Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Mildenbruchs Haubenlerche

Ganz andrer Art ist die köstliche Gestalt des Ale Schmalebach, des Onkels
der Haubenlerche, der als Faktor in der Lnmpenfabrik Längenthals angestellt
ist. In ihm hat Wildenbruch mit wirklichem Humor einen von jenen "Ar¬
beitern" gezeichnet, die uicht arbeiten, die nichts können, als einige aufgelesene
Redensarten immer wiederkäuen. Ale kommt dabei gewöhnlich nicht einmal
mit einem Satz zu Ende lind wirkt (in Berlin durch Georg Engels ausge¬
zeichnet vertreten) eigentlich am komischsten durch das, was er nur sagen will,
aber nicht sagt. Selbst der eingefleischteste Egoist, schimpft er fortwährend
über die Reiche", sogar für "Herrn August" hat er, ehe sein Egoismus ihn
zu einem andern Urteil bringt, so oft die andern ihn loben, nur das Wort:
"Er gehört aber auch zu deu Reichen." Daran, daß es ihm eigentlich viel
besser geht, als ers in seiner Faulheit verdient, denkt er nicht im Traume.

Es fehlt nur noch eine von den Personen, die uns der Dichter vorführt:
Längenthals Kousiue Juliane, die ihm das Haus führt. Sie ist eine vornehme
Natur. Niemals tritt sie äußerlich in den Vordergrund, und doch ist ihre
stille Vermittlerthätigkeit überall wirksam: das Glück des heimlich geliebten
Vetters August sucht sie zu fördern, selbst auf Kosten ihres eignen. Bei ober¬
flächlicher Betrachtung könnte man sie für unnötig halten; sieht man aber
näher zu, so erkennt man leicht, wie falsch ein solches Urteil wäre.

So viel über die Personen der "Haubenlerche"; sie gehören, wie man
sieht, teils den Kreisen des reichen Fabrikanten, also des Bürgertums, teils
dem Arbeiterstande um. Die Vertreter des letztern läßt der Dichter vielfach in
Berliner Platt sprechen; einige Kritiker finden das künstlich herbeigezogen, mir
scheint es nicht unpassend zu der auch äußerlichen Einreihung dieser Leute in die
Gesellschaftsschicht, der sie durch die Geburt angehören. Über die Berechti¬
gung eines andern Vorwurfes, deu man gelegentlich zu hören bekam, die
Mundart sei künstlich gemacht, vermag ich nicht zu urteilen; ich habe aber
den Eindruck, daß er mindestens übertrieben sei. Von den Angehörigen des
Bürgerstandes bedient sich nur Hermann Nissen bei passender Gelegenheit der
Vvlksmundart - ein feiner Zug, denn dadurch kommt er sofort den Leuten
aus dem Volke näher. Von August Langenthal und Juliane aber darf man
wohl annehmen, daß sie die Mundart überhaupt nicht sprechen können, wenn
sie sie auch verstehen mögen.

Worin aber liegt nun die soziale Bedeutung des Stückes? Was null uus
der Dichter zeigen? Ich sagte schon: Langenthal null seine Arbeiter zum Ge¬
fühl ihrer sozialen Gleichberechtigung emporheben und ihnen so das Gefühl
des Neides gegen die Reichen nehmen. Er erfährt aber, daß wenigstens die
Art, wie er dies versucht, ihre sehr gefährliche Seite hat, daß sie leicht zum
Gegenteil des Gewollten führen kann: er lernt dnrch bittere Herzenserfahrungen,
daß der Mensch viel fester mit dein Stande verwachsen ist, in den ihn seine
Geburt hineingestellt hat, als er meinte, daß man ihn nicht so ohne weiteres


Mildenbruchs Haubenlerche

Ganz andrer Art ist die köstliche Gestalt des Ale Schmalebach, des Onkels
der Haubenlerche, der als Faktor in der Lnmpenfabrik Längenthals angestellt
ist. In ihm hat Wildenbruch mit wirklichem Humor einen von jenen „Ar¬
beitern" gezeichnet, die uicht arbeiten, die nichts können, als einige aufgelesene
Redensarten immer wiederkäuen. Ale kommt dabei gewöhnlich nicht einmal
mit einem Satz zu Ende lind wirkt (in Berlin durch Georg Engels ausge¬
zeichnet vertreten) eigentlich am komischsten durch das, was er nur sagen will,
aber nicht sagt. Selbst der eingefleischteste Egoist, schimpft er fortwährend
über die Reiche», sogar für „Herrn August" hat er, ehe sein Egoismus ihn
zu einem andern Urteil bringt, so oft die andern ihn loben, nur das Wort:
„Er gehört aber auch zu deu Reichen." Daran, daß es ihm eigentlich viel
besser geht, als ers in seiner Faulheit verdient, denkt er nicht im Traume.

Es fehlt nur noch eine von den Personen, die uns der Dichter vorführt:
Längenthals Kousiue Juliane, die ihm das Haus führt. Sie ist eine vornehme
Natur. Niemals tritt sie äußerlich in den Vordergrund, und doch ist ihre
stille Vermittlerthätigkeit überall wirksam: das Glück des heimlich geliebten
Vetters August sucht sie zu fördern, selbst auf Kosten ihres eignen. Bei ober¬
flächlicher Betrachtung könnte man sie für unnötig halten; sieht man aber
näher zu, so erkennt man leicht, wie falsch ein solches Urteil wäre.

So viel über die Personen der „Haubenlerche"; sie gehören, wie man
sieht, teils den Kreisen des reichen Fabrikanten, also des Bürgertums, teils
dem Arbeiterstande um. Die Vertreter des letztern läßt der Dichter vielfach in
Berliner Platt sprechen; einige Kritiker finden das künstlich herbeigezogen, mir
scheint es nicht unpassend zu der auch äußerlichen Einreihung dieser Leute in die
Gesellschaftsschicht, der sie durch die Geburt angehören. Über die Berechti¬
gung eines andern Vorwurfes, deu man gelegentlich zu hören bekam, die
Mundart sei künstlich gemacht, vermag ich nicht zu urteilen; ich habe aber
den Eindruck, daß er mindestens übertrieben sei. Von den Angehörigen des
Bürgerstandes bedient sich nur Hermann Nissen bei passender Gelegenheit der
Vvlksmundart - ein feiner Zug, denn dadurch kommt er sofort den Leuten
aus dem Volke näher. Von August Langenthal und Juliane aber darf man
wohl annehmen, daß sie die Mundart überhaupt nicht sprechen können, wenn
sie sie auch verstehen mögen.

Worin aber liegt nun die soziale Bedeutung des Stückes? Was null uus
der Dichter zeigen? Ich sagte schon: Langenthal null seine Arbeiter zum Ge¬
fühl ihrer sozialen Gleichberechtigung emporheben und ihnen so das Gefühl
des Neides gegen die Reichen nehmen. Er erfährt aber, daß wenigstens die
Art, wie er dies versucht, ihre sehr gefährliche Seite hat, daß sie leicht zum
Gegenteil des Gewollten führen kann: er lernt dnrch bittere Herzenserfahrungen,
daß der Mensch viel fester mit dein Stande verwachsen ist, in den ihn seine
Geburt hineingestellt hat, als er meinte, daß man ihn nicht so ohne weiteres


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0285" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208864"/>
          <fw type="header" place="top"> Mildenbruchs Haubenlerche</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_798"> Ganz andrer Art ist die köstliche Gestalt des Ale Schmalebach, des Onkels<lb/>
der Haubenlerche, der als Faktor in der Lnmpenfabrik Längenthals angestellt<lb/>
ist. In ihm hat Wildenbruch mit wirklichem Humor einen von jenen &#x201E;Ar¬<lb/>
beitern" gezeichnet, die uicht arbeiten, die nichts können, als einige aufgelesene<lb/>
Redensarten immer wiederkäuen. Ale kommt dabei gewöhnlich nicht einmal<lb/>
mit einem Satz zu Ende lind wirkt (in Berlin durch Georg Engels ausge¬<lb/>
zeichnet vertreten) eigentlich am komischsten durch das, was er nur sagen will,<lb/>
aber nicht sagt. Selbst der eingefleischteste Egoist, schimpft er fortwährend<lb/>
über die Reiche», sogar für &#x201E;Herrn August" hat er, ehe sein Egoismus ihn<lb/>
zu einem andern Urteil bringt, so oft die andern ihn loben, nur das Wort:<lb/>
&#x201E;Er gehört aber auch zu deu Reichen." Daran, daß es ihm eigentlich viel<lb/>
besser geht, als ers in seiner Faulheit verdient, denkt er nicht im Traume.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_799"> Es fehlt nur noch eine von den Personen, die uns der Dichter vorführt:<lb/>
Längenthals Kousiue Juliane, die ihm das Haus führt. Sie ist eine vornehme<lb/>
Natur. Niemals tritt sie äußerlich in den Vordergrund, und doch ist ihre<lb/>
stille Vermittlerthätigkeit überall wirksam: das Glück des heimlich geliebten<lb/>
Vetters August sucht sie zu fördern, selbst auf Kosten ihres eignen. Bei ober¬<lb/>
flächlicher Betrachtung könnte man sie für unnötig halten; sieht man aber<lb/>
näher zu, so erkennt man leicht, wie falsch ein solches Urteil wäre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_800"> So viel über die Personen der &#x201E;Haubenlerche"; sie gehören, wie man<lb/>
sieht, teils den Kreisen des reichen Fabrikanten, also des Bürgertums, teils<lb/>
dem Arbeiterstande um. Die Vertreter des letztern läßt der Dichter vielfach in<lb/>
Berliner Platt sprechen; einige Kritiker finden das künstlich herbeigezogen, mir<lb/>
scheint es nicht unpassend zu der auch äußerlichen Einreihung dieser Leute in die<lb/>
Gesellschaftsschicht, der sie durch die Geburt angehören. Über die Berechti¬<lb/>
gung eines andern Vorwurfes, deu man gelegentlich zu hören bekam, die<lb/>
Mundart sei künstlich gemacht, vermag ich nicht zu urteilen; ich habe aber<lb/>
den Eindruck, daß er mindestens übertrieben sei. Von den Angehörigen des<lb/>
Bürgerstandes bedient sich nur Hermann Nissen bei passender Gelegenheit der<lb/>
Vvlksmundart - ein feiner Zug, denn dadurch kommt er sofort den Leuten<lb/>
aus dem Volke näher. Von August Langenthal und Juliane aber darf man<lb/>
wohl annehmen, daß sie die Mundart überhaupt nicht sprechen können, wenn<lb/>
sie sie auch verstehen mögen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_801" next="#ID_802"> Worin aber liegt nun die soziale Bedeutung des Stückes? Was null uus<lb/>
der Dichter zeigen? Ich sagte schon: Langenthal null seine Arbeiter zum Ge¬<lb/>
fühl ihrer sozialen Gleichberechtigung emporheben und ihnen so das Gefühl<lb/>
des Neides gegen die Reichen nehmen. Er erfährt aber, daß wenigstens die<lb/>
Art, wie er dies versucht, ihre sehr gefährliche Seite hat, daß sie leicht zum<lb/>
Gegenteil des Gewollten führen kann: er lernt dnrch bittere Herzenserfahrungen,<lb/>
daß der Mensch viel fester mit dein Stande verwachsen ist, in den ihn seine<lb/>
Geburt hineingestellt hat, als er meinte, daß man ihn nicht so ohne weiteres</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0285] Mildenbruchs Haubenlerche Ganz andrer Art ist die köstliche Gestalt des Ale Schmalebach, des Onkels der Haubenlerche, der als Faktor in der Lnmpenfabrik Längenthals angestellt ist. In ihm hat Wildenbruch mit wirklichem Humor einen von jenen „Ar¬ beitern" gezeichnet, die uicht arbeiten, die nichts können, als einige aufgelesene Redensarten immer wiederkäuen. Ale kommt dabei gewöhnlich nicht einmal mit einem Satz zu Ende lind wirkt (in Berlin durch Georg Engels ausge¬ zeichnet vertreten) eigentlich am komischsten durch das, was er nur sagen will, aber nicht sagt. Selbst der eingefleischteste Egoist, schimpft er fortwährend über die Reiche», sogar für „Herrn August" hat er, ehe sein Egoismus ihn zu einem andern Urteil bringt, so oft die andern ihn loben, nur das Wort: „Er gehört aber auch zu deu Reichen." Daran, daß es ihm eigentlich viel besser geht, als ers in seiner Faulheit verdient, denkt er nicht im Traume. Es fehlt nur noch eine von den Personen, die uns der Dichter vorführt: Längenthals Kousiue Juliane, die ihm das Haus führt. Sie ist eine vornehme Natur. Niemals tritt sie äußerlich in den Vordergrund, und doch ist ihre stille Vermittlerthätigkeit überall wirksam: das Glück des heimlich geliebten Vetters August sucht sie zu fördern, selbst auf Kosten ihres eignen. Bei ober¬ flächlicher Betrachtung könnte man sie für unnötig halten; sieht man aber näher zu, so erkennt man leicht, wie falsch ein solches Urteil wäre. So viel über die Personen der „Haubenlerche"; sie gehören, wie man sieht, teils den Kreisen des reichen Fabrikanten, also des Bürgertums, teils dem Arbeiterstande um. Die Vertreter des letztern läßt der Dichter vielfach in Berliner Platt sprechen; einige Kritiker finden das künstlich herbeigezogen, mir scheint es nicht unpassend zu der auch äußerlichen Einreihung dieser Leute in die Gesellschaftsschicht, der sie durch die Geburt angehören. Über die Berechti¬ gung eines andern Vorwurfes, deu man gelegentlich zu hören bekam, die Mundart sei künstlich gemacht, vermag ich nicht zu urteilen; ich habe aber den Eindruck, daß er mindestens übertrieben sei. Von den Angehörigen des Bürgerstandes bedient sich nur Hermann Nissen bei passender Gelegenheit der Vvlksmundart - ein feiner Zug, denn dadurch kommt er sofort den Leuten aus dem Volke näher. Von August Langenthal und Juliane aber darf man wohl annehmen, daß sie die Mundart überhaupt nicht sprechen können, wenn sie sie auch verstehen mögen. Worin aber liegt nun die soziale Bedeutung des Stückes? Was null uus der Dichter zeigen? Ich sagte schon: Langenthal null seine Arbeiter zum Ge¬ fühl ihrer sozialen Gleichberechtigung emporheben und ihnen so das Gefühl des Neides gegen die Reichen nehmen. Er erfährt aber, daß wenigstens die Art, wie er dies versucht, ihre sehr gefährliche Seite hat, daß sie leicht zum Gegenteil des Gewollten führen kann: er lernt dnrch bittere Herzenserfahrungen, daß der Mensch viel fester mit dein Stande verwachsen ist, in den ihn seine Geburt hineingestellt hat, als er meinte, daß man ihn nicht so ohne weiteres

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/285
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/285>, abgerufen am 25.08.2024.