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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Wünsche des höhern Lehrerstandes in Pronßen

Staatsgewalt entspricht, zu dessen Ausübung der betreffende Beamte berufen
ist? Wenn man in dieser Beziehung das Amt des Richters betrachtet, dessen, der
"im Namen des Königs" über Recht und Unrecht zu Gericht sitzt, über Gut, Ehre,
Freiheit und Leben aller Staatsangehörigen bis zu den höchsten Spitzen des
gauzen Beamtentums hinauf zu walten hat (man denke an den Prozeß gegen den
Grafen Arnim), der in dieser Hinsicht nicht bloß, wie unter Umstände,: jeder
Polizeidiener, irgend welche obrigkeitliche Handlungen verrichtet, sondern, da
selbst gegen Entscheidungen der höchsten Verwaltungsbeamten der Verwaltungs¬
rechtsweg offensteht, einen Teil der höchsten obrigkeitlichen Gewalt in sich
vereinigt, so muß man doch des Verstündniffes sür die Aufgaben des modernen
Staates, des politischen Sinnes, noch uicht vollständig teilhaftig fein, wenn
man schlankweg die Ausbildung der Jugend in nützlichen Kenntnissen für
politisch gleichbedeutend erklären will. Der Umstand, daß in manchen neuern,
von Vertretern der philosophischen Fakultät verfaßten Lustspielen ein noch
junger "Doktor der Philosophie" die Hauptperson im Staate, namentlich in
einem Kleinstaat der "Freund des Fürsten" wird, kann daran nichts andern.
Ebenso wenig die Erwägung, daß ähnliches sich in Wirklichkeit irgendwo er¬
eignen kann. Der einfachste UrWähler, auch wenn er nicht Geschworener oder
Schöffe war, dürfte das begreifen und es gar nicht verstehen, wenn man dem
Richter nicht ein größeres staatliches Ansehen zugestehen wollte, als dem
Lehrer. In England, wo die Verfassung sich zweifellos auf der Grundlage nüch¬
ternen politischen Verständnisses für die Bedürfnisse des Gemeinwesens allmählich
aufgebaut hat, legt man dem Richter als einem Staatswürdenträger den Rang
eines Lords und einen äußerst hohen Gehalt bei, der dem eines preußischen
Ministers gleichkommt oder es überschreitet, was allerdings Wohl nur durch
die größere Entwicklung des Einzelrichteramtes und durch die Abtrennung
eines großen Teiles der Nichterthütigkeit im preußischen Sinne von dem eigent¬
lichen Richtertum und Zuweisung an die Selbstverwaltung (Friedensrichter)
ermöglicht ist. Ich glaube zwar, daß unsre deutsch-preußischen Einrichtungen
besser seien, weil sie die größere Gewähr bieten, daß die Rechtspflege wirklich
nach Recht und Gesetz erfolgt. Immerhin giebt der englische Zustand dem,
der sich darüber belehren will, wie denn, politisch betrachtet, das Verlangen
der preußischen Lehrer nach unbedingter Gleichstellung gerade mit den Richtern
auszusagen sei, reiflich zu denken. Dazu kommt, daß die Thätigkeit der Rechts¬
pflege doch einen größern Aufwand geistiger Kräfte beansprucht als das Lehrer¬
amt. Das Unterrichten mag reicher sein an Verdrießlichkeiten mit einer nn-
geberdigen Jugend, als das Rechtsprecher und die sonstige Rechtspflege im
Verkehr mit dem auch oft recht ungebildeten und unbändigen Publikum;
mühseliger aber, als wie sich das Richternmt bei oft vielstündigen Verhandeln
mit den Parteien, Zeugen und Angeklagten gestaltet, ist das Lehramt gewiß
nicht. Und wie eigentlich die Thätigkeit des Richters beschaffen ist, welche


Die Wünsche des höhern Lehrerstandes in Pronßen

Staatsgewalt entspricht, zu dessen Ausübung der betreffende Beamte berufen
ist? Wenn man in dieser Beziehung das Amt des Richters betrachtet, dessen, der
„im Namen des Königs" über Recht und Unrecht zu Gericht sitzt, über Gut, Ehre,
Freiheit und Leben aller Staatsangehörigen bis zu den höchsten Spitzen des
gauzen Beamtentums hinauf zu walten hat (man denke an den Prozeß gegen den
Grafen Arnim), der in dieser Hinsicht nicht bloß, wie unter Umstände,: jeder
Polizeidiener, irgend welche obrigkeitliche Handlungen verrichtet, sondern, da
selbst gegen Entscheidungen der höchsten Verwaltungsbeamten der Verwaltungs¬
rechtsweg offensteht, einen Teil der höchsten obrigkeitlichen Gewalt in sich
vereinigt, so muß man doch des Verstündniffes sür die Aufgaben des modernen
Staates, des politischen Sinnes, noch uicht vollständig teilhaftig fein, wenn
man schlankweg die Ausbildung der Jugend in nützlichen Kenntnissen für
politisch gleichbedeutend erklären will. Der Umstand, daß in manchen neuern,
von Vertretern der philosophischen Fakultät verfaßten Lustspielen ein noch
junger „Doktor der Philosophie" die Hauptperson im Staate, namentlich in
einem Kleinstaat der „Freund des Fürsten" wird, kann daran nichts andern.
Ebenso wenig die Erwägung, daß ähnliches sich in Wirklichkeit irgendwo er¬
eignen kann. Der einfachste UrWähler, auch wenn er nicht Geschworener oder
Schöffe war, dürfte das begreifen und es gar nicht verstehen, wenn man dem
Richter nicht ein größeres staatliches Ansehen zugestehen wollte, als dem
Lehrer. In England, wo die Verfassung sich zweifellos auf der Grundlage nüch¬
ternen politischen Verständnisses für die Bedürfnisse des Gemeinwesens allmählich
aufgebaut hat, legt man dem Richter als einem Staatswürdenträger den Rang
eines Lords und einen äußerst hohen Gehalt bei, der dem eines preußischen
Ministers gleichkommt oder es überschreitet, was allerdings Wohl nur durch
die größere Entwicklung des Einzelrichteramtes und durch die Abtrennung
eines großen Teiles der Nichterthütigkeit im preußischen Sinne von dem eigent¬
lichen Richtertum und Zuweisung an die Selbstverwaltung (Friedensrichter)
ermöglicht ist. Ich glaube zwar, daß unsre deutsch-preußischen Einrichtungen
besser seien, weil sie die größere Gewähr bieten, daß die Rechtspflege wirklich
nach Recht und Gesetz erfolgt. Immerhin giebt der englische Zustand dem,
der sich darüber belehren will, wie denn, politisch betrachtet, das Verlangen
der preußischen Lehrer nach unbedingter Gleichstellung gerade mit den Richtern
auszusagen sei, reiflich zu denken. Dazu kommt, daß die Thätigkeit der Rechts¬
pflege doch einen größern Aufwand geistiger Kräfte beansprucht als das Lehrer¬
amt. Das Unterrichten mag reicher sein an Verdrießlichkeiten mit einer nn-
geberdigen Jugend, als das Rechtsprecher und die sonstige Rechtspflege im
Verkehr mit dem auch oft recht ungebildeten und unbändigen Publikum;
mühseliger aber, als wie sich das Richternmt bei oft vielstündigen Verhandeln
mit den Parteien, Zeugen und Angeklagten gestaltet, ist das Lehramt gewiß
nicht. Und wie eigentlich die Thätigkeit des Richters beschaffen ist, welche


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[0172] Die Wünsche des höhern Lehrerstandes in Pronßen Staatsgewalt entspricht, zu dessen Ausübung der betreffende Beamte berufen ist? Wenn man in dieser Beziehung das Amt des Richters betrachtet, dessen, der „im Namen des Königs" über Recht und Unrecht zu Gericht sitzt, über Gut, Ehre, Freiheit und Leben aller Staatsangehörigen bis zu den höchsten Spitzen des gauzen Beamtentums hinauf zu walten hat (man denke an den Prozeß gegen den Grafen Arnim), der in dieser Hinsicht nicht bloß, wie unter Umstände,: jeder Polizeidiener, irgend welche obrigkeitliche Handlungen verrichtet, sondern, da selbst gegen Entscheidungen der höchsten Verwaltungsbeamten der Verwaltungs¬ rechtsweg offensteht, einen Teil der höchsten obrigkeitlichen Gewalt in sich vereinigt, so muß man doch des Verstündniffes sür die Aufgaben des modernen Staates, des politischen Sinnes, noch uicht vollständig teilhaftig fein, wenn man schlankweg die Ausbildung der Jugend in nützlichen Kenntnissen für politisch gleichbedeutend erklären will. Der Umstand, daß in manchen neuern, von Vertretern der philosophischen Fakultät verfaßten Lustspielen ein noch junger „Doktor der Philosophie" die Hauptperson im Staate, namentlich in einem Kleinstaat der „Freund des Fürsten" wird, kann daran nichts andern. Ebenso wenig die Erwägung, daß ähnliches sich in Wirklichkeit irgendwo er¬ eignen kann. Der einfachste UrWähler, auch wenn er nicht Geschworener oder Schöffe war, dürfte das begreifen und es gar nicht verstehen, wenn man dem Richter nicht ein größeres staatliches Ansehen zugestehen wollte, als dem Lehrer. In England, wo die Verfassung sich zweifellos auf der Grundlage nüch¬ ternen politischen Verständnisses für die Bedürfnisse des Gemeinwesens allmählich aufgebaut hat, legt man dem Richter als einem Staatswürdenträger den Rang eines Lords und einen äußerst hohen Gehalt bei, der dem eines preußischen Ministers gleichkommt oder es überschreitet, was allerdings Wohl nur durch die größere Entwicklung des Einzelrichteramtes und durch die Abtrennung eines großen Teiles der Nichterthütigkeit im preußischen Sinne von dem eigent¬ lichen Richtertum und Zuweisung an die Selbstverwaltung (Friedensrichter) ermöglicht ist. Ich glaube zwar, daß unsre deutsch-preußischen Einrichtungen besser seien, weil sie die größere Gewähr bieten, daß die Rechtspflege wirklich nach Recht und Gesetz erfolgt. Immerhin giebt der englische Zustand dem, der sich darüber belehren will, wie denn, politisch betrachtet, das Verlangen der preußischen Lehrer nach unbedingter Gleichstellung gerade mit den Richtern auszusagen sei, reiflich zu denken. Dazu kommt, daß die Thätigkeit der Rechts¬ pflege doch einen größern Aufwand geistiger Kräfte beansprucht als das Lehrer¬ amt. Das Unterrichten mag reicher sein an Verdrießlichkeiten mit einer nn- geberdigen Jugend, als das Rechtsprecher und die sonstige Rechtspflege im Verkehr mit dem auch oft recht ungebildeten und unbändigen Publikum; mühseliger aber, als wie sich das Richternmt bei oft vielstündigen Verhandeln mit den Parteien, Zeugen und Angeklagten gestaltet, ist das Lehramt gewiß nicht. Und wie eigentlich die Thätigkeit des Richters beschaffen ist, welche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/172>, abgerufen am 23.07.2024.