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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Kenntnisse und welche Art der Verwertung und Anwendung dieser Kenntnisse
sie voraussetzt, darüber dürften die meisten Lehrer, die jetzt so laut ihre Stimme
erheben, nicht die geringste Kunde haben, während umgekehrt uns Richtern
eine Einsicht in das, was der Lehrer zu thun hat, um Unterricht zu erteilen,
sehr wohl möglich ist. Bei Bemessung des Gehaltes verdient wohl auch der
Umstand Berücksichtigung, daß der Lehrer zehn Wochen Ferien, also fast ein
Fünftel des Jahres ganz freie Zeit hat, während der Richter nur einen Monat
zur Erholung erhält, um nach Ablauf dieser kurzen Muße oft alles nacharbeiten
zu müssen, was die doch nicht stillstehenden Rechtsgeschäfte inzwischen auf¬
gehäuft haben.

Bei diesen Darlegungen habe ich mich derjenigen Sachlichkeit befleißigt,
die mir mein Streben nach Erhaltung eines möglichst guten Einvernehmens
des Jnristenstnndes mit dem Lehrerstande nahe legen muß. Ich beklage es
aufrichtig, daß ein Teil unsrer jüngern Lehrer jahrelang auf feste Anstellung
warten und dann an einzelnen Orten mit einem geradezu erbärmlichen Gehalt
sich begnügen muß. Das sind Zustände, die der Abhilfe dringend bedürfen.
Und wie sollte ich es dem frühern Universitätsfreunde nicht gönnen, wenn er
in seinem Alter wirklich einen Gehalt bezieht, der ebenso hoch oder annähernd
so hoch ist, wie der eines ergrauten Amts- oder Landgerichtsrath, selbst ohne
daß gleichzeitig der Gehalt des Richters darüber hinaus erhöht würde! Was
mir aber die Feder jetzt in die Hand gedrückt hat, das ist die immer wieder
hervortretende Verquickung der Sache mit einem, wie ich gezeigt zu haben
glaube, nicht sachgemäßen Streben, den Lehrerstand in Bezug auf die ganze
Stellung im Staate unbedingt gerade dem Nichtertum gleichgeordnet zu wissen.
Ich meine, daß diese Auffassung mindestens eine recht zweifelhafte sei und
daß sie, sowie sie sich nach ihrem wahren Wesen jetzt durch die Verwertung
der mit den Haaren herbeigezogenen Ausdrücke "Schulrefereudar" und "Schul-
assesfvr" in nicht mißzuverstehender Weise geltend macht, der Lehrersache keinen
Dienst leiste, daß aber auch der Juristenstand, als die andre Seite, umso
mehr Veranlassung habe, einer so äußerlichen Behandlung der Frage öffentlich
entgegenzutreten; es hätte sonst den Anschein, als wäre über eine gewisser¬
maßen so "selbstverständliche," in den Augen "aller Gebildeten" schon längst
"erledigte" Sache gar kein Wort weiter zu verlieren. Wenn die Gymnasial¬
lehrer, anstatt bestimmte auskömmliche Gehaltssätze zu fordern, immer und
immer so auftreten, als ob bei der ganzen Sache die Etikettenfrage den Haupt¬
punkt bildete, und also weniger das eigne Bedürfnis als den Mißmut mit der
Stellung andrer betonen, und wenn hierbei, Ums bisher klüglicherweise unter¬
blieben war, auch für die höhern Stellen des Schulfaches die logischen Folge¬
rungen gezogen und die Rangverhältnisse der höchsten Verwaltungsbeamten
mit in Betracht genommen werden, so dürfte den ganzen Bestrebungen damit
nur ein Hindernis bereitet werden. Vielleicht wäre es besser, daß man sich


Kenntnisse und welche Art der Verwertung und Anwendung dieser Kenntnisse
sie voraussetzt, darüber dürften die meisten Lehrer, die jetzt so laut ihre Stimme
erheben, nicht die geringste Kunde haben, während umgekehrt uns Richtern
eine Einsicht in das, was der Lehrer zu thun hat, um Unterricht zu erteilen,
sehr wohl möglich ist. Bei Bemessung des Gehaltes verdient wohl auch der
Umstand Berücksichtigung, daß der Lehrer zehn Wochen Ferien, also fast ein
Fünftel des Jahres ganz freie Zeit hat, während der Richter nur einen Monat
zur Erholung erhält, um nach Ablauf dieser kurzen Muße oft alles nacharbeiten
zu müssen, was die doch nicht stillstehenden Rechtsgeschäfte inzwischen auf¬
gehäuft haben.

Bei diesen Darlegungen habe ich mich derjenigen Sachlichkeit befleißigt,
die mir mein Streben nach Erhaltung eines möglichst guten Einvernehmens
des Jnristenstnndes mit dem Lehrerstande nahe legen muß. Ich beklage es
aufrichtig, daß ein Teil unsrer jüngern Lehrer jahrelang auf feste Anstellung
warten und dann an einzelnen Orten mit einem geradezu erbärmlichen Gehalt
sich begnügen muß. Das sind Zustände, die der Abhilfe dringend bedürfen.
Und wie sollte ich es dem frühern Universitätsfreunde nicht gönnen, wenn er
in seinem Alter wirklich einen Gehalt bezieht, der ebenso hoch oder annähernd
so hoch ist, wie der eines ergrauten Amts- oder Landgerichtsrath, selbst ohne
daß gleichzeitig der Gehalt des Richters darüber hinaus erhöht würde! Was
mir aber die Feder jetzt in die Hand gedrückt hat, das ist die immer wieder
hervortretende Verquickung der Sache mit einem, wie ich gezeigt zu haben
glaube, nicht sachgemäßen Streben, den Lehrerstand in Bezug auf die ganze
Stellung im Staate unbedingt gerade dem Nichtertum gleichgeordnet zu wissen.
Ich meine, daß diese Auffassung mindestens eine recht zweifelhafte sei und
daß sie, sowie sie sich nach ihrem wahren Wesen jetzt durch die Verwertung
der mit den Haaren herbeigezogenen Ausdrücke „Schulrefereudar" und „Schul-
assesfvr" in nicht mißzuverstehender Weise geltend macht, der Lehrersache keinen
Dienst leiste, daß aber auch der Juristenstand, als die andre Seite, umso
mehr Veranlassung habe, einer so äußerlichen Behandlung der Frage öffentlich
entgegenzutreten; es hätte sonst den Anschein, als wäre über eine gewisser¬
maßen so „selbstverständliche," in den Augen „aller Gebildeten" schon längst
„erledigte" Sache gar kein Wort weiter zu verlieren. Wenn die Gymnasial¬
lehrer, anstatt bestimmte auskömmliche Gehaltssätze zu fordern, immer und
immer so auftreten, als ob bei der ganzen Sache die Etikettenfrage den Haupt¬
punkt bildete, und also weniger das eigne Bedürfnis als den Mißmut mit der
Stellung andrer betonen, und wenn hierbei, Ums bisher klüglicherweise unter¬
blieben war, auch für die höhern Stellen des Schulfaches die logischen Folge¬
rungen gezogen und die Rangverhältnisse der höchsten Verwaltungsbeamten
mit in Betracht genommen werden, so dürfte den ganzen Bestrebungen damit
nur ein Hindernis bereitet werden. Vielleicht wäre es besser, daß man sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/173>, abgerufen am 23.07.2024.