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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der deutsche Klassiker des Sozialismus

schon lange nicht. Die Steine entnimmt das Dorf dem eignen Steinbruch,
den Sand dem benachbarten Flusse, die Arbeit leisten die Gemeindemitglieder
mit ihren eignen Händen und mit ihren eignen Gespannen. Warum sollte nicht
eine Eisenbahn ans ähnliche Weise gebaut werden können, wenn die beteiligte Land¬
schaft Eichenwald und Eisenwerke besitzt, wenn die Gemeinden reich genng sind,
ihren Anteil an Holz, Eisen und Werkzeugen zu liefern und die Arbeiter mit allem
notwendigen zu versorgen, wenn die geistige Arbeit von Ingenieuren geleistet wird,
die für solche Bauten angestellt sind? Bequemer für die Regierungen ist ja die
herrschende Praxis, alles mit Geld abzumachen, wobei sich niemand darum
kümmert, wie reich die Unternehmer dabei werden, und ob die Arbeiter der
verschiednen beteiligten Industriezweige auch nnr das zum Leben notwendige
bekommen; also bequemer für die Leiter des Ganzen ist das, ob aber auch
wirtschaftlicher, dem Volke heilsamer? Nehmen wir aber auch an, daß jene
-- wenn man will rohe -- Naturalwirtschaft heute nicht mehr möglich sei,
so wäre immer noch ohne Hartgeld auszukommen, und Länder, um deren
Finanzen es schlecht steht, kommen wirklich ohne solches ans. Sie zahlen mit
Papiergeld. Dieses Papiergeld ist Anweisung auf Güter und im Grunde
genommen ganz dasselbe wie die Anweisungen, durch die Rodbertus in seinem
Svzialstaat den Güterumtausch vermitteln will. Der Unterschied besteht nur
darin, daß das Papiergeld zunächst ans Hartgeld anweist; allein jeder Em¬
pfänger ist doch schon froh, wenn er nnr Ware dafür bekommt. Ob alle Staaten
imstande sein würden, ihrer Verpflichtung nachzukommen, wenn an einem Tage
alle Gulden-, Rubel-, Franks- und sonstigen Scheine zur Einlösung eingereicht
würden, das wissen die Götter. Bei dem jetzigen Zustande muß man aller¬
dings im allgemeinen verlangen, daß die Anweisungen selbst schon in einem
wertvollen Gegenstande, in Gold oder Silber bestehen oder wenigstens jeden
Augenblick in Gold oder Silber umgetauscht werden können, weil wir vor der
Hand keinen andern Maßstab für den Wert solcher Zettel kenne" (im Ideal-
staate des Rodbertus wird nach Arbeitseinheiten gerechnet), dann auch, weil
niemand verbürgen kann, daß genng Waren im Lande sind, um dem Zcttel-
inhaber so viel davon verschaffen zu können, als der Nennwert des Zettels
nach dem heutigen Preisstande besagt.

Nehmen wir an, ein Mann habe Sonnabends zwanzig Mark Wochenlohn
bekommen. Diese Summe entspreche nach dein bisherigen Preisstande genau
dem Werte seiner geleisteten Arbeit. Er berechne nun, daß er dafür sechs
Pfund Rindfleisch zu drei Mark für die sechs Wochentage, drei Pfund Schweine¬
fleisch zum Sonntagsbraten zu einer Mark fünfzig Pfennige, ein Kilo Butter
zu einer Mark n. s. w. kaufen werde. Nun zeigt es sich aber an demselben
Sonnabend auf den großstädtischen Märkten, daß nicht genug Vieh im Lande
ist, um den Bedarf in dem bisherigen Maße zu befriedigen; es kommen kleinere
Portionen auf jeden Magen, und sollen die Portionen für eine Anzahl von


Der deutsche Klassiker des Sozialismus

schon lange nicht. Die Steine entnimmt das Dorf dem eignen Steinbruch,
den Sand dem benachbarten Flusse, die Arbeit leisten die Gemeindemitglieder
mit ihren eignen Händen und mit ihren eignen Gespannen. Warum sollte nicht
eine Eisenbahn ans ähnliche Weise gebaut werden können, wenn die beteiligte Land¬
schaft Eichenwald und Eisenwerke besitzt, wenn die Gemeinden reich genng sind,
ihren Anteil an Holz, Eisen und Werkzeugen zu liefern und die Arbeiter mit allem
notwendigen zu versorgen, wenn die geistige Arbeit von Ingenieuren geleistet wird,
die für solche Bauten angestellt sind? Bequemer für die Regierungen ist ja die
herrschende Praxis, alles mit Geld abzumachen, wobei sich niemand darum
kümmert, wie reich die Unternehmer dabei werden, und ob die Arbeiter der
verschiednen beteiligten Industriezweige auch nnr das zum Leben notwendige
bekommen; also bequemer für die Leiter des Ganzen ist das, ob aber auch
wirtschaftlicher, dem Volke heilsamer? Nehmen wir aber auch an, daß jene
— wenn man will rohe — Naturalwirtschaft heute nicht mehr möglich sei,
so wäre immer noch ohne Hartgeld auszukommen, und Länder, um deren
Finanzen es schlecht steht, kommen wirklich ohne solches ans. Sie zahlen mit
Papiergeld. Dieses Papiergeld ist Anweisung auf Güter und im Grunde
genommen ganz dasselbe wie die Anweisungen, durch die Rodbertus in seinem
Svzialstaat den Güterumtausch vermitteln will. Der Unterschied besteht nur
darin, daß das Papiergeld zunächst ans Hartgeld anweist; allein jeder Em¬
pfänger ist doch schon froh, wenn er nnr Ware dafür bekommt. Ob alle Staaten
imstande sein würden, ihrer Verpflichtung nachzukommen, wenn an einem Tage
alle Gulden-, Rubel-, Franks- und sonstigen Scheine zur Einlösung eingereicht
würden, das wissen die Götter. Bei dem jetzigen Zustande muß man aller¬
dings im allgemeinen verlangen, daß die Anweisungen selbst schon in einem
wertvollen Gegenstande, in Gold oder Silber bestehen oder wenigstens jeden
Augenblick in Gold oder Silber umgetauscht werden können, weil wir vor der
Hand keinen andern Maßstab für den Wert solcher Zettel kenne» (im Ideal-
staate des Rodbertus wird nach Arbeitseinheiten gerechnet), dann auch, weil
niemand verbürgen kann, daß genng Waren im Lande sind, um dem Zcttel-
inhaber so viel davon verschaffen zu können, als der Nennwert des Zettels
nach dem heutigen Preisstande besagt.

Nehmen wir an, ein Mann habe Sonnabends zwanzig Mark Wochenlohn
bekommen. Diese Summe entspreche nach dein bisherigen Preisstande genau
dem Werte seiner geleisteten Arbeit. Er berechne nun, daß er dafür sechs
Pfund Rindfleisch zu drei Mark für die sechs Wochentage, drei Pfund Schweine¬
fleisch zum Sonntagsbraten zu einer Mark fünfzig Pfennige, ein Kilo Butter
zu einer Mark n. s. w. kaufen werde. Nun zeigt es sich aber an demselben
Sonnabend auf den großstädtischen Märkten, daß nicht genug Vieh im Lande
ist, um den Bedarf in dem bisherigen Maße zu befriedigen; es kommen kleinere
Portionen auf jeden Magen, und sollen die Portionen für eine Anzahl von


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[0278] Der deutsche Klassiker des Sozialismus schon lange nicht. Die Steine entnimmt das Dorf dem eignen Steinbruch, den Sand dem benachbarten Flusse, die Arbeit leisten die Gemeindemitglieder mit ihren eignen Händen und mit ihren eignen Gespannen. Warum sollte nicht eine Eisenbahn ans ähnliche Weise gebaut werden können, wenn die beteiligte Land¬ schaft Eichenwald und Eisenwerke besitzt, wenn die Gemeinden reich genng sind, ihren Anteil an Holz, Eisen und Werkzeugen zu liefern und die Arbeiter mit allem notwendigen zu versorgen, wenn die geistige Arbeit von Ingenieuren geleistet wird, die für solche Bauten angestellt sind? Bequemer für die Regierungen ist ja die herrschende Praxis, alles mit Geld abzumachen, wobei sich niemand darum kümmert, wie reich die Unternehmer dabei werden, und ob die Arbeiter der verschiednen beteiligten Industriezweige auch nnr das zum Leben notwendige bekommen; also bequemer für die Leiter des Ganzen ist das, ob aber auch wirtschaftlicher, dem Volke heilsamer? Nehmen wir aber auch an, daß jene — wenn man will rohe — Naturalwirtschaft heute nicht mehr möglich sei, so wäre immer noch ohne Hartgeld auszukommen, und Länder, um deren Finanzen es schlecht steht, kommen wirklich ohne solches ans. Sie zahlen mit Papiergeld. Dieses Papiergeld ist Anweisung auf Güter und im Grunde genommen ganz dasselbe wie die Anweisungen, durch die Rodbertus in seinem Svzialstaat den Güterumtausch vermitteln will. Der Unterschied besteht nur darin, daß das Papiergeld zunächst ans Hartgeld anweist; allein jeder Em¬ pfänger ist doch schon froh, wenn er nnr Ware dafür bekommt. Ob alle Staaten imstande sein würden, ihrer Verpflichtung nachzukommen, wenn an einem Tage alle Gulden-, Rubel-, Franks- und sonstigen Scheine zur Einlösung eingereicht würden, das wissen die Götter. Bei dem jetzigen Zustande muß man aller¬ dings im allgemeinen verlangen, daß die Anweisungen selbst schon in einem wertvollen Gegenstande, in Gold oder Silber bestehen oder wenigstens jeden Augenblick in Gold oder Silber umgetauscht werden können, weil wir vor der Hand keinen andern Maßstab für den Wert solcher Zettel kenne» (im Ideal- staate des Rodbertus wird nach Arbeitseinheiten gerechnet), dann auch, weil niemand verbürgen kann, daß genng Waren im Lande sind, um dem Zcttel- inhaber so viel davon verschaffen zu können, als der Nennwert des Zettels nach dem heutigen Preisstande besagt. Nehmen wir an, ein Mann habe Sonnabends zwanzig Mark Wochenlohn bekommen. Diese Summe entspreche nach dein bisherigen Preisstande genau dem Werte seiner geleisteten Arbeit. Er berechne nun, daß er dafür sechs Pfund Rindfleisch zu drei Mark für die sechs Wochentage, drei Pfund Schweine¬ fleisch zum Sonntagsbraten zu einer Mark fünfzig Pfennige, ein Kilo Butter zu einer Mark n. s. w. kaufen werde. Nun zeigt es sich aber an demselben Sonnabend auf den großstädtischen Märkten, daß nicht genug Vieh im Lande ist, um den Bedarf in dem bisherigen Maße zu befriedigen; es kommen kleinere Portionen auf jeden Magen, und sollen die Portionen für eine Anzahl von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/278>, abgerufen am 23.07.2024.