Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.Walde" der Gottheit. Das Ziel der Darstellung ist daher zwar in ihrem Aber das Drama gewinnt allmählich größere Selbständigkeit. Will es Walde» der Gottheit. Das Ziel der Darstellung ist daher zwar in ihrem Aber das Drama gewinnt allmählich größere Selbständigkeit. Will es <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0124" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208703"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_338" prev="#ID_337"> Walde» der Gottheit. Das Ziel der Darstellung ist daher zwar in ihrem<lb/> Verlaufe die tiefste Erregung menschlichen Mitgefühles, am Ende der Handlung<lb/> aber fromme Erkenntnis des Willens der Gottheit und Fügung in ihren Willen.<lb/> So steht am Schlüsse der Trilogie nicht ein weltverwcrfender Mißklang, son¬<lb/> dern die Aussöhnung und die Ergebung des menschlichen Begehrens in das<lb/> göttliche Wolle». Noch überwiegt der religiöse Charakter der Auffassung. Es<lb/> tritt das auch darin hervor, daß, wenn die Gottheit während der Einzel¬<lb/> handlungen meist uur unsichtbar zugegen gewesen ist, sie am Schluß in ihrer<lb/> Erhabenheit als die ordnende, die Welt wieder in ihre Fugen lenkende Macht<lb/> erscheint. Ein solches persönliches Eingreifen der Gottheit ist somit nicht nur<lb/> erklärlich, es ist vielmehr das Selbstverständliche und Natürliche, wenn die<lb/> Handlung sich in der Tempelvvrhallc selbst oder in der von dem wirklichen<lb/> Tempel abgelösten, aber im Bewußtsein der Gemeinde diesen heiligen Raum<lb/> nachbildenden Räumlichkeit abspielt. In dem wirklich vorhandenen oder doch<lb/> hinter der Szenenwand vorausgesetzte» Tempelräume wohnt die Gottheit selbst;<lb/> in dem Giebelfelde erscheint sie im Bilde, wie sie ihr Walten ausübt, und<lb/> wenn in der Nachbildung der Tempelvorhalle diese leibhaftigen Gestaltungen<lb/> fehlten, so schwebte die Gottheit unsichtbar um den Raum, der durch den Opfer¬<lb/> altar geheiligt und als Aubetuugsstätte der Gottheit geweiht war. In solchem<lb/> Zusammenhange wäre es erstaunlicher, wenn der tous ox miwlium nicht auf¬<lb/> getreten wäre, als daß er thatsächlich häusig erscheint und die Ordnung der<lb/> Dinge wieder herstellt.</p><lb/> <p xml:id="ID_339" next="#ID_340"> Aber das Drama gewinnt allmählich größere Selbständigkeit. Will es<lb/> ursprünglich im Hörer die fromme Stimmung erwecken, die aus der Erkenntnis<lb/> des wohlthätigen Waltens der Gottheit entsteht, so wird mit dem Herein¬<lb/> bringe» des lyrischen Elementes in das epische das Ziel des Dichters allmählich<lb/> ein andres. So lange das lhrische Element von dem Chor, also von Personen<lb/> vertreten wurde, die an dem Schicksal der Hauptperson mir betrachtend teil¬<lb/> nahmen, konnte es gerade dazu dienen, immer wieder uns das Walten der<lb/> Gottheit hinzuweisen und durch alle das Leiden des einzelnen Menschen auf¬<lb/> wühlenden Stürme diesen Grundgedanken durchführen. Sobald aber das lhrische<lb/> Element in den Handelnden und leitenden Personen selbst Naum gewinnt, geht<lb/> bei ihnen dieser Grundgedanke in dem eignen Leid nnter, dessen das Mitgefühl<lb/> herausfordernder Charakter dadurch die Oberhand gewinnt, lind dieses Mit¬<lb/> gefühl bei dem Hörer zu erwecke» wird »um das Hniiptziel des Dichters; das<lb/> ästhetische Ziel, die künstlerische Wirkung tritt in den Vordergrund, ohne daß<lb/> deshalb die religiöse Stimmung unvertreten und unausgesprochen bliebe. Das<lb/> menschliche Mitgefühl wird aber gerade dann am besten erreicht, wenn das<lb/> Einzelschicksal in seiner ganzen Wucht empfunden, wenn es nicht als Glied<lb/> eines größer» Ganzen, dem es zu dienen hat, zurückgedrängt wird. Das<lb/> Eiuzelschicksal, mit dem wir um seiner selbst willen und unbehelligt durch den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0124]
Walde» der Gottheit. Das Ziel der Darstellung ist daher zwar in ihrem
Verlaufe die tiefste Erregung menschlichen Mitgefühles, am Ende der Handlung
aber fromme Erkenntnis des Willens der Gottheit und Fügung in ihren Willen.
So steht am Schlüsse der Trilogie nicht ein weltverwcrfender Mißklang, son¬
dern die Aussöhnung und die Ergebung des menschlichen Begehrens in das
göttliche Wolle». Noch überwiegt der religiöse Charakter der Auffassung. Es
tritt das auch darin hervor, daß, wenn die Gottheit während der Einzel¬
handlungen meist uur unsichtbar zugegen gewesen ist, sie am Schluß in ihrer
Erhabenheit als die ordnende, die Welt wieder in ihre Fugen lenkende Macht
erscheint. Ein solches persönliches Eingreifen der Gottheit ist somit nicht nur
erklärlich, es ist vielmehr das Selbstverständliche und Natürliche, wenn die
Handlung sich in der Tempelvvrhallc selbst oder in der von dem wirklichen
Tempel abgelösten, aber im Bewußtsein der Gemeinde diesen heiligen Raum
nachbildenden Räumlichkeit abspielt. In dem wirklich vorhandenen oder doch
hinter der Szenenwand vorausgesetzte» Tempelräume wohnt die Gottheit selbst;
in dem Giebelfelde erscheint sie im Bilde, wie sie ihr Walten ausübt, und
wenn in der Nachbildung der Tempelvorhalle diese leibhaftigen Gestaltungen
fehlten, so schwebte die Gottheit unsichtbar um den Raum, der durch den Opfer¬
altar geheiligt und als Aubetuugsstätte der Gottheit geweiht war. In solchem
Zusammenhange wäre es erstaunlicher, wenn der tous ox miwlium nicht auf¬
getreten wäre, als daß er thatsächlich häusig erscheint und die Ordnung der
Dinge wieder herstellt.
Aber das Drama gewinnt allmählich größere Selbständigkeit. Will es
ursprünglich im Hörer die fromme Stimmung erwecken, die aus der Erkenntnis
des wohlthätigen Waltens der Gottheit entsteht, so wird mit dem Herein¬
bringe» des lyrischen Elementes in das epische das Ziel des Dichters allmählich
ein andres. So lange das lhrische Element von dem Chor, also von Personen
vertreten wurde, die an dem Schicksal der Hauptperson mir betrachtend teil¬
nahmen, konnte es gerade dazu dienen, immer wieder uns das Walten der
Gottheit hinzuweisen und durch alle das Leiden des einzelnen Menschen auf¬
wühlenden Stürme diesen Grundgedanken durchführen. Sobald aber das lhrische
Element in den Handelnden und leitenden Personen selbst Naum gewinnt, geht
bei ihnen dieser Grundgedanke in dem eignen Leid nnter, dessen das Mitgefühl
herausfordernder Charakter dadurch die Oberhand gewinnt, lind dieses Mit¬
gefühl bei dem Hörer zu erwecke» wird »um das Hniiptziel des Dichters; das
ästhetische Ziel, die künstlerische Wirkung tritt in den Vordergrund, ohne daß
deshalb die religiöse Stimmung unvertreten und unausgesprochen bliebe. Das
menschliche Mitgefühl wird aber gerade dann am besten erreicht, wenn das
Einzelschicksal in seiner ganzen Wucht empfunden, wenn es nicht als Glied
eines größer» Ganzen, dem es zu dienen hat, zurückgedrängt wird. Das
Eiuzelschicksal, mit dem wir um seiner selbst willen und unbehelligt durch den
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