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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Dichter, aber nicht mehr ein Bild ans der Vergangenheit führt er uns vor
Augen, sondern er hat ein ganz modernes Stück geschaffen: es spielt nicht nnr
in der Gegenwart, sondern es nimmt maßvoll und eben deshalb auch wirkungs¬
voll Stellung zu der großen Hauptfrage der Gegenwart, Die "Haubenlerche"
ist ein soziales Stuck im besten Sinne des Wortes. Es behandelt das richtige
Verhältnis der verschiednen Gesellschaftsklassen zu einander, im besondern die
rechte Stellung des Arbeitgebers zum Arbeiter und lungekehrt. Dabei verfällt
aber Wildenbruch nie in trocknen Ton; er vermeidet alle ungehörigen theo¬
retischem Erörterungen -- das gefährlichste Hindernis dramatischer Wirkung --,
bleibt überall anregend und anschaulich und erhebt sich wiederholt zu packender
Wirkung. Bei allen Personen des Stückes -- ihre Zahl ist weit geringer als
sonst in Wildenbrnchs Stücken -- Hai mau das Gefühl, daß sie im wesentlichen
lebenswahr gezeichnet seien, und einige von ihnen sind wirkliche Prachtgestalten.

Der reiche Papierfabrikbesitzer August Langenthal, der "Herr August," wie
er bezeichnenderweise von seinen Leuten gewöhnlich genannt wird, ist ein echter
deutscher Idealist. Er hat schon jahrelang und bei den bessern auch nicht
ohne Erfolg daran gearbeitet, seine Arbeiter zu dem Gefühl ihrer sozialen
Gleichberechtigung emporzuheben, sie "stolz zu "lachen," wie er das nennt.
"Wem, ihr diesen Stolz bekommt - so etwa sagt er gelegentlich -- , werdet
ihr aufhören, neidisch zu sein." Mit einem Gemisch von Newnnderung und
Liebe sehen seine Untergebenen zu ihm auf; alle fühlen, welch edles Herz in
diesem Manne schlägt. Aber so recht vertraulich wird er ihnen nicht; er
vermag nicht mit ihnen in ihrer Sprache zu reden, so gern er es gewiß möchte.

Eine ganz entgegengesetzte Natur ist sein Stiefbruder Hermann Nissen:
trotz seiner großen Jugend ausschweifend und egoistisch im höchsten Grade,
dabei ausgestattet gerade mit der Gabe, die dem schwer flüssigen Wesen
Längenthals ganz abgeht, auch den Ton der Leute aus dem Volke mühelos
zu treffen. Er ist es auch, der in der frisch entworfenen Eiugaugsszene Lene
Schmalebach, der Tochter eines verstorbenen Fabrikarbeiters, den Scherznamen
"Haubenlerche" giebt, "weil sie früher als andre aufstehe und gleich zu singen
anfange." Diese Leue ist eine prächtige Gestalt, an der jeder seine Freude
haben muß: immer heiter und thätig und so lange sie nicht gewaltsam ans
ihrem .Kreise gerissen wird, mit sicherm Gefühl -- von dein dies echte Natur¬
kind sicherer geleitet wird, als andre von Grundsätzen -- stets das Rechte
treffend. Sie haßt keinen in der Welt; sie fühlt echte Kindesliebe zu ihrer
Mutter, die sich trotz ihrer Gicht immer noch viel natürliche Frische bewahrt
hat; sie blickt mit dankbarer Bewunderung auf zu "Herrn August," der so
edel und so väterlich für seine Arbeiter sorgt, und -- sie hegt tiefe, reine
Liebe zu dem "Büttgeselleu" in der Papierfabrik, Paul Ilefeld, der, ihr
männliches Gegenbild, ob seines frischen Wesens und seiner innern Tüchtigkeit
dieser Liebe auch völlig wert erscheint.


Dichter, aber nicht mehr ein Bild ans der Vergangenheit führt er uns vor
Augen, sondern er hat ein ganz modernes Stück geschaffen: es spielt nicht nnr
in der Gegenwart, sondern es nimmt maßvoll und eben deshalb auch wirkungs¬
voll Stellung zu der großen Hauptfrage der Gegenwart, Die „Haubenlerche"
ist ein soziales Stuck im besten Sinne des Wortes. Es behandelt das richtige
Verhältnis der verschiednen Gesellschaftsklassen zu einander, im besondern die
rechte Stellung des Arbeitgebers zum Arbeiter und lungekehrt. Dabei verfällt
aber Wildenbruch nie in trocknen Ton; er vermeidet alle ungehörigen theo¬
retischem Erörterungen — das gefährlichste Hindernis dramatischer Wirkung —,
bleibt überall anregend und anschaulich und erhebt sich wiederholt zu packender
Wirkung. Bei allen Personen des Stückes — ihre Zahl ist weit geringer als
sonst in Wildenbrnchs Stücken — Hai mau das Gefühl, daß sie im wesentlichen
lebenswahr gezeichnet seien, und einige von ihnen sind wirkliche Prachtgestalten.

Der reiche Papierfabrikbesitzer August Langenthal, der „Herr August," wie
er bezeichnenderweise von seinen Leuten gewöhnlich genannt wird, ist ein echter
deutscher Idealist. Er hat schon jahrelang und bei den bessern auch nicht
ohne Erfolg daran gearbeitet, seine Arbeiter zu dem Gefühl ihrer sozialen
Gleichberechtigung emporzuheben, sie „stolz zu »lachen," wie er das nennt.
„Wem, ihr diesen Stolz bekommt - so etwa sagt er gelegentlich — , werdet
ihr aufhören, neidisch zu sein." Mit einem Gemisch von Newnnderung und
Liebe sehen seine Untergebenen zu ihm auf; alle fühlen, welch edles Herz in
diesem Manne schlägt. Aber so recht vertraulich wird er ihnen nicht; er
vermag nicht mit ihnen in ihrer Sprache zu reden, so gern er es gewiß möchte.

Eine ganz entgegengesetzte Natur ist sein Stiefbruder Hermann Nissen:
trotz seiner großen Jugend ausschweifend und egoistisch im höchsten Grade,
dabei ausgestattet gerade mit der Gabe, die dem schwer flüssigen Wesen
Längenthals ganz abgeht, auch den Ton der Leute aus dem Volke mühelos
zu treffen. Er ist es auch, der in der frisch entworfenen Eiugaugsszene Lene
Schmalebach, der Tochter eines verstorbenen Fabrikarbeiters, den Scherznamen
„Haubenlerche" giebt, „weil sie früher als andre aufstehe und gleich zu singen
anfange." Diese Leue ist eine prächtige Gestalt, an der jeder seine Freude
haben muß: immer heiter und thätig und so lange sie nicht gewaltsam ans
ihrem .Kreise gerissen wird, mit sicherm Gefühl — von dein dies echte Natur¬
kind sicherer geleitet wird, als andre von Grundsätzen — stets das Rechte
treffend. Sie haßt keinen in der Welt; sie fühlt echte Kindesliebe zu ihrer
Mutter, die sich trotz ihrer Gicht immer noch viel natürliche Frische bewahrt
hat; sie blickt mit dankbarer Bewunderung auf zu „Herrn August," der so
edel und so väterlich für seine Arbeiter sorgt, und — sie hegt tiefe, reine
Liebe zu dem „Büttgeselleu" in der Papierfabrik, Paul Ilefeld, der, ihr
männliches Gegenbild, ob seines frischen Wesens und seiner innern Tüchtigkeit
dieser Liebe auch völlig wert erscheint.


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[0284] Dichter, aber nicht mehr ein Bild ans der Vergangenheit führt er uns vor Augen, sondern er hat ein ganz modernes Stück geschaffen: es spielt nicht nnr in der Gegenwart, sondern es nimmt maßvoll und eben deshalb auch wirkungs¬ voll Stellung zu der großen Hauptfrage der Gegenwart, Die „Haubenlerche" ist ein soziales Stuck im besten Sinne des Wortes. Es behandelt das richtige Verhältnis der verschiednen Gesellschaftsklassen zu einander, im besondern die rechte Stellung des Arbeitgebers zum Arbeiter und lungekehrt. Dabei verfällt aber Wildenbruch nie in trocknen Ton; er vermeidet alle ungehörigen theo¬ retischem Erörterungen — das gefährlichste Hindernis dramatischer Wirkung —, bleibt überall anregend und anschaulich und erhebt sich wiederholt zu packender Wirkung. Bei allen Personen des Stückes — ihre Zahl ist weit geringer als sonst in Wildenbrnchs Stücken — Hai mau das Gefühl, daß sie im wesentlichen lebenswahr gezeichnet seien, und einige von ihnen sind wirkliche Prachtgestalten. Der reiche Papierfabrikbesitzer August Langenthal, der „Herr August," wie er bezeichnenderweise von seinen Leuten gewöhnlich genannt wird, ist ein echter deutscher Idealist. Er hat schon jahrelang und bei den bessern auch nicht ohne Erfolg daran gearbeitet, seine Arbeiter zu dem Gefühl ihrer sozialen Gleichberechtigung emporzuheben, sie „stolz zu »lachen," wie er das nennt. „Wem, ihr diesen Stolz bekommt - so etwa sagt er gelegentlich — , werdet ihr aufhören, neidisch zu sein." Mit einem Gemisch von Newnnderung und Liebe sehen seine Untergebenen zu ihm auf; alle fühlen, welch edles Herz in diesem Manne schlägt. Aber so recht vertraulich wird er ihnen nicht; er vermag nicht mit ihnen in ihrer Sprache zu reden, so gern er es gewiß möchte. Eine ganz entgegengesetzte Natur ist sein Stiefbruder Hermann Nissen: trotz seiner großen Jugend ausschweifend und egoistisch im höchsten Grade, dabei ausgestattet gerade mit der Gabe, die dem schwer flüssigen Wesen Längenthals ganz abgeht, auch den Ton der Leute aus dem Volke mühelos zu treffen. Er ist es auch, der in der frisch entworfenen Eiugaugsszene Lene Schmalebach, der Tochter eines verstorbenen Fabrikarbeiters, den Scherznamen „Haubenlerche" giebt, „weil sie früher als andre aufstehe und gleich zu singen anfange." Diese Leue ist eine prächtige Gestalt, an der jeder seine Freude haben muß: immer heiter und thätig und so lange sie nicht gewaltsam ans ihrem .Kreise gerissen wird, mit sicherm Gefühl — von dein dies echte Natur¬ kind sicherer geleitet wird, als andre von Grundsätzen — stets das Rechte treffend. Sie haßt keinen in der Welt; sie fühlt echte Kindesliebe zu ihrer Mutter, die sich trotz ihrer Gicht immer noch viel natürliche Frische bewahrt hat; sie blickt mit dankbarer Bewunderung auf zu „Herrn August," der so edel und so väterlich für seine Arbeiter sorgt, und — sie hegt tiefe, reine Liebe zu dem „Büttgeselleu" in der Papierfabrik, Paul Ilefeld, der, ihr männliches Gegenbild, ob seines frischen Wesens und seiner innern Tüchtigkeit dieser Liebe auch völlig wert erscheint.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/284>, abgerufen am 23.07.2024.