Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Konkordat von 1801 besteht keüi innerer Zusammenhang. Zu einer
thatsächlichen vertragsmäßigen Auseinandersetzung ist die Sache nur in den
Niederlanden gekommen. Dort ist auf Grund von Art. 17 des dort geltenden
Konkordates vou 1801 am 18. Juni 1827 eine Vereinbarung zwischen König
Wilhelm I. und Papst Leo XII. getroffen worden, wonach im Falle der Er¬
ledigung eines erzbischöflichen oder bischöflichen Stuhles das Kapitel der ver¬
waisten Kirche dem König eine Liste von Kandidaten vorlegen soll, aus der
der König die ihm nicht genehmen Namen dem Kapitel bezeichnet, das hierauf
diese Namen streicht. Die Liste wird ergänzt, wenn die zur Wahl nötige Zahl
von Namen nicht mehr vorhanden ist. Das Kapitel nimmt dann die Wahl
vor und unterbreitet sie dem Papste, der die kanonische Institution erteilt oder
verweigert und eine Neuwahl anordnet. Damit schien endlich ein ordentliches
Abkommen der Kurie mit einem protestantischen Fürsten erzielt zu sein; aber
bei der ersten Handhabung bewährte sich die Einrichtung nicht, und 1840
und 1841 verständigte man sich im Haag mit der Kurie dahin, daß man von
der Ausführung des Vertrages von 1827 absehen und sich mit Ernennung
von Bischöfen in x-rrtibn8 inliclelnmi begnügen wolle. Da wurde plötzlich eine
päpstliche Allvlutiou vom 7. März 1853 veröffentlicht, worin der Papst die
Absicht aussprach, die alten Bischofssitze wiederherzustellen, was gleich darauf
durch ein Breve geschah. Das Ministerium Thorbecke erklärte nur die Form
dieses Vorgehens beanstanden zu können; es mußte dem allgemeinen Unwillen
geopfert werden. Aber die Nachfolger konnten an der Sache auch nichts mehr
ändern. Ganz eigentümlich und ohne zur Lösung der vorliegenden Frage
zu führen, haben sich die Verhältnisse im Großherzogtum Luxemburg gestaltet.
Luxemburg war 1801 dem Bistum Metz zugeteilt worden, 1822 dein Bistum
Namur; die Bnndesfestuug wurde jedoch wegen deren Beziehungen zum deutschen
Bunde und dn dort auch nicht die belgische Verfassung galt, abgetrennt und
unter einem apostolischen Vikar selbständig verwaltet, dessen Jurisdiktion sich
nach der Londoner Konferenz von 183!" ans das ganze Grvßherzvgtum er¬
streckte, worauf der Sprengel 1842 zum apostolischen Viluriat erhoben wurde.
Mehr als fünfzehn Jahre lang wurden bald in Rom bald im Haag Versuche ge¬
macht, für Luxemburg ein Konkordat herzustellen; die Versuche blieben erfolglos.
Die römischen Forderungen dem kleinen Lande gegenüber waren maßlos. Rom
hat die damalige Unsicherheit der Verhältnisse benutzt, indem es einen geheimen
Kvnsistvrialbeschluß vom 27. Juni 1870, Luxemburg aus dem Zustande der
Mission herauszubringen und zum Bistum zu machen, durch Breve vom
27. September 1870 ohne Zustimmung der Regierung bestätigte. Durch Erlaß
des Delegaten Bianchi im Haag vom 7. November 1870, der jedoch in den
Kirchen erst am 29. Jnnncir 1871 veröffentlicht worden ist, wurde das Breve
vollzogen. Die Regierung genehmigte nachträglich diesen Handstreich der Kurie
durch Gesetz vom 30. April nud Dekret vom' 23. Juni 1873. Formell aber


dem Konkordat von 1801 besteht keüi innerer Zusammenhang. Zu einer
thatsächlichen vertragsmäßigen Auseinandersetzung ist die Sache nur in den
Niederlanden gekommen. Dort ist auf Grund von Art. 17 des dort geltenden
Konkordates vou 1801 am 18. Juni 1827 eine Vereinbarung zwischen König
Wilhelm I. und Papst Leo XII. getroffen worden, wonach im Falle der Er¬
ledigung eines erzbischöflichen oder bischöflichen Stuhles das Kapitel der ver¬
waisten Kirche dem König eine Liste von Kandidaten vorlegen soll, aus der
der König die ihm nicht genehmen Namen dem Kapitel bezeichnet, das hierauf
diese Namen streicht. Die Liste wird ergänzt, wenn die zur Wahl nötige Zahl
von Namen nicht mehr vorhanden ist. Das Kapitel nimmt dann die Wahl
vor und unterbreitet sie dem Papste, der die kanonische Institution erteilt oder
verweigert und eine Neuwahl anordnet. Damit schien endlich ein ordentliches
Abkommen der Kurie mit einem protestantischen Fürsten erzielt zu sein; aber
bei der ersten Handhabung bewährte sich die Einrichtung nicht, und 1840
und 1841 verständigte man sich im Haag mit der Kurie dahin, daß man von
der Ausführung des Vertrages von 1827 absehen und sich mit Ernennung
von Bischöfen in x-rrtibn8 inliclelnmi begnügen wolle. Da wurde plötzlich eine
päpstliche Allvlutiou vom 7. März 1853 veröffentlicht, worin der Papst die
Absicht aussprach, die alten Bischofssitze wiederherzustellen, was gleich darauf
durch ein Breve geschah. Das Ministerium Thorbecke erklärte nur die Form
dieses Vorgehens beanstanden zu können; es mußte dem allgemeinen Unwillen
geopfert werden. Aber die Nachfolger konnten an der Sache auch nichts mehr
ändern. Ganz eigentümlich und ohne zur Lösung der vorliegenden Frage
zu führen, haben sich die Verhältnisse im Großherzogtum Luxemburg gestaltet.
Luxemburg war 1801 dem Bistum Metz zugeteilt worden, 1822 dein Bistum
Namur; die Bnndesfestuug wurde jedoch wegen deren Beziehungen zum deutschen
Bunde und dn dort auch nicht die belgische Verfassung galt, abgetrennt und
unter einem apostolischen Vikar selbständig verwaltet, dessen Jurisdiktion sich
nach der Londoner Konferenz von 183!» ans das ganze Grvßherzvgtum er¬
streckte, worauf der Sprengel 1842 zum apostolischen Viluriat erhoben wurde.
Mehr als fünfzehn Jahre lang wurden bald in Rom bald im Haag Versuche ge¬
macht, für Luxemburg ein Konkordat herzustellen; die Versuche blieben erfolglos.
Die römischen Forderungen dem kleinen Lande gegenüber waren maßlos. Rom
hat die damalige Unsicherheit der Verhältnisse benutzt, indem es einen geheimen
Kvnsistvrialbeschluß vom 27. Juni 1870, Luxemburg aus dem Zustande der
Mission herauszubringen und zum Bistum zu machen, durch Breve vom
27. September 1870 ohne Zustimmung der Regierung bestätigte. Durch Erlaß
des Delegaten Bianchi im Haag vom 7. November 1870, der jedoch in den
Kirchen erst am 29. Jnnncir 1871 veröffentlicht worden ist, wurde das Breve
vollzogen. Die Regierung genehmigte nachträglich diesen Handstreich der Kurie
durch Gesetz vom 30. April nud Dekret vom' 23. Juni 1873. Formell aber


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0119" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208698"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_327" prev="#ID_326" next="#ID_328"> dem Konkordat von 1801 besteht keüi innerer Zusammenhang. Zu einer<lb/>
thatsächlichen vertragsmäßigen Auseinandersetzung ist die Sache nur in den<lb/>
Niederlanden gekommen. Dort ist auf Grund von Art. 17 des dort geltenden<lb/>
Konkordates vou 1801 am 18. Juni 1827 eine Vereinbarung zwischen König<lb/>
Wilhelm I. und Papst Leo XII. getroffen worden, wonach im Falle der Er¬<lb/>
ledigung eines erzbischöflichen oder bischöflichen Stuhles das Kapitel der ver¬<lb/>
waisten Kirche dem König eine Liste von Kandidaten vorlegen soll, aus der<lb/>
der König die ihm nicht genehmen Namen dem Kapitel bezeichnet, das hierauf<lb/>
diese Namen streicht. Die Liste wird ergänzt, wenn die zur Wahl nötige Zahl<lb/>
von Namen nicht mehr vorhanden ist. Das Kapitel nimmt dann die Wahl<lb/>
vor und unterbreitet sie dem Papste, der die kanonische Institution erteilt oder<lb/>
verweigert und eine Neuwahl anordnet. Damit schien endlich ein ordentliches<lb/>
Abkommen der Kurie mit einem protestantischen Fürsten erzielt zu sein; aber<lb/>
bei der ersten Handhabung bewährte sich die Einrichtung nicht, und 1840<lb/>
und 1841 verständigte man sich im Haag mit der Kurie dahin, daß man von<lb/>
der Ausführung des Vertrages von 1827 absehen und sich mit Ernennung<lb/>
von Bischöfen in x-rrtibn8 inliclelnmi begnügen wolle. Da wurde plötzlich eine<lb/>
päpstliche Allvlutiou vom 7. März 1853 veröffentlicht, worin der Papst die<lb/>
Absicht aussprach, die alten Bischofssitze wiederherzustellen, was gleich darauf<lb/>
durch ein Breve geschah. Das Ministerium Thorbecke erklärte nur die Form<lb/>
dieses Vorgehens beanstanden zu können; es mußte dem allgemeinen Unwillen<lb/>
geopfert werden. Aber die Nachfolger konnten an der Sache auch nichts mehr<lb/>
ändern. Ganz eigentümlich und ohne zur Lösung der vorliegenden Frage<lb/>
zu führen, haben sich die Verhältnisse im Großherzogtum Luxemburg gestaltet.<lb/>
Luxemburg war 1801 dem Bistum Metz zugeteilt worden, 1822 dein Bistum<lb/>
Namur; die Bnndesfestuug wurde jedoch wegen deren Beziehungen zum deutschen<lb/>
Bunde und dn dort auch nicht die belgische Verfassung galt, abgetrennt und<lb/>
unter einem apostolischen Vikar selbständig verwaltet, dessen Jurisdiktion sich<lb/>
nach der Londoner Konferenz von 183!» ans das ganze Grvßherzvgtum er¬<lb/>
streckte, worauf der Sprengel 1842 zum apostolischen Viluriat erhoben wurde.<lb/>
Mehr als fünfzehn Jahre lang wurden bald in Rom bald im Haag Versuche ge¬<lb/>
macht, für Luxemburg ein Konkordat herzustellen; die Versuche blieben erfolglos.<lb/>
Die römischen Forderungen dem kleinen Lande gegenüber waren maßlos. Rom<lb/>
hat die damalige Unsicherheit der Verhältnisse benutzt, indem es einen geheimen<lb/>
Kvnsistvrialbeschluß vom 27. Juni 1870, Luxemburg aus dem Zustande der<lb/>
Mission herauszubringen und zum Bistum zu machen, durch Breve vom<lb/>
27. September 1870 ohne Zustimmung der Regierung bestätigte. Durch Erlaß<lb/>
des Delegaten Bianchi im Haag vom 7. November 1870, der jedoch in den<lb/>
Kirchen erst am 29. Jnnncir 1871 veröffentlicht worden ist, wurde das Breve<lb/>
vollzogen. Die Regierung genehmigte nachträglich diesen Handstreich der Kurie<lb/>
durch Gesetz vom 30. April nud Dekret vom' 23. Juni 1873.  Formell aber</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0119] dem Konkordat von 1801 besteht keüi innerer Zusammenhang. Zu einer thatsächlichen vertragsmäßigen Auseinandersetzung ist die Sache nur in den Niederlanden gekommen. Dort ist auf Grund von Art. 17 des dort geltenden Konkordates vou 1801 am 18. Juni 1827 eine Vereinbarung zwischen König Wilhelm I. und Papst Leo XII. getroffen worden, wonach im Falle der Er¬ ledigung eines erzbischöflichen oder bischöflichen Stuhles das Kapitel der ver¬ waisten Kirche dem König eine Liste von Kandidaten vorlegen soll, aus der der König die ihm nicht genehmen Namen dem Kapitel bezeichnet, das hierauf diese Namen streicht. Die Liste wird ergänzt, wenn die zur Wahl nötige Zahl von Namen nicht mehr vorhanden ist. Das Kapitel nimmt dann die Wahl vor und unterbreitet sie dem Papste, der die kanonische Institution erteilt oder verweigert und eine Neuwahl anordnet. Damit schien endlich ein ordentliches Abkommen der Kurie mit einem protestantischen Fürsten erzielt zu sein; aber bei der ersten Handhabung bewährte sich die Einrichtung nicht, und 1840 und 1841 verständigte man sich im Haag mit der Kurie dahin, daß man von der Ausführung des Vertrages von 1827 absehen und sich mit Ernennung von Bischöfen in x-rrtibn8 inliclelnmi begnügen wolle. Da wurde plötzlich eine päpstliche Allvlutiou vom 7. März 1853 veröffentlicht, worin der Papst die Absicht aussprach, die alten Bischofssitze wiederherzustellen, was gleich darauf durch ein Breve geschah. Das Ministerium Thorbecke erklärte nur die Form dieses Vorgehens beanstanden zu können; es mußte dem allgemeinen Unwillen geopfert werden. Aber die Nachfolger konnten an der Sache auch nichts mehr ändern. Ganz eigentümlich und ohne zur Lösung der vorliegenden Frage zu führen, haben sich die Verhältnisse im Großherzogtum Luxemburg gestaltet. Luxemburg war 1801 dem Bistum Metz zugeteilt worden, 1822 dein Bistum Namur; die Bnndesfestuug wurde jedoch wegen deren Beziehungen zum deutschen Bunde und dn dort auch nicht die belgische Verfassung galt, abgetrennt und unter einem apostolischen Vikar selbständig verwaltet, dessen Jurisdiktion sich nach der Londoner Konferenz von 183!» ans das ganze Grvßherzvgtum er¬ streckte, worauf der Sprengel 1842 zum apostolischen Viluriat erhoben wurde. Mehr als fünfzehn Jahre lang wurden bald in Rom bald im Haag Versuche ge¬ macht, für Luxemburg ein Konkordat herzustellen; die Versuche blieben erfolglos. Die römischen Forderungen dem kleinen Lande gegenüber waren maßlos. Rom hat die damalige Unsicherheit der Verhältnisse benutzt, indem es einen geheimen Kvnsistvrialbeschluß vom 27. Juni 1870, Luxemburg aus dem Zustande der Mission herauszubringen und zum Bistum zu machen, durch Breve vom 27. September 1870 ohne Zustimmung der Regierung bestätigte. Durch Erlaß des Delegaten Bianchi im Haag vom 7. November 1870, der jedoch in den Kirchen erst am 29. Jnnncir 1871 veröffentlicht worden ist, wurde das Breve vollzogen. Die Regierung genehmigte nachträglich diesen Handstreich der Kurie durch Gesetz vom 30. April nud Dekret vom' 23. Juni 1873. Formell aber

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/119
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/119>, abgerufen am 25.08.2024.