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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Unteroffizierprämien

folgerung. Das, was der Leutnant für sein späteres Amt braucht, lernt
er in den fünfzehn Jahren seiner Lentnantszeit gründlich genug; was darüber
ist, das ist von Übel. Denn genau in demselben Maße, wie man ihn dauernd
zwingt, subalterne Dienstverrichtungen zu versehen, sinkt seine dienstliche Stufe,
verliert er die Lust, die Fähigkeit und die Zeit, sich wissenschaftlich fortzu¬
bilden, während doch die wissenschaftliche Fortbildung ein unumgängliches
Erfordernis für jeden Offizier ist, der seinen Posten ausfüllen soll. Leider
ist schon der gewöhnliche Offiziersdienst heutzutage so anstrengend, daß es
überhaupt nur den glücklicher angelegten Naturen gelingt, sich von seinem
ermüdenden Einfluß frei zu halten; aber auch deren Zahl würde nnter un¬
günstigeren Verhältnissen noch mehr zusammenschrumpfen.

Es ist also kein Zweifel, daß der Unteroffiziermangcl eine ernste Gefahr
für das Heer bedeutet. Wie aber ist ihm vorzubeugen? Am sichersten gewiß
durch Beseitigung der ihn hervorrufenden Ursachen. Sie können aber zweierlei
Art sein. Entweder hat sich die Lage der Unteroffiziere gegen früher verschlechtert,
sodaß die Volkskreise, aus denen der Ersatz bisher hervorging, keine Veranlassung
mehr haben, diese Stellung zu erstreben, oder -- die Gesinnung der erwähnten
Kreise hat sich geändert, sodaß ihnen die Verhältnisse nicht mehr genügen.

Das erste kann nicht der Fall sein; im Gegenteil, es geschieht für die
Unteroffiziere jetzt ganz gewiß mehr als vorher. Nie sind so viel Unter¬
offiziere in guten Zivilanstelluugeu untergebracht worden, nie hat man so viel
durch Einrichtung von Unterofsizierkasinos, -Lesezimmern, -Speiseanstalten,
-Wohnungen sür sie gesorgt wie gegenwärtig. Auch der Umstand, daß der
Sold der Unteroffiziere nicht im Verhältnis zu den verteuerten Lebensbedürf-
nissen gestiegen ist, dürfte keinen großen Einfluß ausüben. Leben doch die
Unteroffiziere, wenigstens die Mehrzahl der Unverheirateten, in Umständen, die sie
nicht allzu viel von diesem freilich nicht zu leugnenden Übelstande verspüren lassen.
Wohnung, Beköstigung und Bekleidung wird ihnen unter ganz denselben Be¬
dingungen geliefert als vor zehn oder zwanzig Jahren.

So bleibt als Hauptursache des Mangels um Unteroffizieren nur die
Änderung der Gesinnung in den Volksschichten, aus denen sie bisher hervor¬
gingen, und dies ist in der That nicht schwer nachzuweisen. Nicht bloß in
dieser Beziehung, sondern in vielen andern noch laßt sich erkennen, daß der
militärische Sinn unserm Volke mehr und mehr zu schwinden droht. Immer
höher steigt die Sucht nach schrankenlosen materiellen Genuß, immer seltener
wird die Hingebung an strenge, uneigennützige Pflichterfüllung. Daß dem
Unteroffizier später eine ehrenvolle Stellung im bürgerlichen Leben winkt, ist
der heutigen Jugend gleichgiltig. Sie will möglichst früh und möglichst aus¬
giebig genießen, alle Beschränkungen des Genusses sind ihr ein Greuel, sie
erscheinen ihr im militärischen Leben umso unerträglicher, als dort nicht einmal
klingender Lohn sie mildert.


Die Unteroffizierprämien

folgerung. Das, was der Leutnant für sein späteres Amt braucht, lernt
er in den fünfzehn Jahren seiner Lentnantszeit gründlich genug; was darüber
ist, das ist von Übel. Denn genau in demselben Maße, wie man ihn dauernd
zwingt, subalterne Dienstverrichtungen zu versehen, sinkt seine dienstliche Stufe,
verliert er die Lust, die Fähigkeit und die Zeit, sich wissenschaftlich fortzu¬
bilden, während doch die wissenschaftliche Fortbildung ein unumgängliches
Erfordernis für jeden Offizier ist, der seinen Posten ausfüllen soll. Leider
ist schon der gewöhnliche Offiziersdienst heutzutage so anstrengend, daß es
überhaupt nur den glücklicher angelegten Naturen gelingt, sich von seinem
ermüdenden Einfluß frei zu halten; aber auch deren Zahl würde nnter un¬
günstigeren Verhältnissen noch mehr zusammenschrumpfen.

Es ist also kein Zweifel, daß der Unteroffiziermangcl eine ernste Gefahr
für das Heer bedeutet. Wie aber ist ihm vorzubeugen? Am sichersten gewiß
durch Beseitigung der ihn hervorrufenden Ursachen. Sie können aber zweierlei
Art sein. Entweder hat sich die Lage der Unteroffiziere gegen früher verschlechtert,
sodaß die Volkskreise, aus denen der Ersatz bisher hervorging, keine Veranlassung
mehr haben, diese Stellung zu erstreben, oder — die Gesinnung der erwähnten
Kreise hat sich geändert, sodaß ihnen die Verhältnisse nicht mehr genügen.

Das erste kann nicht der Fall sein; im Gegenteil, es geschieht für die
Unteroffiziere jetzt ganz gewiß mehr als vorher. Nie sind so viel Unter¬
offiziere in guten Zivilanstelluugeu untergebracht worden, nie hat man so viel
durch Einrichtung von Unterofsizierkasinos, -Lesezimmern, -Speiseanstalten,
-Wohnungen sür sie gesorgt wie gegenwärtig. Auch der Umstand, daß der
Sold der Unteroffiziere nicht im Verhältnis zu den verteuerten Lebensbedürf-
nissen gestiegen ist, dürfte keinen großen Einfluß ausüben. Leben doch die
Unteroffiziere, wenigstens die Mehrzahl der Unverheirateten, in Umständen, die sie
nicht allzu viel von diesem freilich nicht zu leugnenden Übelstande verspüren lassen.
Wohnung, Beköstigung und Bekleidung wird ihnen unter ganz denselben Be¬
dingungen geliefert als vor zehn oder zwanzig Jahren.

So bleibt als Hauptursache des Mangels um Unteroffizieren nur die
Änderung der Gesinnung in den Volksschichten, aus denen sie bisher hervor¬
gingen, und dies ist in der That nicht schwer nachzuweisen. Nicht bloß in
dieser Beziehung, sondern in vielen andern noch laßt sich erkennen, daß der
militärische Sinn unserm Volke mehr und mehr zu schwinden droht. Immer
höher steigt die Sucht nach schrankenlosen materiellen Genuß, immer seltener
wird die Hingebung an strenge, uneigennützige Pflichterfüllung. Daß dem
Unteroffizier später eine ehrenvolle Stellung im bürgerlichen Leben winkt, ist
der heutigen Jugend gleichgiltig. Sie will möglichst früh und möglichst aus¬
giebig genießen, alle Beschränkungen des Genusses sind ihr ein Greuel, sie
erscheinen ihr im militärischen Leben umso unerträglicher, als dort nicht einmal
klingender Lohn sie mildert.


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[0239] Die Unteroffizierprämien folgerung. Das, was der Leutnant für sein späteres Amt braucht, lernt er in den fünfzehn Jahren seiner Lentnantszeit gründlich genug; was darüber ist, das ist von Übel. Denn genau in demselben Maße, wie man ihn dauernd zwingt, subalterne Dienstverrichtungen zu versehen, sinkt seine dienstliche Stufe, verliert er die Lust, die Fähigkeit und die Zeit, sich wissenschaftlich fortzu¬ bilden, während doch die wissenschaftliche Fortbildung ein unumgängliches Erfordernis für jeden Offizier ist, der seinen Posten ausfüllen soll. Leider ist schon der gewöhnliche Offiziersdienst heutzutage so anstrengend, daß es überhaupt nur den glücklicher angelegten Naturen gelingt, sich von seinem ermüdenden Einfluß frei zu halten; aber auch deren Zahl würde nnter un¬ günstigeren Verhältnissen noch mehr zusammenschrumpfen. Es ist also kein Zweifel, daß der Unteroffiziermangcl eine ernste Gefahr für das Heer bedeutet. Wie aber ist ihm vorzubeugen? Am sichersten gewiß durch Beseitigung der ihn hervorrufenden Ursachen. Sie können aber zweierlei Art sein. Entweder hat sich die Lage der Unteroffiziere gegen früher verschlechtert, sodaß die Volkskreise, aus denen der Ersatz bisher hervorging, keine Veranlassung mehr haben, diese Stellung zu erstreben, oder — die Gesinnung der erwähnten Kreise hat sich geändert, sodaß ihnen die Verhältnisse nicht mehr genügen. Das erste kann nicht der Fall sein; im Gegenteil, es geschieht für die Unteroffiziere jetzt ganz gewiß mehr als vorher. Nie sind so viel Unter¬ offiziere in guten Zivilanstelluugeu untergebracht worden, nie hat man so viel durch Einrichtung von Unterofsizierkasinos, -Lesezimmern, -Speiseanstalten, -Wohnungen sür sie gesorgt wie gegenwärtig. Auch der Umstand, daß der Sold der Unteroffiziere nicht im Verhältnis zu den verteuerten Lebensbedürf- nissen gestiegen ist, dürfte keinen großen Einfluß ausüben. Leben doch die Unteroffiziere, wenigstens die Mehrzahl der Unverheirateten, in Umständen, die sie nicht allzu viel von diesem freilich nicht zu leugnenden Übelstande verspüren lassen. Wohnung, Beköstigung und Bekleidung wird ihnen unter ganz denselben Be¬ dingungen geliefert als vor zehn oder zwanzig Jahren. So bleibt als Hauptursache des Mangels um Unteroffizieren nur die Änderung der Gesinnung in den Volksschichten, aus denen sie bisher hervor¬ gingen, und dies ist in der That nicht schwer nachzuweisen. Nicht bloß in dieser Beziehung, sondern in vielen andern noch laßt sich erkennen, daß der militärische Sinn unserm Volke mehr und mehr zu schwinden droht. Immer höher steigt die Sucht nach schrankenlosen materiellen Genuß, immer seltener wird die Hingebung an strenge, uneigennützige Pflichterfüllung. Daß dem Unteroffizier später eine ehrenvolle Stellung im bürgerlichen Leben winkt, ist der heutigen Jugend gleichgiltig. Sie will möglichst früh und möglichst aus¬ giebig genießen, alle Beschränkungen des Genusses sind ihr ein Greuel, sie erscheinen ihr im militärischen Leben umso unerträglicher, als dort nicht einmal klingender Lohn sie mildert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/239>, abgerufen am 23.07.2024.