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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Technik zieht, ist zu interessant und geistvoll, als das; wir sie nicht noch hier
wiedergeben sollten:

Menschen vom Schlage Hamlets bleibe" immer sie selbst. Das, was sie von
Natur sind, ihr echtes Selbst, überwiegt so sehr alles, was sie durch Beziehungen zu
andern, dnrch menschliche Konvention n. tgi. sind, daß es ihnen schwer fällt, sich
mit einer ihnen vom Weltlauf diltirten Rolle zu identifiziren, was tief unter ihnen
stehenden Geistern nicht nur gelingt, sondern was diese gar nicht vermeiden tonnen.
Solche Hamlet-Menschen stellen sich daher gar oft schüchtern, steif und unbeholfen
an, wenn sie versuchen, auch eiumnl zu thun, Was sie andre so natürlich thun sehen,
und werden bei solchen Versuchen das Gefühl, erkünstelt Komödie zu spielen, nicht
los. Aus diesem Gefühl heraus wundert sich Hantlet so sehr, daß der Schauspieler
nnr zu wollen braucht, um sich mit einer Rolle bis zum Vergießen eigner Thränen
zu identifiziren. Er selbst bleibt stets wie Hans der Träumer seiner Sache fremd.
Es scheint mir zweifellos, daß Shakespeare, da er den "Hamlet" schuf, eine der
eben dargelegten ähnliche Theorie von den menschlichen Charakteren im Kopfe hatte.
Nur so ist es zu erklären, daß er die Thatlvsigkeit Hamlets dnrch Kontrast!rung
desselben mit einem Schauspieler am besten zur Anschauung zu bringen hoffte
-- ein genial-grillenhaftes Motiv, das jedenfalls höchst subjektiven Reflexionen des
Dichters seinen Ursprung verdankt --, und daß er dieser Episode so breiten Raum
an so wichtiger Stelle gönnte.

Berger erinnert dabei (nach Otto Ludwig) an Shakespeares Neigung, die
Charaktere sich dnrch den Kontrast gegenseitig erklären zu lassen: "Und so
stehen sich im "Hamlet" der König, der Meister der praktischen Schauspielkunst
im Leben, der Repräsentationstiinstler, der nur ein einzigesmal aus der Rolle
fällt, der hitzige Laertes, der die ihm durch die Umstände diktirte Rolle des
rächenden Sohnes und trostlosen Bruders ohne Besinnen annimmt und etwas
ontrirt spielt, der Schauspieler, der Thränen um Heknba vergießt, und Hamlet,
dem nicht gelingen will, was all diese geringeren Seelen fertig bringen, sinn¬
voll gegenüber. Das den innern Mechanismus dieser Charaktere durchleuchtende
Licht geht vom Schauspieler ans, und das ist für mich ein Beweis, daß aus
"Hamlet" eine dem Schauspieler natürliche Anschauung menschlichen Wesens
spricht, daß also nicht Baco von Vernimm ihn gedichtet hat."

Mit diesem geistvollen Schluß Bergers wollen wir auch diesen Auszug
schließen. Wir sagen wohl nicht zu viel, wenn wir seine "Dramaturgischen
Vorträge" den Shakespearcstudien von Otto Ludwig, auf die sie öfters liebe¬
voll verweisen, für ebenbürtig erklären.


M N


Technik zieht, ist zu interessant und geistvoll, als das; wir sie nicht noch hier
wiedergeben sollten:

Menschen vom Schlage Hamlets bleibe» immer sie selbst. Das, was sie von
Natur sind, ihr echtes Selbst, überwiegt so sehr alles, was sie durch Beziehungen zu
andern, dnrch menschliche Konvention n. tgi. sind, daß es ihnen schwer fällt, sich
mit einer ihnen vom Weltlauf diltirten Rolle zu identifiziren, was tief unter ihnen
stehenden Geistern nicht nur gelingt, sondern was diese gar nicht vermeiden tonnen.
Solche Hamlet-Menschen stellen sich daher gar oft schüchtern, steif und unbeholfen
an, wenn sie versuchen, auch eiumnl zu thun, Was sie andre so natürlich thun sehen,
und werden bei solchen Versuchen das Gefühl, erkünstelt Komödie zu spielen, nicht
los. Aus diesem Gefühl heraus wundert sich Hantlet so sehr, daß der Schauspieler
nnr zu wollen braucht, um sich mit einer Rolle bis zum Vergießen eigner Thränen
zu identifiziren. Er selbst bleibt stets wie Hans der Träumer seiner Sache fremd.
Es scheint mir zweifellos, daß Shakespeare, da er den „Hamlet" schuf, eine der
eben dargelegten ähnliche Theorie von den menschlichen Charakteren im Kopfe hatte.
Nur so ist es zu erklären, daß er die Thatlvsigkeit Hamlets dnrch Kontrast!rung
desselben mit einem Schauspieler am besten zur Anschauung zu bringen hoffte
— ein genial-grillenhaftes Motiv, das jedenfalls höchst subjektiven Reflexionen des
Dichters seinen Ursprung verdankt —, und daß er dieser Episode so breiten Raum
an so wichtiger Stelle gönnte.

Berger erinnert dabei (nach Otto Ludwig) an Shakespeares Neigung, die
Charaktere sich dnrch den Kontrast gegenseitig erklären zu lassen: „Und so
stehen sich im »Hamlet« der König, der Meister der praktischen Schauspielkunst
im Leben, der Repräsentationstiinstler, der nur ein einzigesmal aus der Rolle
fällt, der hitzige Laertes, der die ihm durch die Umstände diktirte Rolle des
rächenden Sohnes und trostlosen Bruders ohne Besinnen annimmt und etwas
ontrirt spielt, der Schauspieler, der Thränen um Heknba vergießt, und Hamlet,
dem nicht gelingen will, was all diese geringeren Seelen fertig bringen, sinn¬
voll gegenüber. Das den innern Mechanismus dieser Charaktere durchleuchtende
Licht geht vom Schauspieler ans, und das ist für mich ein Beweis, daß aus
»Hamlet« eine dem Schauspieler natürliche Anschauung menschlichen Wesens
spricht, daß also nicht Baco von Vernimm ihn gedichtet hat."

Mit diesem geistvollen Schluß Bergers wollen wir auch diesen Auszug
schließen. Wir sagen wohl nicht zu viel, wenn wir seine „Dramaturgischen
Vorträge" den Shakespearcstudien von Otto Ludwig, auf die sie öfters liebe¬
voll verweisen, für ebenbürtig erklären.


M N


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[0092] Technik zieht, ist zu interessant und geistvoll, als das; wir sie nicht noch hier wiedergeben sollten: Menschen vom Schlage Hamlets bleibe» immer sie selbst. Das, was sie von Natur sind, ihr echtes Selbst, überwiegt so sehr alles, was sie durch Beziehungen zu andern, dnrch menschliche Konvention n. tgi. sind, daß es ihnen schwer fällt, sich mit einer ihnen vom Weltlauf diltirten Rolle zu identifiziren, was tief unter ihnen stehenden Geistern nicht nur gelingt, sondern was diese gar nicht vermeiden tonnen. Solche Hamlet-Menschen stellen sich daher gar oft schüchtern, steif und unbeholfen an, wenn sie versuchen, auch eiumnl zu thun, Was sie andre so natürlich thun sehen, und werden bei solchen Versuchen das Gefühl, erkünstelt Komödie zu spielen, nicht los. Aus diesem Gefühl heraus wundert sich Hantlet so sehr, daß der Schauspieler nnr zu wollen braucht, um sich mit einer Rolle bis zum Vergießen eigner Thränen zu identifiziren. Er selbst bleibt stets wie Hans der Träumer seiner Sache fremd. Es scheint mir zweifellos, daß Shakespeare, da er den „Hamlet" schuf, eine der eben dargelegten ähnliche Theorie von den menschlichen Charakteren im Kopfe hatte. Nur so ist es zu erklären, daß er die Thatlvsigkeit Hamlets dnrch Kontrast!rung desselben mit einem Schauspieler am besten zur Anschauung zu bringen hoffte — ein genial-grillenhaftes Motiv, das jedenfalls höchst subjektiven Reflexionen des Dichters seinen Ursprung verdankt —, und daß er dieser Episode so breiten Raum an so wichtiger Stelle gönnte. Berger erinnert dabei (nach Otto Ludwig) an Shakespeares Neigung, die Charaktere sich dnrch den Kontrast gegenseitig erklären zu lassen: „Und so stehen sich im »Hamlet« der König, der Meister der praktischen Schauspielkunst im Leben, der Repräsentationstiinstler, der nur ein einzigesmal aus der Rolle fällt, der hitzige Laertes, der die ihm durch die Umstände diktirte Rolle des rächenden Sohnes und trostlosen Bruders ohne Besinnen annimmt und etwas ontrirt spielt, der Schauspieler, der Thränen um Heknba vergießt, und Hamlet, dem nicht gelingen will, was all diese geringeren Seelen fertig bringen, sinn¬ voll gegenüber. Das den innern Mechanismus dieser Charaktere durchleuchtende Licht geht vom Schauspieler ans, und das ist für mich ein Beweis, daß aus »Hamlet« eine dem Schauspieler natürliche Anschauung menschlichen Wesens spricht, daß also nicht Baco von Vernimm ihn gedichtet hat." Mit diesem geistvollen Schluß Bergers wollen wir auch diesen Auszug schließen. Wir sagen wohl nicht zu viel, wenn wir seine „Dramaturgischen Vorträge" den Shakespearcstudien von Otto Ludwig, auf die sie öfters liebe¬ voll verweisen, für ebenbürtig erklären. M N

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/92>, abgerufen am 29.06.2024.