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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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eine ganz unnütze Sache sein. Mögen die fortschrittlichen Herren, die, wie
Herr Professor Hüuel, so groß in Moralpredigten gegenüber dem Fürsten
Bismnrck waren, und die auch so viel auf den Dx ÄEauo-Standpunkt gaben,
daß sie immer wieder ihre Weisheit bei der Bekämpfung des Socialistengesetzes
in der Forderung des allgemeinen gleichen Rechtes gipfeln ließen, weil sie so
mit geistigen Waffen den Sozialismus vernichten zu können glaubten, mögen
sie jetzt die geistigen Waffen nur tapfer schwingen! Wir werden uns über
jeden ihrer Erfolge innig freuen. Wenn "Genosse" Berndt im sozialdemo-
kratischen Wahlverein des vierten Berliner Reichstagswahlkreises am 8. Sep¬
tember im Lokal "Südost" seinen "mit großem Beifall aufgenommenen Vor¬
trag über die Ursachen der Verbrechen" hielt, und dann folgende Resolution
zu einstimmiger Annahme gelangte: "Die heutige Versammlung des sozialdemo¬
kratischen Wahlvereins . . . erklärt sich mit den Ausführungen des Referenten
einverstanden und erklärt, daß die Ursachen der Verbrechen nur der heutigen
Produktionsweise und unsern ökonomischen Verhältnissen zuzuschreiben sind,
und verpflichtet sich die Versammlung Isvll heißen: und die Versammlung
verpflichtet sichj, durch Verbreitung des sozialdemokratischen Prinzips den Ur¬
sachen der Verbrechen zu steuern; denn durch die heutige moderne Gesellschafts¬
ordnung ist das nicht möglich" -- gewiß, wir würden uns innig freuen,
wenn Eugen Richter oder Professor Hänel als hochberedte Vertreter der
modernen Gesellschaftsordnung den "Genossen" Berndt belehren könnten,
daß es durch die heutige Gesellschaftsordnung doch auch möglich sei, den
Ursachen der Verbrechen zu steuern. Andre Leute aber, die nicht zum
Fortschritt gehören, erkennen jeden Redekampf mit dem gewerbsmäßigen
sozialdemokratischen Agitator, der seines Publikums von vornherein und
unter allen Umständen sicher ist, für ein Wagnis, dem jeder anständige
Mensch sich zu unterziehen gerechte Scheu trägt. Denn sich in öffentlichen
Versammlungen mit sozialdemokratischen Rednern zu messen, dazu müßten
agitatorische Mittel angewendet werden, die einem Manne von guten Sitten
nicht zugemutet werden können. Hier liegt das Hindernis, an dem jeder
wohlgemeinte Rat zu größerer Rührigkeit der bürgerlichen Parteien scheitern
wird. Darum bleibt jetzt, nachdem das Svzinlistengesetz beseitigt ist, dessen
Aufhebung wahrscheinlich schon jetzt die freisinnigen Lx As<zuo-Politiker im
Stillen verwünschen, nichts weiter übrig, als die Schaffung eines Neichs-
Vereins- und Versammlungsgesetzes, das der schrankenlosen Freiheit, mit der
das sozialistische Gift jetzt verbreitet wird, Einhalt thun kann. Wenn mit
sozialdemokratischer Unverfrorenheit in jedem Artikel ihrer Zeitungen, in jeder
ihrer fast täglichen Versammlungen erklärt wird und erklärt werden darf, daß
"die gegenwärtige Gesellschaftsorganisation gleichzeitig von allen Seiten und
mit allen Mitteln, über die wir verfügen, bekämpft werden muß," wenn die
Sozialdemokratie offen ihre Taktik bekennen darf, "dnrch Arbeitseinstellungen


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eine ganz unnütze Sache sein. Mögen die fortschrittlichen Herren, die, wie
Herr Professor Hüuel, so groß in Moralpredigten gegenüber dem Fürsten
Bismnrck waren, und die auch so viel auf den Dx ÄEauo-Standpunkt gaben,
daß sie immer wieder ihre Weisheit bei der Bekämpfung des Socialistengesetzes
in der Forderung des allgemeinen gleichen Rechtes gipfeln ließen, weil sie so
mit geistigen Waffen den Sozialismus vernichten zu können glaubten, mögen
sie jetzt die geistigen Waffen nur tapfer schwingen! Wir werden uns über
jeden ihrer Erfolge innig freuen. Wenn „Genosse" Berndt im sozialdemo-
kratischen Wahlverein des vierten Berliner Reichstagswahlkreises am 8. Sep¬
tember im Lokal „Südost" seinen „mit großem Beifall aufgenommenen Vor¬
trag über die Ursachen der Verbrechen" hielt, und dann folgende Resolution
zu einstimmiger Annahme gelangte: „Die heutige Versammlung des sozialdemo¬
kratischen Wahlvereins . . . erklärt sich mit den Ausführungen des Referenten
einverstanden und erklärt, daß die Ursachen der Verbrechen nur der heutigen
Produktionsweise und unsern ökonomischen Verhältnissen zuzuschreiben sind,
und verpflichtet sich die Versammlung Isvll heißen: und die Versammlung
verpflichtet sichj, durch Verbreitung des sozialdemokratischen Prinzips den Ur¬
sachen der Verbrechen zu steuern; denn durch die heutige moderne Gesellschafts¬
ordnung ist das nicht möglich" — gewiß, wir würden uns innig freuen,
wenn Eugen Richter oder Professor Hänel als hochberedte Vertreter der
modernen Gesellschaftsordnung den „Genossen" Berndt belehren könnten,
daß es durch die heutige Gesellschaftsordnung doch auch möglich sei, den
Ursachen der Verbrechen zu steuern. Andre Leute aber, die nicht zum
Fortschritt gehören, erkennen jeden Redekampf mit dem gewerbsmäßigen
sozialdemokratischen Agitator, der seines Publikums von vornherein und
unter allen Umständen sicher ist, für ein Wagnis, dem jeder anständige
Mensch sich zu unterziehen gerechte Scheu trägt. Denn sich in öffentlichen
Versammlungen mit sozialdemokratischen Rednern zu messen, dazu müßten
agitatorische Mittel angewendet werden, die einem Manne von guten Sitten
nicht zugemutet werden können. Hier liegt das Hindernis, an dem jeder
wohlgemeinte Rat zu größerer Rührigkeit der bürgerlichen Parteien scheitern
wird. Darum bleibt jetzt, nachdem das Svzinlistengesetz beseitigt ist, dessen
Aufhebung wahrscheinlich schon jetzt die freisinnigen Lx As<zuo-Politiker im
Stillen verwünschen, nichts weiter übrig, als die Schaffung eines Neichs-
Vereins- und Versammlungsgesetzes, das der schrankenlosen Freiheit, mit der
das sozialistische Gift jetzt verbreitet wird, Einhalt thun kann. Wenn mit
sozialdemokratischer Unverfrorenheit in jedem Artikel ihrer Zeitungen, in jeder
ihrer fast täglichen Versammlungen erklärt wird und erklärt werden darf, daß
„die gegenwärtige Gesellschaftsorganisation gleichzeitig von allen Seiten und
mit allen Mitteln, über die wir verfügen, bekämpft werden muß," wenn die
Sozialdemokratie offen ihre Taktik bekennen darf, „dnrch Arbeitseinstellungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/111>, abgerufen am 25.08.2024.