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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der deutsche Klassiker des Sozialismus

Magen so groß bleiben wie bisher, dann müssen die Portionen der Übrige:?
noch weiter verkleinert werden, und einige müssen ganz leer ausgehen. Wer
seine alte Portion behaupten will, der muß nun mehr Geld bieten, als die
Mehrzahl imstande ist, und dieses Geld muß selber ein Wertgegenstand sein,
der überall, anch im Auslande gilt, denn kein Zettel, und wäre er mit Zwaugs-
knrs ausgerüstet, wird den Viehbesitzer oder Händler bewegen, unter solchen
Umständen dafür die alte Menge Ware herzugeben. So wird also jener
Arbeiter, wenn er nicht lüderlich sein will, weniger Fleisch lausen müssen, als
er zur Wiederherstellung seiner Kräfte bedarf, und der Lohn, obwohl dem
Wortlaute nach derselbe wie vorige Woche, wird keine gerechte Vergeltung der
geleisteten Arbeit mehr sein. Wird die Produktion geregelt, wie in dem sozia¬
listischen Staate des Rodbertus, dann wird vor allem dafür gesorgt, daß in
jedem Augenblick vou jeder Art Waren die erforderliche Menge vorhanden sei,
nicht weniger, aber auch nicht viel mehr. Dann kann jedem die Menge ge¬
währt werden, die er mit seiner Arbeit verdient hat, und seinen vollen Lebens¬
unterhalt, Ersatz der zugesetzten Leibeskraft, verdient doch wohl im sittlichen
Sinne jeder, der sein volles Tagewerk nützlicher Arbeit ableistet. Der Zettel,
der die Anweisung auf die verdiente Entschädigung enthält, kann immer reali-
sirt werden, weil das Nationaleinkommen hinreicht. Heute aber, wo ins Blane
hinein produzirt wird, weiß niemand, ob nicht morgen vielleicht zu wenig
Lebensmittel und viel zu viel Strümpfe, Kleiderstoffe und Hosenknöpfe im
Lande sein werden. Wollen sich daher die Reichen nicht der Gefahr aussetzen,
bei all ihrem Reichtum ab und zu einer Hungerkur unterworfen zu werden,
so müssen sie darauf bestehen, daß das Geld nicht auf diejenige Warenmenge
anweise, zu deren Empfang eine gewisse Menge geleisteter Arbeit berechtigt,
sondern auf Gold oder Silber, oder daß es selbst Gold oder Silber sei. Sie
brauchen so uur beim Spärlichwerden des Vorrath entsprechend mehr Gold
und Silber aufzuwenden, um sich in den Besitz ihrer gewöhnlichen Portion zu
setzen, unbekümmert darum, was für die andern übrig bleibt, und geht die
Ware im Lande ganz ans, so brauchen sie nur Gold oder Silber ins Aus¬
land zu schicken, um sie von dort zu beziehen. Aus dieser Betrachtung ziehen
wir folgende Nutzanwendung: Soll es mit einem Volke nicht bergunter
gehen, so muß seiue Finanzwirtschaft der Volkswirtschaft, von der sie nur
ein Teil ist, nicht umgekehrt die Volkswirtschaft der Finanzwirtschaft
dienen. Ist nur in einem Lande Holz, Eisen, Brotkorn und Vieh in ge¬
nügender Menge vorhanden und dazu Geist und Witz, dann kann man
Eisenbahnen bauen, so viel man braucht, wenn auch nicht ein Körnchen Gold
in der Bank wäre und kein Finanzkvnsvrtium um die Bank herum säße.
Fehlen aber jene Güter, so kann zwar ein großer Vorrat von Edelmetall,
wenn man ihn opfern, ins Ausland schicken will, den Mangel ersetzen, so weit
es eben reicht, aber alle Finanzoperationen, mit denen man den Mangel zu


Der deutsche Klassiker des Sozialismus

Magen so groß bleiben wie bisher, dann müssen die Portionen der Übrige:?
noch weiter verkleinert werden, und einige müssen ganz leer ausgehen. Wer
seine alte Portion behaupten will, der muß nun mehr Geld bieten, als die
Mehrzahl imstande ist, und dieses Geld muß selber ein Wertgegenstand sein,
der überall, anch im Auslande gilt, denn kein Zettel, und wäre er mit Zwaugs-
knrs ausgerüstet, wird den Viehbesitzer oder Händler bewegen, unter solchen
Umständen dafür die alte Menge Ware herzugeben. So wird also jener
Arbeiter, wenn er nicht lüderlich sein will, weniger Fleisch lausen müssen, als
er zur Wiederherstellung seiner Kräfte bedarf, und der Lohn, obwohl dem
Wortlaute nach derselbe wie vorige Woche, wird keine gerechte Vergeltung der
geleisteten Arbeit mehr sein. Wird die Produktion geregelt, wie in dem sozia¬
listischen Staate des Rodbertus, dann wird vor allem dafür gesorgt, daß in
jedem Augenblick vou jeder Art Waren die erforderliche Menge vorhanden sei,
nicht weniger, aber auch nicht viel mehr. Dann kann jedem die Menge ge¬
währt werden, die er mit seiner Arbeit verdient hat, und seinen vollen Lebens¬
unterhalt, Ersatz der zugesetzten Leibeskraft, verdient doch wohl im sittlichen
Sinne jeder, der sein volles Tagewerk nützlicher Arbeit ableistet. Der Zettel,
der die Anweisung auf die verdiente Entschädigung enthält, kann immer reali-
sirt werden, weil das Nationaleinkommen hinreicht. Heute aber, wo ins Blane
hinein produzirt wird, weiß niemand, ob nicht morgen vielleicht zu wenig
Lebensmittel und viel zu viel Strümpfe, Kleiderstoffe und Hosenknöpfe im
Lande sein werden. Wollen sich daher die Reichen nicht der Gefahr aussetzen,
bei all ihrem Reichtum ab und zu einer Hungerkur unterworfen zu werden,
so müssen sie darauf bestehen, daß das Geld nicht auf diejenige Warenmenge
anweise, zu deren Empfang eine gewisse Menge geleisteter Arbeit berechtigt,
sondern auf Gold oder Silber, oder daß es selbst Gold oder Silber sei. Sie
brauchen so uur beim Spärlichwerden des Vorrath entsprechend mehr Gold
und Silber aufzuwenden, um sich in den Besitz ihrer gewöhnlichen Portion zu
setzen, unbekümmert darum, was für die andern übrig bleibt, und geht die
Ware im Lande ganz ans, so brauchen sie nur Gold oder Silber ins Aus¬
land zu schicken, um sie von dort zu beziehen. Aus dieser Betrachtung ziehen
wir folgende Nutzanwendung: Soll es mit einem Volke nicht bergunter
gehen, so muß seiue Finanzwirtschaft der Volkswirtschaft, von der sie nur
ein Teil ist, nicht umgekehrt die Volkswirtschaft der Finanzwirtschaft
dienen. Ist nur in einem Lande Holz, Eisen, Brotkorn und Vieh in ge¬
nügender Menge vorhanden und dazu Geist und Witz, dann kann man
Eisenbahnen bauen, so viel man braucht, wenn auch nicht ein Körnchen Gold
in der Bank wäre und kein Finanzkvnsvrtium um die Bank herum säße.
Fehlen aber jene Güter, so kann zwar ein großer Vorrat von Edelmetall,
wenn man ihn opfern, ins Ausland schicken will, den Mangel ersetzen, so weit
es eben reicht, aber alle Finanzoperationen, mit denen man den Mangel zu


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[0279] Der deutsche Klassiker des Sozialismus Magen so groß bleiben wie bisher, dann müssen die Portionen der Übrige:? noch weiter verkleinert werden, und einige müssen ganz leer ausgehen. Wer seine alte Portion behaupten will, der muß nun mehr Geld bieten, als die Mehrzahl imstande ist, und dieses Geld muß selber ein Wertgegenstand sein, der überall, anch im Auslande gilt, denn kein Zettel, und wäre er mit Zwaugs- knrs ausgerüstet, wird den Viehbesitzer oder Händler bewegen, unter solchen Umständen dafür die alte Menge Ware herzugeben. So wird also jener Arbeiter, wenn er nicht lüderlich sein will, weniger Fleisch lausen müssen, als er zur Wiederherstellung seiner Kräfte bedarf, und der Lohn, obwohl dem Wortlaute nach derselbe wie vorige Woche, wird keine gerechte Vergeltung der geleisteten Arbeit mehr sein. Wird die Produktion geregelt, wie in dem sozia¬ listischen Staate des Rodbertus, dann wird vor allem dafür gesorgt, daß in jedem Augenblick vou jeder Art Waren die erforderliche Menge vorhanden sei, nicht weniger, aber auch nicht viel mehr. Dann kann jedem die Menge ge¬ währt werden, die er mit seiner Arbeit verdient hat, und seinen vollen Lebens¬ unterhalt, Ersatz der zugesetzten Leibeskraft, verdient doch wohl im sittlichen Sinne jeder, der sein volles Tagewerk nützlicher Arbeit ableistet. Der Zettel, der die Anweisung auf die verdiente Entschädigung enthält, kann immer reali- sirt werden, weil das Nationaleinkommen hinreicht. Heute aber, wo ins Blane hinein produzirt wird, weiß niemand, ob nicht morgen vielleicht zu wenig Lebensmittel und viel zu viel Strümpfe, Kleiderstoffe und Hosenknöpfe im Lande sein werden. Wollen sich daher die Reichen nicht der Gefahr aussetzen, bei all ihrem Reichtum ab und zu einer Hungerkur unterworfen zu werden, so müssen sie darauf bestehen, daß das Geld nicht auf diejenige Warenmenge anweise, zu deren Empfang eine gewisse Menge geleisteter Arbeit berechtigt, sondern auf Gold oder Silber, oder daß es selbst Gold oder Silber sei. Sie brauchen so uur beim Spärlichwerden des Vorrath entsprechend mehr Gold und Silber aufzuwenden, um sich in den Besitz ihrer gewöhnlichen Portion zu setzen, unbekümmert darum, was für die andern übrig bleibt, und geht die Ware im Lande ganz ans, so brauchen sie nur Gold oder Silber ins Aus¬ land zu schicken, um sie von dort zu beziehen. Aus dieser Betrachtung ziehen wir folgende Nutzanwendung: Soll es mit einem Volke nicht bergunter gehen, so muß seiue Finanzwirtschaft der Volkswirtschaft, von der sie nur ein Teil ist, nicht umgekehrt die Volkswirtschaft der Finanzwirtschaft dienen. Ist nur in einem Lande Holz, Eisen, Brotkorn und Vieh in ge¬ nügender Menge vorhanden und dazu Geist und Witz, dann kann man Eisenbahnen bauen, so viel man braucht, wenn auch nicht ein Körnchen Gold in der Bank wäre und kein Finanzkvnsvrtium um die Bank herum säße. Fehlen aber jene Güter, so kann zwar ein großer Vorrat von Edelmetall, wenn man ihn opfern, ins Ausland schicken will, den Mangel ersetzen, so weit es eben reicht, aber alle Finanzoperationen, mit denen man den Mangel zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/279>, abgerufen am 23.07.2024.