Blüchers Antrag dnrch eine und die andre Ordens¬<lb/> verleihung ausgezeichnet werden sollten, da verbat sich der Rittmeister jeden<lb/> Dank dieser und jeder andern Art in so nachdrücklicher Weise, daß er den<lb/> König verletzte und dieser daraufhin bemerkte, philosophische Offiziere könne<lb/> er nicht brauchen, und den Rittmeister entließ. Warum schlug Jageteufel die<lb/> Auszeichnung aus? Das ist nun eine der Handlungen, zu der ihn seine<lb/> „Schrullen," wie seine Spötter sagen, seine tiefste philosophische Überzeugung<lb/> und Weltanschauung, wie er selbst und die ihn kennen, sagen, veranlaßt hat.<lb/> Im Jahre 1786 ist nämlich Kants „Kritik der praktischen Vernunft" mit der<lb/> in der Ethik epochemachenden Lehre vom kategorischen Imperativ erschienen.<lb/> Dieses Buch und diese Lehre seines großen Landsmannes Kant haben ans den<lb/> Rittmeister einen gewaltigen Eindruck gemacht, so mächtig, daß er seitdem sein<lb/> eignes Dasein und auch das aller Menschen seiner Umgebung, das zu lenken<lb/> oder doch zu beeinflussen er berufen oder in der Lage ist, nach dein Gesetze des<lb/> kategorischen Imperativs von Kant ordnen und führen zu müssen glaubt. Weil</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0333]
Der eiserne Rittmeister
auch eine gewisse Verwandtschaft mit dem bedeutenden Buche „Auch Einer"
von Friedrich Theodor Bischer insofern, als auch der eiserne Rittmeister ein
Sonderling, ein Narr ist, dem wir anfänglich verwundert zuschauen, um ihn
allmählich lieb zu gewinnen; der Rittmeister ist auch ein philosophirender
Sonderling. Der Unterschied ist nur der, daß Albert Einhard mit seinem
Dilemma zwischen „dem obern und dem untern Stockwerk," mit seiner Sicherheit
im Reiche der Ideen und mit seiner Unsicherheit im Reiche des gewöhnlichen
Alltagslebens als eine Persönlichkeit absonderlicher Art ohne volkstümlichen
Hintergrund dasteht, dagegen der Rittmeister a. D. August von Jageteufel eine
welthistorisch bedeutsame Stammesart humoristisch übertrieben verkörpert. Mit
einem Worte: der „Eiserne Rittmeister" von Hoffmann will der Roman des
Preußentums sein, wie ihn unsers Wissens bisher noch keiner geschrieben hat.
Dieser Wille ist jedenfalls so bedeutend, daß er das Buch weit hinaushebt
über die gewöhnliche Romanlitteratur und als eine in unsrer Zeit doppelt
merkwürdige Erscheinung wohl eine besondre Beachtung verdient.
Der Rittmeister Angust von Jageteusel, ein schlanker, sehniger Mann mit
kurzgeschnittenem Silberhaar, das wie eine Bürste vom Kopf absteht, lebt
1812, gerade als Napoleon mit seinen zahllosen Heeresmassen nach Nußland
einmarschirt ist, in einer Stadt im fernen ostpreußischen Norden (sagen wir
Danzig, der Dichter nennt sie nicht ausdrücklich) als ein ziemlich unfreiwillig
verabschiedeter Offizier halb zum Schrecken, halb zur Freude seiner stilleren
Mitbürger in thätiger Unthcitigkeit. Seinen Abschied hat er unter sonderbaren
Umständen bekommen. Er hat sich in allen großen und kleinen Schlachten
gegen die Franzosen in hervorragender Weise ausgezeichnet, seiner stürmischen
Begeisterung sind die Soldaten überallhin gefolgt, sodaß sogar der Marschall
Vorwärts ihm anerkennend zugenickt hat. Als es nun dazu kam, daß seine
Verdienste vom König auf Blüchers Antrag dnrch eine und die andre Ordens¬
verleihung ausgezeichnet werden sollten, da verbat sich der Rittmeister jeden
Dank dieser und jeder andern Art in so nachdrücklicher Weise, daß er den
König verletzte und dieser daraufhin bemerkte, philosophische Offiziere könne
er nicht brauchen, und den Rittmeister entließ. Warum schlug Jageteufel die
Auszeichnung aus? Das ist nun eine der Handlungen, zu der ihn seine
„Schrullen," wie seine Spötter sagen, seine tiefste philosophische Überzeugung
und Weltanschauung, wie er selbst und die ihn kennen, sagen, veranlaßt hat.
Im Jahre 1786 ist nämlich Kants „Kritik der praktischen Vernunft" mit der
in der Ethik epochemachenden Lehre vom kategorischen Imperativ erschienen.
Dieses Buch und diese Lehre seines großen Landsmannes Kant haben ans den
Rittmeister einen gewaltigen Eindruck gemacht, so mächtig, daß er seitdem sein
eignes Dasein und auch das aller Menschen seiner Umgebung, das zu lenken
oder doch zu beeinflussen er berufen oder in der Lage ist, nach dein Gesetze des
kategorischen Imperativs von Kant ordnen und führen zu müssen glaubt. Weil
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