Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das allgemeine Wahlrecht

Das Gesetz vom 8. April bezeichnet in der Geschichte der Preußische"
Wahlgesetzgebung bereits den Höhepunkt, von dem es erst langsam, dann
schnell wieder bergab ging. Nachdem auf Grund jenes Gesetzes die Ernennung
der Wahlmänner am I.Mai, die der Abgeordneten am 8. stattgefunden hatte,
wurde ,,die Versammlung zur Vereinbarung der preußische" Verfassung" ans
den 22. nach Berlin berufen. Aber die Erwartungen, die mau auf sie gesetzt
hatte, sollten sich nicht erfüllen, und am 5. Dezember löste die Regierung die
Versammlung ans, um eine Verfassung zu "oktroyiren." Am folgenden
Tage erschien das zu dieser Verfassung gehörige Wahlgesetz, das sich dadurch
von seinem Vorgänger unterschied, daß eS die unselbständigen blassen, d. h. die
Dienstboten, von deu Wahlen ausschloß. Im übrigen blieben die Vorschriften
des frühern Gesetzes noch bestehen, obwohl für die gleichzeitig in Aussicht
genommene Erste Kammer von den Wählern außer der Vollendung des
dreißigsten Lebensjahres ein Zensns von 8 Thalern oder ein Grundbesitz im
Werte von 5000 Thalern oder ein nachweisbares Jahreseinkommen von
500 Thalern gefordert wurde.

Schon am 27. April 1849 erfolgte die Auflösung oder Vertagung der
auf Grund dieses Gesetzes gebildeten und um 2V. Februar eröffneten Kammern;
darauf erschien am 30. Mai abermals ein "vktrvyirtes" Wahlgesetz, das von
den Grundsätzen seiner beiden Vorgänger wesentliche Teile über Bord geworfen
hatte: an die Stelle der geheimen Abstimmung trat die öffentliche, u"d außer¬
dem sollten die Ilrwähler ans Grund der von ihnen entrichteten Staatsstenern
in drei Klassen eingeteilt werde". Die nach diesen Bestimmungen gewählten
Kammern traten am 7. August 184'.) zusammen und vereinbarten mit der
Negierung die Verfassungsurkunde, die am 31. Januar 1850 als Stantsgrund-
gesetz erschien. 5? 70 desselben lautet: "Jeder Preuße, welcher das fttnfuudzwanzigste
Lebensjahr vollendet hat und in der Gemeinde, in welcher er seineu Wohnsitz
hat, die Befähigung zu den Gemeindewahlen besitzt, ist stimmberechtigter Wähler."
Hierdurch erlitt daS allgemeine Wahlrecht einen empfindlichen Stoß, insofern
eine große Anzahl von Personen, die nicht zu den "unselbständigen" Klassen
gehörten, von den Wahlen ferngehalten wurde. Zu diesem Stoße fügte der
folgende Paragraph einen noch schwereren hinzu: "Die Urwähler werden nach
Maßgabe der von ihnen zu entrichtenden direkten Staatssteuern in drei Ab¬
teilungen geteilt, und zwar in der Art, daß ans jede Abteilung ein Drittel der
Gesamtsumme der Steuerbeträge aller UrWähler füllt. . . . Jede Abteilung
wählt besonders und zwar ein Drittel der zu wählenden Wahlmänner."

Damit ist für Preußen die Geschichte des Wahlrechtes einstweilen zu Ende;
der Grundsatz des allgemeinen Wahlrechtes war unterlegen, aber der Staat
selbst siegreich aus den Gefahren der Revolution hervorgegangen. Im Reiche
nahmen die Dinge den umgekehrten Weg.

Am 5. März 1848 verscnnmelteu sich in Heidelberg Männer aus ver-


Das allgemeine Wahlrecht

Das Gesetz vom 8. April bezeichnet in der Geschichte der Preußische»
Wahlgesetzgebung bereits den Höhepunkt, von dem es erst langsam, dann
schnell wieder bergab ging. Nachdem auf Grund jenes Gesetzes die Ernennung
der Wahlmänner am I.Mai, die der Abgeordneten am 8. stattgefunden hatte,
wurde ,,die Versammlung zur Vereinbarung der preußische» Verfassung" ans
den 22. nach Berlin berufen. Aber die Erwartungen, die mau auf sie gesetzt
hatte, sollten sich nicht erfüllen, und am 5. Dezember löste die Regierung die
Versammlung ans, um eine Verfassung zu „oktroyiren." Am folgenden
Tage erschien das zu dieser Verfassung gehörige Wahlgesetz, das sich dadurch
von seinem Vorgänger unterschied, daß eS die unselbständigen blassen, d. h. die
Dienstboten, von deu Wahlen ausschloß. Im übrigen blieben die Vorschriften
des frühern Gesetzes noch bestehen, obwohl für die gleichzeitig in Aussicht
genommene Erste Kammer von den Wählern außer der Vollendung des
dreißigsten Lebensjahres ein Zensns von 8 Thalern oder ein Grundbesitz im
Werte von 5000 Thalern oder ein nachweisbares Jahreseinkommen von
500 Thalern gefordert wurde.

Schon am 27. April 1849 erfolgte die Auflösung oder Vertagung der
auf Grund dieses Gesetzes gebildeten und um 2V. Februar eröffneten Kammern;
darauf erschien am 30. Mai abermals ein „vktrvyirtes" Wahlgesetz, das von
den Grundsätzen seiner beiden Vorgänger wesentliche Teile über Bord geworfen
hatte: an die Stelle der geheimen Abstimmung trat die öffentliche, u»d außer¬
dem sollten die Ilrwähler ans Grund der von ihnen entrichteten Staatsstenern
in drei Klassen eingeteilt werde». Die nach diesen Bestimmungen gewählten
Kammern traten am 7. August 184'.) zusammen und vereinbarten mit der
Negierung die Verfassungsurkunde, die am 31. Januar 1850 als Stantsgrund-
gesetz erschien. 5? 70 desselben lautet: „Jeder Preuße, welcher das fttnfuudzwanzigste
Lebensjahr vollendet hat und in der Gemeinde, in welcher er seineu Wohnsitz
hat, die Befähigung zu den Gemeindewahlen besitzt, ist stimmberechtigter Wähler."
Hierdurch erlitt daS allgemeine Wahlrecht einen empfindlichen Stoß, insofern
eine große Anzahl von Personen, die nicht zu den „unselbständigen" Klassen
gehörten, von den Wahlen ferngehalten wurde. Zu diesem Stoße fügte der
folgende Paragraph einen noch schwereren hinzu: „Die Urwähler werden nach
Maßgabe der von ihnen zu entrichtenden direkten Staatssteuern in drei Ab¬
teilungen geteilt, und zwar in der Art, daß ans jede Abteilung ein Drittel der
Gesamtsumme der Steuerbeträge aller UrWähler füllt. . . . Jede Abteilung
wählt besonders und zwar ein Drittel der zu wählenden Wahlmänner."

Damit ist für Preußen die Geschichte des Wahlrechtes einstweilen zu Ende;
der Grundsatz des allgemeinen Wahlrechtes war unterlegen, aber der Staat
selbst siegreich aus den Gefahren der Revolution hervorgegangen. Im Reiche
nahmen die Dinge den umgekehrten Weg.

Am 5. März 1848 verscnnmelteu sich in Heidelberg Männer aus ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0211" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208790"/>
          <fw type="header" place="top"> Das allgemeine Wahlrecht</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_585"> Das Gesetz vom 8. April bezeichnet in der Geschichte der Preußische»<lb/>
Wahlgesetzgebung bereits den Höhepunkt, von dem es erst langsam, dann<lb/>
schnell wieder bergab ging. Nachdem auf Grund jenes Gesetzes die Ernennung<lb/>
der Wahlmänner am I.Mai, die der Abgeordneten am 8. stattgefunden hatte,<lb/>
wurde ,,die Versammlung zur Vereinbarung der preußische» Verfassung" ans<lb/>
den 22. nach Berlin berufen. Aber die Erwartungen, die mau auf sie gesetzt<lb/>
hatte, sollten sich nicht erfüllen, und am 5. Dezember löste die Regierung die<lb/>
Versammlung ans, um eine Verfassung zu &#x201E;oktroyiren." Am folgenden<lb/>
Tage erschien das zu dieser Verfassung gehörige Wahlgesetz, das sich dadurch<lb/>
von seinem Vorgänger unterschied, daß eS die unselbständigen blassen, d. h. die<lb/>
Dienstboten, von deu Wahlen ausschloß. Im übrigen blieben die Vorschriften<lb/>
des frühern Gesetzes noch bestehen, obwohl für die gleichzeitig in Aussicht<lb/>
genommene Erste Kammer von den Wählern außer der Vollendung des<lb/>
dreißigsten Lebensjahres ein Zensns von 8 Thalern oder ein Grundbesitz im<lb/>
Werte von 5000 Thalern oder ein nachweisbares Jahreseinkommen von<lb/>
500 Thalern gefordert wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_586"> Schon am 27. April 1849 erfolgte die Auflösung oder Vertagung der<lb/>
auf Grund dieses Gesetzes gebildeten und um 2V. Februar eröffneten Kammern;<lb/>
darauf erschien am 30. Mai abermals ein &#x201E;vktrvyirtes" Wahlgesetz, das von<lb/>
den Grundsätzen seiner beiden Vorgänger wesentliche Teile über Bord geworfen<lb/>
hatte: an die Stelle der geheimen Abstimmung trat die öffentliche, u»d außer¬<lb/>
dem sollten die Ilrwähler ans Grund der von ihnen entrichteten Staatsstenern<lb/>
in drei Klassen eingeteilt werde». Die nach diesen Bestimmungen gewählten<lb/>
Kammern traten am 7. August 184'.) zusammen und vereinbarten mit der<lb/>
Negierung die Verfassungsurkunde, die am 31. Januar 1850 als Stantsgrund-<lb/>
gesetz erschien. 5? 70 desselben lautet: &#x201E;Jeder Preuße, welcher das fttnfuudzwanzigste<lb/>
Lebensjahr vollendet hat und in der Gemeinde, in welcher er seineu Wohnsitz<lb/>
hat, die Befähigung zu den Gemeindewahlen besitzt, ist stimmberechtigter Wähler."<lb/>
Hierdurch erlitt daS allgemeine Wahlrecht einen empfindlichen Stoß, insofern<lb/>
eine große Anzahl von Personen, die nicht zu den &#x201E;unselbständigen" Klassen<lb/>
gehörten, von den Wahlen ferngehalten wurde. Zu diesem Stoße fügte der<lb/>
folgende Paragraph einen noch schwereren hinzu: &#x201E;Die Urwähler werden nach<lb/>
Maßgabe der von ihnen zu entrichtenden direkten Staatssteuern in drei Ab¬<lb/>
teilungen geteilt, und zwar in der Art, daß ans jede Abteilung ein Drittel der<lb/>
Gesamtsumme der Steuerbeträge aller UrWähler füllt. . . . Jede Abteilung<lb/>
wählt besonders und zwar ein Drittel der zu wählenden Wahlmänner."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_587"> Damit ist für Preußen die Geschichte des Wahlrechtes einstweilen zu Ende;<lb/>
der Grundsatz des allgemeinen Wahlrechtes war unterlegen, aber der Staat<lb/>
selbst siegreich aus den Gefahren der Revolution hervorgegangen. Im Reiche<lb/>
nahmen die Dinge den umgekehrten Weg.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_588" next="#ID_589"> Am 5. März 1848 verscnnmelteu sich in Heidelberg Männer aus ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0211] Das allgemeine Wahlrecht Das Gesetz vom 8. April bezeichnet in der Geschichte der Preußische» Wahlgesetzgebung bereits den Höhepunkt, von dem es erst langsam, dann schnell wieder bergab ging. Nachdem auf Grund jenes Gesetzes die Ernennung der Wahlmänner am I.Mai, die der Abgeordneten am 8. stattgefunden hatte, wurde ,,die Versammlung zur Vereinbarung der preußische» Verfassung" ans den 22. nach Berlin berufen. Aber die Erwartungen, die mau auf sie gesetzt hatte, sollten sich nicht erfüllen, und am 5. Dezember löste die Regierung die Versammlung ans, um eine Verfassung zu „oktroyiren." Am folgenden Tage erschien das zu dieser Verfassung gehörige Wahlgesetz, das sich dadurch von seinem Vorgänger unterschied, daß eS die unselbständigen blassen, d. h. die Dienstboten, von deu Wahlen ausschloß. Im übrigen blieben die Vorschriften des frühern Gesetzes noch bestehen, obwohl für die gleichzeitig in Aussicht genommene Erste Kammer von den Wählern außer der Vollendung des dreißigsten Lebensjahres ein Zensns von 8 Thalern oder ein Grundbesitz im Werte von 5000 Thalern oder ein nachweisbares Jahreseinkommen von 500 Thalern gefordert wurde. Schon am 27. April 1849 erfolgte die Auflösung oder Vertagung der auf Grund dieses Gesetzes gebildeten und um 2V. Februar eröffneten Kammern; darauf erschien am 30. Mai abermals ein „vktrvyirtes" Wahlgesetz, das von den Grundsätzen seiner beiden Vorgänger wesentliche Teile über Bord geworfen hatte: an die Stelle der geheimen Abstimmung trat die öffentliche, u»d außer¬ dem sollten die Ilrwähler ans Grund der von ihnen entrichteten Staatsstenern in drei Klassen eingeteilt werde». Die nach diesen Bestimmungen gewählten Kammern traten am 7. August 184'.) zusammen und vereinbarten mit der Negierung die Verfassungsurkunde, die am 31. Januar 1850 als Stantsgrund- gesetz erschien. 5? 70 desselben lautet: „Jeder Preuße, welcher das fttnfuudzwanzigste Lebensjahr vollendet hat und in der Gemeinde, in welcher er seineu Wohnsitz hat, die Befähigung zu den Gemeindewahlen besitzt, ist stimmberechtigter Wähler." Hierdurch erlitt daS allgemeine Wahlrecht einen empfindlichen Stoß, insofern eine große Anzahl von Personen, die nicht zu den „unselbständigen" Klassen gehörten, von den Wahlen ferngehalten wurde. Zu diesem Stoße fügte der folgende Paragraph einen noch schwereren hinzu: „Die Urwähler werden nach Maßgabe der von ihnen zu entrichtenden direkten Staatssteuern in drei Ab¬ teilungen geteilt, und zwar in der Art, daß ans jede Abteilung ein Drittel der Gesamtsumme der Steuerbeträge aller UrWähler füllt. . . . Jede Abteilung wählt besonders und zwar ein Drittel der zu wählenden Wahlmänner." Damit ist für Preußen die Geschichte des Wahlrechtes einstweilen zu Ende; der Grundsatz des allgemeinen Wahlrechtes war unterlegen, aber der Staat selbst siegreich aus den Gefahren der Revolution hervorgegangen. Im Reiche nahmen die Dinge den umgekehrten Weg. Am 5. März 1848 verscnnmelteu sich in Heidelberg Männer aus ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/211
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/211>, abgerufen am 23.07.2024.