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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Vereinigten Staaten anzukaufen und so die Konkurrenz zu vernichten, sodann
die Bahnen so schlecht zu bauen und zu verwalten, die Bahnbeamten so niedrig
zu besolden, das reisende Publikum so hoch zu besteuern, als ihnen beliebt,
und dadurch endlich sich selbst zu Hundertmillionären emporzuschrauben. Diesel"
zur Zeit gesetzlich unanfechtbaren Mißbräuche des Besitzrechts hat bei uns der
Staat vorgebeugt. Vielleicht aber ergeben sich bei einer Umschau noch untre
Gelegenheiten, wo die rechtlich unanfechtbare Verwendung des Reichtums so
offenbar gemeinschädlich wirkt, daß mir ein Blinder die von Rodbertus be¬
zeichnete Rechtslücke übersehen könnte. Wenn z. B. vier oder fünf Herren ihre
Millionen zusammenlegen, wenn sie dann den Grubenbesitzern eines Jndustrie-
bezirks durch Abnahme der gesamten Kohlenförderung deren Verwertung recht
bequem machen, wen" sie hierauf, von aller Konkurrenz befreit, die Kohlen
doppelt so hoch verkaufen können, wie das Jahr vorher, wenn von diesen hundert
Prozent Mehrgewinn in die Taschen der Grubenbesitzer gar nichts fließt, in
die der Arbeiter durch Lohnerhöhung ein Anteil von zwanzig Prozent, und
jene vier oder fünf Herren die übrigen achtzig Prozent einstecken -- für die
Mühwaltung der Kontraktansfertignng, denn die mit dem Handel verbundene
Arbeit wird von ihre" Angestellten besorgt -- so sind sie formell vollkommen
im Recht. stiehlt eine arme Witwe im Winter ein Körbchen Kohlen, so wird
sie mit Gefängnis, und läßt sie sich viermal bei demselben Vergehen erwischen,
mit Zuchthaus bestraft. Wenn aber jene vier oder fünf Herren einigen hundert¬
tausend Familien, die nicht mehr als dreißig Mark jede für Winterkohle an-
legen können, durch Verdoppelung des Preises die Hälfte ihrer Winterkohle
entziehen und außerdem eine Anzahl von Industrien in Bedrängnis versetzen,
so machen sie eben mir von ihrem unanfechtbaren Besitzrechte Gebrauch. Viel¬
leicht finden die Leser uoch andre Punkte heraus, wo der schreiende Wider¬
spruch zwischen dein formalen und dem materielle!" Recht zur Ausfüllung der
Lücke und zu Eingriffen des Staates in die Gilterverteilung herausfordert.

Nachdem Rodbertus die Regelung der Gütererzeugung und -Verteilung
in seinem sozialistischen Zukunftsstaat beschrieben und zu beweisen versucht hat,
daß darin nicht der Zwang herrschen würde, sondern so vollkommene Freiheit,
als nur immer ans Erden erreichbar ist, kritisirt er nochmals den gegenwärtigen
Zustand lind liefert dabei noch einiges praktisch verwendbare Material.
Gegenwärtig, sagt er z. B. S. 1K8 ff., sind die Grund- und Kapitalbesitzer
die staatswirtschaftlicheu Beamten, die die Produktion und Verteilung zu leiten
haben. "Sie sind die gebornen, erblichen staatswirtschaftlichen Beamten, wie
früher Geburt und Erbrecht noch andre gesellschaftliche Beamte einsetzten, bis
deren "Recht" jz. B. Polizeigewalt nud Rechtspslegej -- so gut einst Recht,
als heilte noch das Grund- und Kapitaleigentnm Recht ist -- an der Frage
zerschellte, ob die Funktionen des Amtes besser bei Anstellung als bei Erblich¬
keit geübt würden. Die Partei, die in jüngster Zeit so oft gesagt hat "Eigen-


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Vereinigten Staaten anzukaufen und so die Konkurrenz zu vernichten, sodann
die Bahnen so schlecht zu bauen und zu verwalten, die Bahnbeamten so niedrig
zu besolden, das reisende Publikum so hoch zu besteuern, als ihnen beliebt,
und dadurch endlich sich selbst zu Hundertmillionären emporzuschrauben. Diesel»
zur Zeit gesetzlich unanfechtbaren Mißbräuche des Besitzrechts hat bei uns der
Staat vorgebeugt. Vielleicht aber ergeben sich bei einer Umschau noch untre
Gelegenheiten, wo die rechtlich unanfechtbare Verwendung des Reichtums so
offenbar gemeinschädlich wirkt, daß mir ein Blinder die von Rodbertus be¬
zeichnete Rechtslücke übersehen könnte. Wenn z. B. vier oder fünf Herren ihre
Millionen zusammenlegen, wenn sie dann den Grubenbesitzern eines Jndustrie-
bezirks durch Abnahme der gesamten Kohlenförderung deren Verwertung recht
bequem machen, wen» sie hierauf, von aller Konkurrenz befreit, die Kohlen
doppelt so hoch verkaufen können, wie das Jahr vorher, wenn von diesen hundert
Prozent Mehrgewinn in die Taschen der Grubenbesitzer gar nichts fließt, in
die der Arbeiter durch Lohnerhöhung ein Anteil von zwanzig Prozent, und
jene vier oder fünf Herren die übrigen achtzig Prozent einstecken — für die
Mühwaltung der Kontraktansfertignng, denn die mit dem Handel verbundene
Arbeit wird von ihre» Angestellten besorgt — so sind sie formell vollkommen
im Recht. stiehlt eine arme Witwe im Winter ein Körbchen Kohlen, so wird
sie mit Gefängnis, und läßt sie sich viermal bei demselben Vergehen erwischen,
mit Zuchthaus bestraft. Wenn aber jene vier oder fünf Herren einigen hundert¬
tausend Familien, die nicht mehr als dreißig Mark jede für Winterkohle an-
legen können, durch Verdoppelung des Preises die Hälfte ihrer Winterkohle
entziehen und außerdem eine Anzahl von Industrien in Bedrängnis versetzen,
so machen sie eben mir von ihrem unanfechtbaren Besitzrechte Gebrauch. Viel¬
leicht finden die Leser uoch andre Punkte heraus, wo der schreiende Wider¬
spruch zwischen dein formalen und dem materielle!« Recht zur Ausfüllung der
Lücke und zu Eingriffen des Staates in die Gilterverteilung herausfordert.

Nachdem Rodbertus die Regelung der Gütererzeugung und -Verteilung
in seinem sozialistischen Zukunftsstaat beschrieben und zu beweisen versucht hat,
daß darin nicht der Zwang herrschen würde, sondern so vollkommene Freiheit,
als nur immer ans Erden erreichbar ist, kritisirt er nochmals den gegenwärtigen
Zustand lind liefert dabei noch einiges praktisch verwendbare Material.
Gegenwärtig, sagt er z. B. S. 1K8 ff., sind die Grund- und Kapitalbesitzer
die staatswirtschaftlicheu Beamten, die die Produktion und Verteilung zu leiten
haben. „Sie sind die gebornen, erblichen staatswirtschaftlichen Beamten, wie
früher Geburt und Erbrecht noch andre gesellschaftliche Beamte einsetzten, bis
deren »Recht« jz. B. Polizeigewalt nud Rechtspslegej — so gut einst Recht,
als heilte noch das Grund- und Kapitaleigentnm Recht ist — an der Frage
zerschellte, ob die Funktionen des Amtes besser bei Anstellung als bei Erblich¬
keit geübt würden. Die Partei, die in jüngster Zeit so oft gesagt hat »Eigen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/281>, abgerufen am 23.07.2024.