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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Das allgemeine Wahlrecht

Siehos das aktive Wahlrecht von gewisse" Bedingungen abhängig mache"
wollte; daß er a"es die Wählbarkeit bestimmten Einschränkungen unterwarf,
ergiebt sich ans einer andern Stelle, wo er als wahlfähige Klassen die be¬
zeichnet, denen "eine gewisse Wohlhabenheit erlaube, eine freie Erziehung zu
empfangen und sich für die öffentlichen Angelegenheiten zu interessiren."
Übrigens steht es fest, daß die Septemberverfassung des Jahres 1791 unter
seinein maßgebenden Einfluß zustande gekommen ist, sodaß sich deutliche
Spuren seiner Gedanken in ihr wiederfinden. Ich führe deshalb den auf
"usem Gegenstand bezüglichen Artikel der Konstitution wörtlich an: ?our t'orinor
I'iWömdlvv nationale is^isIMvo, lo" vno^vns aotits so ronniront tons los
cloux an" on ".ssoindloos xrimairos clans los vitio" ot clans los oanton".
Die neugierige Frage, waS mau unter einem Aktivbürger zu verstehen habe,
wird in der Konstitution selbst beantwortet: I^our vero vno^on aotil, it lant:
Stre in! on avocat Vranyals; vero <lo 23 ans "voomM8; ßtre clomioili"
clam8 ur vitio on clans 1o cantor; xg-^or uns vontrilmtion äirooto an irioin"
og'als a la valsnr as trois ^onrnvvs 6o lravÄl; n' se,ro pas clans un alö
tlomestivitö; otro ivsorit an Mo clos FsrÄos aationalss; avoir nrZto 1<z ssrmont
viole>no. Fassen wir die wesentlichen Punkte dieser Bestimmungen zusammen,
so erhalten wir das Urwählerrecht für jede" dreiundzwanzigjährigen Franzose",
der in einer Gemeinde ansässig ist, nicht im Dienstbotenverhültnis steht und
eine direkte Steuer entrichtet. Diese Steuer war indessen so niedrig, daß sie
jeder tüchtige Arbeiter bezahle" konnte, u"d das Geschrei, das die Radikale"
über sie als el"e Verletzung der "Menschenrechte" erhoben, war jedenfalls
unbegründet. Denn wie wenig jene Einschränkung in Wirklichkeit bedeutete,
geht ans der Thatsache hervor, daß es trotz jenem Zensus in den" damalige"
Frankreich über vier Millionen UrWähler gab.

Des aktiven Bürgerrechtes wurden die für verlustig erklärt, die sich in
offenbarer Insolvenz befänden oder wegen eines Verbrechens angeklagt oder
verurteilt wären, Bestimmungen, die in ähnlicher Form in die "leisten mo¬
dernen Verfassungen übergegangen sind. Ein andrer Artikel bezeichnete sämt¬
liche Aktivbürger als befähigt, zu Abgeordnete" gewählt zu werde"; umsomehr
aber muß man sich darüber wniidern, daß für die Wahlmänner ein höherer
Zensns vorgeschrieben wurde. Diese seltsame und widerspruchsvolle Forderung
war ein Streich Robespierres. Ursprünglich hatte nämlich die Verfassung
für die Abgeordneten, nicht für die Wahlmänner eine" Zensus festgesetzt; als
nun darauf die Ernennung der Wahlmänner ohne Zensus vollzogen war,
brachte Robespierre durch Überrumpelung und Drohung eine Abänderung hin¬
ein, wonach der für die Abgeordneten vorgeschriebene Zensns beseitigt u"d auf
die Wahlmcnmer übertrage" wurde. Sobald ihm dieser Schritt geglückt war,
that er de" zweiten und setzte durch, daß "ausnahmsweise" die ohne Zensns
gewählten Wahlmcmner die Abgeordneten ernennen durften.


Das allgemeine Wahlrecht

Siehos das aktive Wahlrecht von gewisse» Bedingungen abhängig mache»
wollte; daß er a»es die Wählbarkeit bestimmten Einschränkungen unterwarf,
ergiebt sich ans einer andern Stelle, wo er als wahlfähige Klassen die be¬
zeichnet, denen „eine gewisse Wohlhabenheit erlaube, eine freie Erziehung zu
empfangen und sich für die öffentlichen Angelegenheiten zu interessiren."
Übrigens steht es fest, daß die Septemberverfassung des Jahres 1791 unter
seinein maßgebenden Einfluß zustande gekommen ist, sodaß sich deutliche
Spuren seiner Gedanken in ihr wiederfinden. Ich führe deshalb den auf
»usem Gegenstand bezüglichen Artikel der Konstitution wörtlich an: ?our t'orinor
I'iWömdlvv nationale is^isIMvo, lo» vno^vns aotits so ronniront tons los
cloux an» on «.ssoindloos xrimairos clans los vitio» ot clans los oanton».
Die neugierige Frage, waS mau unter einem Aktivbürger zu verstehen habe,
wird in der Konstitution selbst beantwortet: I^our vero vno^on aotil, it lant:
Stre in! on avocat Vranyals; vero <lo 23 ans »voomM8; ßtre clomioili«
clam8 ur vitio on clans 1o cantor; xg-^or uns vontrilmtion äirooto an irioin»
og'als a la valsnr as trois ^onrnvvs 6o lravÄl; n' se,ro pas clans un alö
tlomestivitö; otro ivsorit an Mo clos FsrÄos aationalss; avoir nrZto 1<z ssrmont
viole>no. Fassen wir die wesentlichen Punkte dieser Bestimmungen zusammen,
so erhalten wir das Urwählerrecht für jede» dreiundzwanzigjährigen Franzose»,
der in einer Gemeinde ansässig ist, nicht im Dienstbotenverhültnis steht und
eine direkte Steuer entrichtet. Diese Steuer war indessen so niedrig, daß sie
jeder tüchtige Arbeiter bezahle» konnte, u»d das Geschrei, das die Radikale»
über sie als el»e Verletzung der „Menschenrechte" erhoben, war jedenfalls
unbegründet. Denn wie wenig jene Einschränkung in Wirklichkeit bedeutete,
geht ans der Thatsache hervor, daß es trotz jenem Zensus in den» damalige»
Frankreich über vier Millionen UrWähler gab.

Des aktiven Bürgerrechtes wurden die für verlustig erklärt, die sich in
offenbarer Insolvenz befänden oder wegen eines Verbrechens angeklagt oder
verurteilt wären, Bestimmungen, die in ähnlicher Form in die »leisten mo¬
dernen Verfassungen übergegangen sind. Ein andrer Artikel bezeichnete sämt¬
liche Aktivbürger als befähigt, zu Abgeordnete» gewählt zu werde»; umsomehr
aber muß man sich darüber wniidern, daß für die Wahlmänner ein höherer
Zensns vorgeschrieben wurde. Diese seltsame und widerspruchsvolle Forderung
war ein Streich Robespierres. Ursprünglich hatte nämlich die Verfassung
für die Abgeordneten, nicht für die Wahlmänner eine» Zensus festgesetzt; als
nun darauf die Ernennung der Wahlmänner ohne Zensus vollzogen war,
brachte Robespierre durch Überrumpelung und Drohung eine Abänderung hin¬
ein, wonach der für die Abgeordneten vorgeschriebene Zensns beseitigt u»d auf
die Wahlmcnmer übertrage» wurde. Sobald ihm dieser Schritt geglückt war,
that er de» zweiten und setzte durch, daß „ausnahmsweise" die ohne Zensns
gewählten Wahlmcmner die Abgeordneten ernennen durften.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/156>, abgerufen am 23.07.2024.